Zum Abschluss der Vesperkirche ist Cem Özdemir gekommen. Foto: Lichtgut/Christoph Schmidt

An diesem Samstag endet nach sieben Wochen die Stuttgarter Vesperkirche. Bis zu 750 warme Mahlzeiten sind an Bedürftige pro Tag rausgegangen. Mehr denn je.

Johanna wirkt fröhlich, und das nicht nur wegen ihrer bunten Kleidung. Die 64-Jährige fährt mit ihrem E-Rollstuhl umher, quatscht hier und dort. „Arg nett“ sei’s heute wieder bei der Vesperkirche. „Das Essen ist hier köstlich“, sagt sie, und überhaupt ist sie voll des Lobes. Gerade hat sie den Kräutertee ausgetrunken, den ihr Cem Özdemir ausgeschenkt hat. Den Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft hat sie gleich erkannt. „Ein netter Kerle“, sagt Johanna. Sie lächelt. „Das ist gut für sein Image“, sagt sie.

An diesem Samstag endet die diesjährige Vesperkirche. Von Mitte Januar an ist Menschen, die zu wenig zum Leben haben, in der Leonhardskirche auf vielfältige Art geholfen worden. Neben dem obligatorischen Mittagessen gab es Haarschnitte, warme Kleidung, medizinische Unterstützung für Mensch und Tier, auch Kultur und Gottesdienste. „Wir möchten Teilhabechancen auf vielen Ebenen eröffnen“, sagt Gabriele Ehrmann, Diakoniepfarrerin und Leiterin der Vesperkirche. Nach zwei Jahren Corona-Pause sei das etwas Besonderes.

Zum Abschluss der Vesperkirche ist Cem Özdemir gekommen

Zum Abschluss der Vesperkirche ist Cem Özdemir gekommen. Während etwas entfernt Personenschützer über die Szene wachen, schenkt der Minister gemeinsam mit seinem 13-jährigen Sohn Vito Kaffee und Tee aus. „Ich bin eigentlich jedes Jahr dabei“, sagt der Politiker. Seine Kinder bringe er regelmäßig mit. „Sie wachsen privilegiert auf. Sie sollen von Anfang an nicht vergessen, demütig zu sein“, und auch ihm selbst verhelfe der Arbeitseinsatz zu „Bodenhaftung“. Er spricht von einer Verantwortung, und auch sein Sohn findet „cool, dass man helfen kann“.

Seit bald 30 Jahren gibt es das Angebot des Kirchenkreises Stuttgart, doch in diesem Jahr war es eine Vesperkirche der Superlative. 36.000 warme Essen und 20.000 Vespertüten gingen über die Theke. Die 800 Ehren- und zehn Hauptamtlichen leisteten 10.000 Arbeitsstunden. „Wir sind alle an unsere Grenzen gegangen“, sagt Gabriele Ehrmann. Zu den Stoßzeiten seien gut 100 Menschen mehr dagewesen als in früheren Jahren. Bis zu 750 Essen am Tag habe man so ausgegeben. „Das ist der wirtschaftlichen Situation geschuldet“, sagt sie. Sie habe etliche neue Gesichter gesehen. „Viele Ältere. Die kleine Rente, da spielt sich was ab“, sagt sie. Auch das Thema Einsamkeit sei relevant.

Etliche Promis haben die Vesperkirche wieder unterstützt

Die Unterhaltungen mit anderen, die gefallen auch Michael (50). „Man kann sich einklinken oder wird eingebunden“, sagt er, während er wartet, dass neuer Kaffee aufgebrüht wird. Vor allem aber sei er wegen des Mittagessens da. Michael ist arbeitslos. Hier zu essen, helfe finanziell sehr. Den meisten geht es so. Enno (63) bezieht Bürgergeld. Zum Leben reiche das kaum. „Ein Hunderter mehr, dann wär’s okay“, sagt er. Der Iraner Rahim (72) nimmt täglich eine zweistündige Anreise mit Bus und Bahn aus Bad Teinach auf sich. Bei ihm daheim gebe es nichts dergleichen. „Trocken alles“, sagt er und wischt mit der Hand über einen imaginären Boden. Ausgegeben werden die Mahlzeiten hier für einen Euro. Gabriele Ehrmann spricht von einem Spendenrichtwert, doch selbst dieses Geld könnten manche nicht aufbringen. „Manche haben 30 Cent oder gar nichts“, erklärt sie.

Etliche Promis haben die Vesperkirche wieder unterstützt. An diesem Samstag springen die Sozialbürgermeisterin Alexandra Sußmann, der Europaabgeordnete Michael Bloss, die Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle und Stefan Ehehalt, der Leiter des Gesundheitsamts, durch die Reihen. Kamerateams sind gekommen, um vor allem Cem Özdemir bei der Arbeit zu filmen. Gabriele Ehrmann freut sich über die mediale Aufmerksamkeit. „Ich finde wichtig, dass Menschen, die in der Politik sind, sehen, dass es Armut gibt“, sagt sie. Auch dass die letzte Vesperkirche noch mal richtig voll ist, freut sie. Sie wirkt wehmütig. „Es ist eine Gemeinschaft in den sieben Wochen entstanden.“ Viele kämen jeden Tag. „Ich frage mich, was manche nächste Woche machen.“