60 Stadträte, der OB und die Bürgermeister: Wann der Gemeinderat in diesem Saal in voller Stärke wieder zusammenkommt, ist zurzeit unklar. Foto: Lg/Leif Piechowski

Immer öfter hat Stuttgart geschlossen. In den Straßen und an den Orten, die in Normalzeiten öffentlich sind, regiert immer mächtiger das Coronavirus. Und im politischen Stuttgart?

Stuttgart - Normalerweise geht es im Rathaus zu wie im Taubenschlag. Und nun dies: „Da kommt man ja kaum rein. Nur wenn man den Ausweis zeigt, oder so“, sagt Gabriele Nuber-Schöllhammer. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende geht trotzdem täglich hin, obwohl die Stadträte dort momentan nicht so gefragt sind wie zu normalen Zeiten. Allein schon zum Postanschauen zieht es sie hin. Ihrem CDU-Pendant Alexander Kotz geht es ähnlich.

Beschlüsse im elektronischen Verfahren

Die beiden Fraktionschefs müssen in diesen Tagen wie alle Stadträte damit leben, dass Stuttgart anders regiert wird als sonst: im Krisenmodus. Der Demokratiebetrieb auf Sparflamme ist das Ergebnis einer Übereinkunft, die die Fraktionschefs am 17. März mit OB Fritz Kuhn (Grüne) und der Bürgermeisterrunde trafen. Beratenden Ausschüssen war schon vorher eine Pause bis 2. April avisiert – dann wurde es auf beschließende Ausschüsse und die Vollversammlung ausgedehnt.

Nun gilt: Beschlüsse einfacher Art sollen die Ausschüsse im elektronischen Verfahren fassen. Die Verwaltung bittet zu den einzelnen Themen um Zustimmung – und wer nicht innerhalb von fünf Tagen widerspricht, hat zugestimmt. Wenn unabweisbar wichtige Dinge entschieden werden müssen, erledigt das der OB und Gemeinderatsvorsitzende Kuhn per Eilentscheidung. Wichtiges, was aber noch etwas warten kann, soll in einer Sitzung der Vollversammlung aufgerufen werden, die für den 2. April geplant ist. Mangels Vorberatungen könnte sie lange dauern. Daher haben Kuhn und der für Verwaltung, Kultur und Recht zuständige Erste Bürgermeister Fabian Mayer (CDU) am Freitag bei einer Telefonkonferenz mit den Fraktionschefs sondiert, welche der rund 40 Tagesordnungspunkte man durchwinken kann und welche man länger behandeln muss; und ob es nicht reiche, wenn die Fraktionen jeweils in halber Stärke kämen. „Wir haben das aus Sicherheitsgründen getan, um das Ansteckungsrisiko zu verringern“, sagt Kuhn.

Kritik kommt von Linksbündnis

Bei Thomas Adler (Linksbündnis) traf man einen wunden Punkt. So könne man nicht angemessen Kommunalpolitik machen, meint Adler: mit einer übermächtigen Verwaltung, mit nur einer Gemeinderatssitzung pro Monat und ohne die Ausschüsse, in denen die Abwägung läuft. Dagegen kann CDU-Fraktionschef Kotz mit der halben Fraktionspräsenz leben, wenn man fliegende Wechsel vornehmen und jeweils die Fraktionsexperten zuziehen und die anderen derweil rausschicken könnte. Nuber-Schöllhammer sieht es ähnlich. Sie würde sich unwohl fühlen, sollten 60 Stadträte und die Verwaltungsspitze zusammen tagen, während Bürger sich maximal zu zweit treffen dürfen.

Kotz hätte es ursprünglich auch lieber gesehen, wenn die wichtigen Ausschüsse weiterhin tagen würden, unter Umständen eben im Großen Sitzungssaal statt im Kleinen. Der CDU-Fraktionsführer hätte gern ausgeschlossen, dass die Sitzungspause außerhalb des Rathauses missverstanden werden kann. Es sei doch schwer zu erklären, dass beispielsweise die Mitarbeiter seines Sanitärbetriebs auf Baustellen mit vielen anderen unter viel schlechteren hygienischen Umständen arbeiten sollen, die Stadträte aber nicht. Dann ließ sich Kotz aber davon überzeugen, dass man die Bürgermeister in dieser Krise vom Alltagsgeschäft entlasten sollte. Im Grunde sei es ja auch richtig, räumt Kotz ein, dass Entscheidungen wie jene über die Erweiterung eines Abwasserkanals auch mal länger warten könnten. Er glaube nicht, dass viel anbrenne. Nuber-Schöllhammer sieht es ähnlich, zumal man regelmäßig über neue Entwicklungen und Probleme informiert werde. Deshalb wird sich Adler wohl nicht durchsetzen können, obwohl er erwartet, dass der OB diese Woche noch auf das Thema zu sprechen kommt.

Wie geht es nach dem 2. April weiter?

Kuhn signalisierte am Montag gegenüber unserer Zeitung Verständnis dafür, dass der Gemeinderat tagen will. Das Stadtoberhaupt wirbt im Rathaus aber auch um Verständnis dafür, dass man die Abläufe ändert. Wie genau man nach dem 2. April verfahren werde, sei lageabhängig und derzeit nicht genau zu sagen, sagte Kuhn unserer Zeitung. Im Moment ist eine weitere Gemeinderatssitzung Ende April vorgesehen. Darüber hinaus ist der Sitzungsplan noch nicht fertig.

Und wie erleben die Fraktionen die Verwaltung bei der Krisenbewältigung? Nach Einschätzung von Kotz ist sie „ordentlich gefordert", aber sie reagiere trotzdem relativ souverän, „gerade auch das Gesundheitsamt“.

Dessen Leiter Stefan Ehehalt wird allenthalben eine aufopferungsvolle Tätigkeit bescheinigt. „Er und auch Jan Steffen Jürgensen und seine Mitarbeiter im Klinikum machen einen sehr guten Job“, lobt der OB.

Die letzte Karte haben Kuhn und Mayer noch nicht gezogen: Die Stadt könnte aus dem bisherigen Verwaltungsstab – er tagt dreimal pro Woche oder notfalls werktäglich mit dem OB, den Bürgermeistern und Vertreter von Polizei, Feuerwehr, Klinikum, Ordnungsamt und Gesundheitsamt – einen Vollzeitstab machen. Zurzeit sind die Mitglieder noch Heimschläfer. „Wir haben aber Pläne in der Schublade, um gegebenenfalls auf einen Präsenzstab umzustellen“, sagt Mayer. Das würde bedeuten, dass sich die Mitglieder bis auf Weiteres rund um die Uhr im Rathaus aufhalten, um nötige Maßnahmen zu beraten, dass sie dort übernachten und mit Essen versorgt werden. Das Gremium würde dann Entscheidungen weitgehend ohne Rückkoppelung mit den politischen Gremien treffen, quasi ein Exekutivrecht wahrnehmen. Laut Mayer braucht es dazu nicht die Ausrufung des Katastrophenfalls. Das Infektionsschutzgesetz reiche.