Der Stuttgarter Polizist Jan Quente bei der Eröffnung der ersten Ausstellung in Münster vor dem eigenen Porträt Foto: n

Polizisten, Feuerwehrleute, Retter oder Bahnmitarbeiter – sie alle kennen Gewalt und Respektlosigkeit im Dienst. Eine bundesweite Aktion dagegen macht jetzt Station in Stuttgart – wo die Krawallnacht 2020 als Auslöser gewirkt hat.

Ein Fahrausweisprüfer wird in einer Stadtbahn von einem Mann ohne Fahrkarte mehrfach ins Gesicht geschlagen. Ein Betrunkener geht am Hauptbahnhof ohne jeden Anlass auf eine Streife der Bundespolizei los. Ein 32-Jähriger tritt und beleidigt zwei Bahnmitarbeiter, weil sie ihn bitten, am Endhalt aus einem Zug auszusteigen. Alles Beispiele aus Stuttgart aus den vergangenen Tagen. Die Liste der verbalen und körperlichen Übergriffe auf Menschen, die in irgendeiner Weise den Staat repräsentieren oder Uniform tragen, ließe sich beliebig fortsetzen. Längst trifft es nicht mehr nur Polizistinnen und Polizisten, sondern auch Beschäftigte von Feuerwehr, Rettungsdienst und Kommunen. Leute, die helfen wollen.

Nach jedem größeren Vorfall wie an Silvester in Berlin kochen die Emotionen hoch. Die Politik empört sich und streitet über mögliche Maßnahmen. Doch das ändert wenig am Arbeitsalltag der Betroffenen. „Nach zwei Wochen ist das Thema wieder aus der Öffentlichkeit verschwunden“, sagt Andrea Wommelsdorf. Sie habe sich gefragt, warum eigentlich niemand den Attackierten eine Stimme gebe. Für die Frau aus Münster in Nordrhein-Westfalen, die vorher zu dem Thema keinerlei Anknüpfungspunkte hatte, Anlass genug, mit einigen Mitstreiterinnen und Mitstreitern die private „Initiative für Respekt und Toleranz“ zu gründen.

Ausgelöst hat diesen Schritt die Stuttgarter Krawallnacht im Sommer 2020, als Randalierer große Zerstörungen in der Innenstadt anrichteten und dabei Polizei und Rettungsdienst attackierten. „Ich war geschockt“, erzählt Andrea Wommelsdorf, die früher in Stuttgart gewohnt hat. Sie wollte etwas tun. Herausgekommen ist dabei die Initiative mit ihrer ersten Aktion „Der Mensch dahinter“. In großen Fotos und mit Text werden in einer Wanderausstellung Frauen und Männer gezeigt, die für andere im Einsatz sind. „Die Porträts sind lebensgroß, die Leute schauen einem direkt in die Augen“, sagt die Initiatorin. Rund 50 Geschichten sind so entstanden, die jetzt auch in Stuttgart zu sehen sein werden. „Wir haben dabei wunderbare Menschen kennengelernt“, so Wommelsdorf.

Einer davon ist Jan Quente. Der Stuttgarter Polizeihauptkommissar leitet einen Zug der Einsatzhundertschaft. Er gehört zu den Ersten, die für die Aktion fotografiert und interviewt worden sind. Angefragt worden ist er über die Gewerkschaft der Polizei. Mitgemacht hat er, weil er jeden Tag auf der Straße mit dem Thema konfrontiert wird – und nicht nur er. „Als ich bei der Eröffnung der ersten Ausstellung in Münster war, bin ich wirklich erschrocken“, erzählt er. Als Polizist sei er es gewohnt, immer wieder in Konflikte zu geraten. „Aber da waren auch Feuerwehrleute und Notärzte, die in ihrem Arbeitsalltag Hass abbekommen. Da habe ich mich wirklich gefragt, was eigentlich abgeht.“

Beleidigungen und Attacken

„Mein Beruf macht mir viel Spaß“, sagt Quente trotzdem. Er ist erst 38, aber schon seit dem Jahr 2001 bei der Polizei. Seit elf Jahren in der Einsatzhundertschaft, die immer dort eingesetzt wird, wo es handfest zugehen kann. „Unsere Einheit ist dafür da, solche Einsätze zu meistern“, sagt er – und zählt dann auf, was einem dabei so alles passieren kann. „Die Hemmschwelle ist in den vergangenen Jahren viel niedriger geworden, sei es bei Demos, Fußballspielen oder ohne Anlass“, berichtet er.

