Die Fahrräder werden über Foto:  

Europas führende Online-Plattform für Bike und Outdoor betreibt in Untertürkheim ein Retourenzentrum

Untertürkheim - Svenja, ein kleines Mädchen in der schwedischen Stadt Uppsala, wartet schon voller Vorfreude auf ein Kinderfahrrad, das ihre Eltern für sie im Internet bestellt haben. Endlich, der Paketbote ist da. Er klingelt und wenig später ist das neue Rad ausgepackt. Doch schon nach dem Anschrauben der Pedale stellt sie beim ersten Probesitzen fest, dass der Rahmen einen Tick zu groß ist. Die Enttäuschung ist riesig, doch es hilft nichts, es muss zurück zum Händler.

Mit großer Wahrscheinlichkeit landet das Rad wenige Tage später in der Untertürkheimer Postwiesenstraße. Dort betreibt die Internetstores GmbH – Europas führende Online-Plattform für Bike und Outdoor – seit vergangenem Sommer ihr Retouren-Zentrum. Von außen ein modernes, aber eher unscheinbares Fabrikgebäude, der Blick ins Innere würde das Herz von Fahrradfans aber wohl höherschlagen lassen. Schließlich finden sich dort nicht nur Hunderte von Rädern, sondern auf zwei Stockwerken, die sich zur eigentlichen Lagerhalle öffnen, rund 20 Rad-Werkstätten.

Fünf Prozent der Räder werden zurückgeschickt

Vor einigen Jahren wurden die Räder noch zu den Arbeitsplätzen geschoben. „Mittlerweile haben wir jedoch viele Evolutionsschritte durchlaufen, um möglichst effizient zu arbeiten“, sagt Logistikdirektor Markus Knöller. Ähnlich wie im benachbarten Daimler-Werk werden die Fahrräder in einem Hängefördersystem zu den einzelnen Stationen gebracht. „Der Unterschied zur Montage der Autos ist jedoch, dass bei uns immer eine Person den kompletten Retourenprozess begleitet“, so Knöller, der betont, dass nur fünf Prozent der Fahrräder, die jährlich über die Bike-Online-Shops der Internetstores GmbH – 18 in 14 Ländern – zurückgeschickt werden. „Bei rund 250 000 Stück ist das aber auch noch eine Menge Holz.“

Gute Arbeitsbedingungen wichtig

Damit sich dieser Retourenprozess lohnt, müsse effektiv gearbeitet werden. „Um dieses Ziel zu erreichen, wurden die Arbeitsplätze neu konzipiert und nach gesundheitlichen Aspekten optimal gestaltet.“ Unter anderem habe man mit augenfreundlicher Beleuchtung und höhenverstellbaren Tischen für ein „individuell ideales Arbeitsklima“ gesorgt. „Arbeitsbedingungen wie vor 40 Jahren oder schlecht ausgeleuchtete Fabrikhallen sind heute nicht mehr drin.“ Zumal es wirklich schwierig sei, gutes Personal zu finden. „Aber wir wissen, was wir uns über die Jahre aufgebaut haben. Mit dem neuen Logistikzentrum setzen wir neue Standards in der Retourenabwicklung. Es entlastet den bisherigen Standort in Esslingen. So können wir die stetig steigende Nachfrage und die damit verbundene, wachsende Anzahl an Rücksendungen auch in Zukunft zuverlässig bearbeiten“, so Knöller.

Bis 2022 werden 100 Mitarbeiter eingestellt

In Untertürkheim arbeiten derzeit 50 Mitarbeiter, rund 150 wären möglich. Bis 2022 sollen die Arbeitsplätze sukzessive besetzt werden. Gesucht werden aber nicht zwingend zertifizierte Zweiradmechaniker, sondern in erster Linie fahrradaffines Personal. „Wir haben auch einen griechischen U-Boot-Mechaniker im Team. Für ihn stellt die Wartung eines Fahrrads eher eine kleine Herausforderung dar“, sagt Knöller, der nicht nur mit Blick auf die E-Bikes betont, dass die Technik immer komplexer werde. „Heutzutage wird alles elektrifiziert, selbst Schaltungen. Vor zehn Jahren hätte man sich nicht vorstellen können, wohin die Reise geht. Das stellt auch uns vor immer größere Aufgaben.“

