Die gelbe Karte auch als Protestsymbol? Im Fall von Saeed Mahmoodi könnte man es so sehen. Foto: Günter Bergmann

An den Wochenenden ist Saeed Mahmoodi als Schiedsrichter unterwegs. Mehr beschäftigen ihn derzeit allerdings die Geschehnisse in seiner Heimat. Der 34-Jährige kommt aus dem Iran. Eine Geschichte um familiäre Sorgen – und Angst davor, im Fall der Fälle im Gefängnis zu landen.

In einer Hinsicht unterscheiden sich die meisten Fußball-Schiedsrichter nicht von Fußballspielern: Auch sie wollen in ihrem Metier möglichst weit nach oben kommen und im Idealfall irgendwann auf der großen Bühne stehen. Wie gesagt: die meisten. Wenn es um die Karriereplanung geht, dann ist Saeed Mahmoodi komplett anders gestrickt. Und das nicht nur, weil er erst mit 26 Jahren, also relativ spät, überhaupt zur Schiedsrichterei gekommen ist. Der mittlerweile 34-Jährige verfolgt einen anderen Weg – und hat zudem aktuell auch ein ganz anderes Thema, das ihn beschäftigt. Mit bangem Blick schaut er auf die Geschehnisse in seiner Heimat. Mahmoodi kommt aus dem Iran.

2014 war es, als es den in einer 50 000-Einwohner-Stadt im Nord-Iran aufgewachsene ältesten von drei Brüdern als Informatik-Student nach Stuttgart-Vaihingen zog – damals, ohne ein Wort deutsch zu sprechen. Was also tun? Kurse an der Volkshochschule oder an der Uni buchen? „Unnötig. Durch den täglichen Umgang mit den Kommilitonen und den Fußballern habe ich die Sprache besser gelernt, als sie mir jeder Lehrer und jedes Lernbuch hätten beibringen können“, sagt Mahmoodi – dies in mittlerweile perfektem Deutsch mit sogar leicht schwäbischem Zungenschlag.

Der Sport als Ersatzfamilie

Ohnehin habe ihm der Fußball die beste Bühne geboten, um sich zu integrieren: „Wenn ich ein Problem hatte oder mir irgendetwas fremd war, dann war immer ein Kollege oder eine Kollegin der Stuttgarter Schiedsrichtergruppe oder ein Mitglied meines Vereins VfL Kaltental da“, sagt Mahmoodi, der mit seiner Freundin in Echterdingen lebt. Der Sport sei für ihn zu einer großen Ersatzfamilie geworden. In deren Kreis, mit den Freunden aus der besagten Gruppe, geht er auch einmal pro Woche selbst auf Torejagd.

Seine wirkliche und eigene Familie, die sieht Mahmoodi dagegen nur noch selten und unter erschwerten Bedingungen. Sein einer Bruder ist beruflich in Kanada. Und, vor allem: Der andere lebt noch mit den Eltern im Iran. Es ist das Thema, bei dem Mahmoodis Lächeln schwindet und er ernst wird. Ein Besuch schließt sich für ihn aufgrund der politischen Situation in seinem Heimatland mittlerweile aus. Stattdessen ist mit der Familie für heuer ein Treffen in der Türkei geplant. „Es kann sein, dass bei meiner Einreise gar nichts passieren würde. Es wäre aber auch möglich, dass ich festgenommen und für ein paar Monate ins Gefängnis geworfen werde – das will ich nicht riskieren“, sagt Mahmoodi.

„Stimme erheben, so laut es geht“

Bis vor ein paar Monaten sei er ein völlig unpolitischer Mensch gewesen. Der Tod der jungen Studentin Mahsa Amini, die nach der Verhaftung durch die iranische Sittenpolizei wegen eines angeblichen Kopftuchvergehens im Gefängnis starb, hat dies geändert. Die seit dem Vorfall entstandenen Unruhen haben auch Mahmoodi auf die Straße getrieben. In Stuttgart nahm er an Protestkundgebungen teil. „Ich will mich da gar nicht zu sehr als Aktivist einmischen. Ich möchte nur, dass jede Frau, jeder Sportler und jeder Mensch im Iran die Freiheit hat, so zu leben und sich so zu bewegen, wie er und sie möchte. Und dafür werde ich auch aus der Ferne meine Stimme erheben, so laut es geht“, sagt Mahmoodi.

Der Fußball rückt somit also erst einmal in den Hintergrund. Wobei auch das ein Thema ist, für das Mahmoodi durchaus zu brennen vermag. Als Fan von Ronaldo, des brasilianischen Weltmeisters von 2002, wurde er einst zum glühenden Anhänger von Real Madrid. Schon einige Mal hat er als Zuschauer Spiele im Stadion Santiago Bernabeu in der spanischen Hauptstadt besucht. Zwar würde es ihn reizen, einmal in seinem Leben eine Partie von professionellen Akteuren auch leiten zu dürfen. Das, weiß er, ist freilich unrealistisch.

Gerne auch weiter Kreisliga

Grundsätzlich fühlt er sich da, wo er momentan unterwegs ist, nämlich in den Kreisligen B und A, pudelwohl. „Ich würde es natürlich nicht ablehnen, wenn meine Beurteilungen so gut wären, dass ich am Saisonende mit dem Aufstieg belohnt würde. Ich bleibe aber auch sehr gerne in den untersten Spielklassen, weil genau dort braucht der Fußball eigentlich die engagiertesten Leute, wenn wir den Betrieb aufrecht erhalten wollen“, sagt Mahmoodi.

Seit Saisonbeginn ist er schon 20-mal samstags und sonntags ins Auto gestiegen, um als Einzelkämpfer in Leinfelden, Schlaitdorf oder Sindelfingen Spiele der „Sicherheitsliga“ bestmöglich über die Bühne zu bringen. In zwei Jahren als Jugend- und sechs Jahren als Kreisliga-Schiedsrichter hat er pro Partie noch nie mehr als einen Platzverweis ausgesprochen und stand noch nie vor einem Spielabbruch. „Natürlich testen einen die alten Hasen, die seit 20 Jahren auf dieser Ebene kicken, ganz gerne, aber ich weiß genau, wie ich dann reagiere, und hatte deshalb noch nie größere Schwierigkeiten“, sagt Mahmoodi.

Sein Informatik-Studium hat er im Übrigen abgeschlossen. Beruflich betreut er inzwischen für ein großes Consulting-Unternehmen Projekte der Deutschen Bahn. Auch darauf fällt die Fokussierung gerade schwer. Wie gesagt: Im alten Zuhause passieren derzeit ganz andere Dinge.