Das fängt an bei kleineren Dingen wie am vergangenen Wochenende bei der Bundesligapartie zwischen dem VfB und Borussia Dortmund. Als vor dem Stadion zwei Gruppen aneinandergeraten, gehen die Einsatzkräfte dazwischen. „Ein völlig Unbeteiligter stand daneben, winkte uns zu und zeigte uns dann den Mittelfinger“, erzählt Quente. In diesem Fall hat man ihn zur Rede gestellt – doch das ist ein schmaler Grat, gerade wenn größere Gruppen beteiligt sind. „Man muss immer abwägen, damit das nicht eskaliert“, sagt der Hauptkommissar.

So wie bei der Krawallnacht von Stuttgart. Bei der war Quente selbst nicht im Einsatz, aber zwei seiner Kollegen wurden mit Steinen beworfen und verletzt. Die extremen Auswüchse kennt er aber auch selbst nur zu gut. Als die Polizei bei einer Demonstration die Teilnehmer und die Gegendemonstranten auseinanderhalten sollte, wurde seine Gruppe von einer großen Zahl Vermummter geradezu überrannt. Quente bekam Pfefferspray in die Augen, taumelte halb blind durch die Menge, wurde getreten.

Grundsätzlich ins Zweifeln bringt ihn das nicht, aber es macht den erfahrenen Polizisten nachdenklich: „Ich habe schon diverse Erfahrungen mit Gewalt gemacht. Aber ein Großteil unserer Einheiten besteht aus Berufsanfängern. Wenn die in solch eine Situation geraten, macht das etwas mit denen.“ Nicht unbedingt sofort. Nach der Krawallnacht fingen manche Wochen später an, plötzlich schlecht zu schlafen.

Die Ausstellung, hoffen alle Beteiligten, kann zumindest manche Menschen für das Thema sensibilisieren. Deshalb hat man sich auch in Stuttgart darum bemüht. Zu sehen sein wird sie im 3. Stock des Rathauses noch bis zum 10. Mai, montags bis freitags jeweils von 8 bis 18 Uhr. Die Eröffnung fand am Mittwochabend mit Oberbürgermeister Frank Nopper und Landes-Innenminister Thomas Strobl (CDU) statt, die damit ein Zeichen setzen wollen.

Viele Bilder zeigen Menschen aus der Region

Gezeigt werden gut 40 Porträts, rund ein Dutzend davon sind Menschen aus dem Raum Stuttgart. Auch Mitarbeiter der Stadtverwaltung. „Wir beobachten eine zunehmende Respektlosigkeit gegenüber Leuten, die ihren Job machen“, sagt Stefan Praegert, der beim Ordnungsamt Leiter für Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsangelegenheiten ist. Alle heftigeren Vorfälle bringe man konsequent zur Anzeige. „Man darf nie vergessen: Es geht immer um Menschen, die abends zu ihrer Familie gehen und an dem Erlebten zu knabbern haben“, so Praegert.

„Wir werden immer häufiger von Städten angefragt“, freut sich Andrea Wommelsdorf. Bis Anfang nächsten Jahres seien die Termine für die Wanderausstellung ausgebucht. „Diejenigen, mit denen wir auf der Straße zu tun haben, werden wahrscheinlich keine Ausstellung besuchen. Aber viele andere können sich informieren“, hofft der Polizist Quente, der nun selbst Teil des Projekts ist. Und künftig auf ein bisschen mehr Respekt setzt – und Verständnis für die Menschen, die in der Uniform stecken.