Probefahrt am Neckar

Doch was passiert im Detail, wenn ein Fahrrad im Lindenschulviertel eintrifft? Zunächst wird es ausgepackt, digital erfasst und anschließend einer ausgiebigen Kontrolle unterzogen. Wie lang diese ausfällt, unterscheidet sich von Fall zu Fall. Für ein Kinderfahrrad wird weniger Zeit benötigt als für ein Pedelec, bei dem „auch die Software überprüft, gegebenenfalls auch zurückgesetzt und aktualisiert werden muss.“ Manche Reparaturen, wie der Tausch einer Fahrradklingel oder das Wechseln eines ramponierten Griffs, sind eine Sache von ein paar Sekunden. „Beklagt sich der Kunde jedoch über Knackgeräusche beim Treten, sieht es anders aus.“ Dann sei auch mal eine Probefahrt am Neckar entlang notwendig.

Die meisten Bikes ohne Beschädigungen

„Ein Fahrrad, das der Kunde zu ausgiebig getestet hat, können wir nie wieder in den Originalzustand zurückversetzen“, sagt Knöller. „Rund 90 Prozent der Räder haben aber keinerlei Beschädigungen oder Gebrauchsspuren. Sie sind technisch und optisch einwandfrei und können nach einer kompletten Inspektion wieder in den Verkauf gehen.“ Sobald kleine Macken oder Kratzer gefunden werden, gelten die Räder als zweite Wahl. Sie werden dann mit einer exakten Beschreibung der Mängel etwas günstiger angeboten.

Ist wirklich etwas defekt, taucht das Rad nicht mehr auf Internetseiten wie fahrrad.de, bikester.com oder probike shop.fr auf. Ein Ausschlusskriterium wäre beispielsweise eine verbogene Gabel. Dann wird es an einen Großhändler verkauft, der den Schaden repariert beziehungsweise das entsprechende Teil austauscht. Er bringt es allerdings nicht mehr im Originalzustand auf den Markt.

Große Unterschiede auch beim Zubehör

Ähnlich wie bei den Fahrrad-Retouren sieht es auch beim Zubehör aus. Um umständliche Laufwege zu reduzieren, werden die Pakete jedoch von einer Maschine aufgeschnitten und automatisch in Kisten verteilt. Diese werden dann von autonom fahrenden Wagen an die Arbeitsplätze geliefert. Dort findet wie schon bei den Rädern eine klassische Begutachtung statt. Und wieder sind die Unterschiede riesig: Vom völlig verdreckten Schuh, über den Tacho mit Pixelfehlern, bis zum ungetragenen Funktionsshirt ist alles vertreten.

Ware wird nicht geschreddert

Rückläufer zu schreddern, wie es manch anderer E-Commerce-Händler macht, sei bei der Internetstores GmbH tabu. Selbst, wenn es bei Waren unter einem gewissen Wert wohl die wirtschaftlichere Variante wäre. „Zu 99,9 Prozent gehen die Produkte bei uns wieder in den Kreislauf“, sagt Knöller, der selbst passionierter Mountainbiker ist. „Bei einem Fahrrad muss schon der Rahmen gebrochen sein, dass wir es verschrotten. Alles andere würde auch nicht zur DNA des Unternehmens passen.“ Als Versender von Fahrrädern spreche man das Gesundheits- und Umweltbewusstsein der Kunden an, dementsprechend müsse man auch ein stückweit handeln. „Eben auf den ökologischen Fußabdruck achten.“

Exakte Beschreibung wichtig

Deutlich sinnvoller sei es, die Zahl der Rückläufer so weit wie möglich zu reduzieren. Hierfür sei die exakte Beschreibung der Ware das A und O. „Angaben wie die Rahmengröße und die Schrittlänge müssen passen.“ Auch ein falsches Bild oder eine fehlerhafte Beschreibung könne man sich nicht leisten. „Der Kunde will exakt das Rad, das er bestellt hat. Darüber hinaus ist es wichtig, dass man die Retouren selbst abwickelt. Ein Dienstleister hätte nicht unser Know-how.“ Der Kundenservice könne die richtigen, aber auch die falschen Fragen stellen. „Würde man das in externe Hände abdrücken, geht ein defektes Rad im schlechtesten Fall wieder raus.“ Am Kunden zu testen, könne man sich aber nicht erlauben. „Schließlich wollen wir ja, dass er nicht nur einmal, sondern immer wieder bei uns ein Rad kauft“, sagt Knöller, dem in der Weihnachtszeit etwas ruhigere Tage bevorstehen. „Dieses Jahr war die Nachfrage konstant recht hoch. Aber richtig rund geht es von April bis August, eben in der Rad-Saison.“