Sieht nach Bierzelt aus, ist aber eine Almhütte: Szene vom „Frühlingsfest light“. Foto: /ubo

Ein Prosit der Normalität! Auf dem Cannstatter Wasen stehen junge Leute wieder in Tracht auf den Bierbänken. Das „Frühlingsfest light“ zieht die Massen an. Wie wird die neue Freiheit genutzt? Ein Streifzug.

Auf dem Cannstatter Wasen hat er die Tracht salonfähig gemacht und gilt als Vorreiter beim Partymachen im schicken Stil. „Platzhirsch“ nennt man den Mann, der 1998 auf dem Frühlingsfest sein erstes Bierzelt übernommen hat. Nach zwei Jahren Coronapause sitzt Hans-Peter Grandl, dessen Karriere im Olympiapark München begonnen hat, mit seinem Stammtisch zufrieden lächelnd in einer Loge des Almhüttendorfs der Kollegin Nina Renoldi vor einer Weißweinschorle. Im April ruhig dasitzen – das gab’s vor der Pandemie nie für ihn. Übt der 64-Jährige etwa schon fürs Rentnersein?

Aber nein, „zwei, drei Jahre“ werde er auf jeden Fall noch Festwirt beim Frühlings- und Volksfest bleiben, sagt Grandl, der mit Marcel Benz einen Zweitgeschäftsführer an die Seite geholt hat. Beim „Frühlingsfest light“ ist er allerdings zum Nichtstun verdammt. Offiziell gibt es keine Bierzelte, auch wenn die mit Stoff überdachte Almhütte ganz danach ausschaut. Als die Coronaverbote weitgehend aufgehoben worden sind, war es zu spät für Grandl, auf die Schnelle sein Zelt aufzubauen. Er braucht einen langen Vorlauf.

„Ein Frühlingsfest ohne Partymusik ist wie eine Beerdigung ohne Leiche“

„Ein wenig komisch“ sei es schon, sagt Stuttgarts wohl berühmtester Festwirt, nun ohne Arbeit in der Loge zu hocken. „Aber ich genieß gern.“ Die jungen Leute unter dem Stoffdach genießen es auch, endlich wieder in Dirndl und Lederhosen auf den Bierbänken rumhüpfen und singen zu können. „Ein Frühlingsfest ohne Partymusik ist wie eine Beerdigung ohne Leiche“, hat Grandls Sänger Graziano d´Arcangelo, der „Hofnarr“ Luigi, in den sozialen Medien gepostet. Mit Rücksicht auf den Ukraine-Krieg sind Partybands unerwünscht. Bei Nina Renoldi gibt’s deshalb „Musik light“, entweder im Solo von Akkordeonspieler Uwe (die Hütte schreit „Uwe, Uwe, Uwe!“) oder von einem Duo. Die Lederhosen- und Karohemden-Jungs von den Bänken singen so laut vom „schneeweißen Busen“, der „nur halb bedeckt“ gewesen sei, dass man Uwe an der Quetsche kaum noch hört und sich kaum unterhalten kann.

„Die Menschen werden bewusster feiern – niemand weiß, was kommt“

„Das Frühlingsfest light ist nur ein kleines Warm-up für das Volksfest“, sagt „Partyspielagent“ Florian Gauder. Die Massen strömen auf den Wasen, der Nachholbedarf ist riesig. Wären die drei traditionellen Festzelte doch dabei, würde es sich in der Almhütte nicht so ballen. Kunsthändler Frank Zimmermann freut sich über das „lang ersehnte Wiedersehen mit lieben Menschen“. Sein Eindruck: „Das unbeschwerte Feiern muss wieder ,erlernt’ werden.“ Schon bei der Begrüßung zeige sich Vorsicht: Darf man die Freunde so inniglich umarmen wie früher?

Uwe Sontheimer, den man DJ-Legende nennt, beobachtet ebenfalls Unsicherheit. Bei der gut gefüllten Soulnight in der Alten Reithalle seien die Leute auf Abstand gegangen. „Richtung Sommer wird sich das normalisieren“, vermutet er. Doch es frage sich, ob der Herbst all dies zunichte mache. Corona ist ja noch nicht verschwunden.

Wie lange währt die neue Freiheit? Clublegende Laura Halding-Hoppenheit sagt voraus: „Die Menschen werden bewusster feiern – niemand weiß, was morgen sein wird.“ Hiki Shikano Ohlenmacher vom Partygriechen Cavos berichtet, dass sich bei ihm „die Feierintensität nicht verändert hat“. Eine „komplett neue Generation“ sei am Start, die lange auf ihre ersten Partys gewartet habe. Lorenz Grohe vom Malo stellt fest: „Die Leute treffen sich früher und gezielter zum Feiern.“ DJane Alegra Cole berichtet: „Es kommen weniger zu mir ans DJ-Pult, um mich zu umarmen.“ Manuel Ellwanger, Deutschlands jüngster Honorar-Anlageberater mit BaFin-Lizenz, glaubt, dass sich alles schnell „ins alte Feiern“ einpendeln werde: „Sobald die Fesseln weg sind, wird ausgelassen gefeiert.“

Ist die Zeit der Oberflächlichkeiten vorbei?

Patrick Mikolaj vom Unnützen Stuttgartwissen beobachtet, „dass die Leute Veranstaltungen jetzt intensiver genießen“. Winzer Thomas Diehl wird nachdenklich: „Die Coronagesetze haben bewusst gemacht, welches Privileg es ist, Dinge gemeinsam zu erleben.“ Ist die Zeit der Oberflächlichkeiten vorbei? Die Ukraine ist ein weiterer Grund, Dinge neu zu betrachten. Unser Glück ist nicht selbstverständlich und kann jederzeit verschwinden. Ist doch gut, wenn wir nun erkennen, dass nicht aufgespritzte Lippen, die schönsten Blondierungen und schnellsten Autos entscheidend sind. Der Uwe an der Quetsche soll seine Partykracher spielen – aber wir dürfen trotzdem nicht aus den Augen verlieren, auf was es ankommt im Leben.