Nicole Porsch mit dem Spätburgunder von Meyer-Näkel Foto: Simon Granville/Simon Granville

Die Zeiten der Toskana-Fraktion sind längst vorbei. Trotzdem gibt es noch einen Kanzler-Wein – und ein paar Empfehlungen von Stuttgarter Weinhändlern, welche Flasche am Sonntag geöffnet werden sollte.

Stuttgart - Wein scheint in der Politik keine Rolle mehr zu spielen. Angela Merkel wurde mal fotografiert, als sie ein paar Flaschen in einem Supermarkt kaufte. Aber als Liebhaber des Getränks hat sie sich anders als ihr Vorgänger Gerhard Schröder nicht in Szene gesetzt. Von ihren möglichen Nachfolgern ist vinologisch ebenfalls wenig bekannt. „Der Wähler sollte den kommenden Sonntag dennoch nicht trocken verbringen“, findet Hans-Jürgen Draser vom Weinhaus Kühnel. Die Fellbacher Weingärtner liefern mit dem Kanzler-Wein ein vermeintlich passendes Getränk – allerdings ist der Riesling gänzlich unpolitisch.

Mit Weißwein in die Wahl einsteigen

Die Trinkgewohnheiten der drei Kanzlerkandidaten sind bislang vage geblieben. Armin Laschet (CDU) und Annalena Baerbock (Grüne) waren sich in einer Radiobefragung einig darin, dass sie Wein gegenüber Bier den Vorzug geben. Nicht einmal Nicole Porsch, Ludwigsburger Weinhändlerin und Stuttgarter CDU-Stadträtin weiß, was sich ihr Parteichef gerne einschenken lässt. Auf Nachfrage im Wahlkampfteam erfährt sie noch, dass er „gerne Weißwein trinkt“. Olaf Scholz erklärte in der Umfrage hingegen, im Wahlkampf gar keinen Alkohol zu trinken. Auf Fotos ist der Hamburger manchmal mit einem Bier zu sehen, vermutlich alkoholfrei.

Hans-Jürgen Draser vom Weinhaus Kühnel kann also ebenfalls nur Vermutungen äußern. Dass Annalena Baerbock zum Beispiel auf das Biozeichen auf dem Rückenetikett achtet und möglicherweise Winzersekt mag, „weil Frauen gerne mit Schaumwein anstoßen“. Armin Laschet kann er sich gut mit einem Spätburgunder von der Ahr vorstellen, um doch noch irgendwie seine Solidarität mit den Flutopfern zu zeigen. Olaf Scholz gehöre einer Partei an, die immerhin die Farbe des Weins schon intus habe, auch wenn der Hamburger wenig weinaffin wirkt.

Vormittags wählen, danach ein Riesling

Mit einem Weißwein würde Hans-Jürgen Draser in den Bundestagswahltag einsteigen. Er empfiehlt „vormittags wählen zu gehen, damit man es hinter sich hat“, zum Mittagessen dann einen Riesling feinherb mit wenig Alkohol vom Weingut Dr. Loosen von der Mosel (11,95 Euro) zu trinken. Die ersten Prognosen, Hochrechnungen und die Ergebnisse würde er sich am Abend mit einem Rotwein zu Gemüte führen. Da der deutsche Bundestag gewählt wird, sollte es seiner Meinung nach auch ein heimischer Wein sein: Vom Weingut Heid den Lemberger vom Fellbacher Goldberg (14,95 Euro). Für Nicole Porsch ist der Spitzenkandidat ihrer Partei definitiv ein Genussmensch. Aber die Zeiten, dass mit Wein Politik gemacht werde, seien schon längst vorbei. Unvorstellbar, dass bei politischen Gesprächsrunden im Fernsehen früher geraucht und getrunken wurde – zum Frühstück schon. Auch in der Kommunalpolitik werde nach der Sitzung nicht im Ratskeller angestoßen. „Es ist ein bisschen schade“, sagt die Chefin vom Weinhaus Bronner, aber andererseits gesünder. Wie Armin Laschet ist sie eine Weißweintrinkerin. Dass sie am Sonntag einen Champagner aufmachen wird, glaubt sie eher nicht, sondern einen Rotwein, „um das Ergebnis zu verdauen“. Sie holt sich einen Spätburgunder vom Weingut Meyer-Näkel aus dem Regal, „Hand in Hand“ heißt der Wein für 16 Euro. „Das passt“, sagt sie, „es wird nicht auf eine Mehrheit hinauslaufen, sondern auf einen Kompromiss“.

Der Kanzler-Wein kommt aus Fellbach

Joachim Schmid, der im Stadtteil Botnang Wein verkauft, ist der Humor angesichts der Bundestagswahl vergangen. Er findet, die Wähler müssten sich unter den drei Kanzlerkandidaten das kleinste Übel aussuchen. Wer es in seinem Fall sein wird, hat er noch nicht herausgefunden. Den richtigen Wein kann er dafür aus dem Regal ziehen, „weil alles so grau ist mit den Kandidaten“: der Grauburgunder Erste Lage vom Untertürkheimer Weingut Wöhrwag, der bei ihm 13,90 Euro kostet. Der Wein an sich sei entgegen seines Namens alles andere als eintönig, sondern schlichtweg genial, findet der Weinhändler, was am Sonntag bei allen Beteiligten die Stimmung heben könnte.

Die Herren vom Etikett wollen nicht nach Berlin

Auch der Kanzler-Wein aus Fellbach ist ein weißer – und er geht tatsächlich zurück auf Gerhard Schröder. Ein Stammtisch, der sich seit fast 40 Jahren kennt, kümmert sich um einen Weinberg der Fellbacher Weingärtner, der 1964 mit Riesling-Reben bepflanzt wurde. Claus Hämmer war der Gründer der samstäglichen Runde. Und er hatte tatsächlich einmal Gerhard Schröder auf einer Messe getroffen: Bei einem Glas Rotwein kam heraus, dass er und der SPD-Chef den gleichen Audi fuhren. Allein durch diese Gemeinsamkeit wurde Claus Hämmer in Fellbach zum Kanzler. Der Mann ist leider verstorben, seine Initiative, mit den Freunden und den Fellbacher Weingärtnern Wein zu machen, hat überdauert. Auf dem Etikett sind acht Herren abgebildet, von denen keiner nach Berlin will. Sie trinken lieber ihren Riesling in Topqualität (13,50 Euro) am Fellbacher Stammtisch.