Die Gottesanbeterin profitiert vom Klimawandel. Foto: dpa//Jens Büttner

War es tatsächlich eine Gottesanbeterin? Oder doch nur eine ziemlich große Heuschrecke? Eine Spaziergängerin glaubt, das seltene Insekt auf der Egelseer Heide entdeckt haben.

Rotenberg - War es tatsächlich eine Gottesanbeterin? Oder doch nur eine ziemlich große Heuschrecke? Sybille Riedemann ist sich nicht sicher, was sie da vor einigen Tagen bei einem Spaziergang auf der Egelseer Heide in einer Böschung am Wegesrand entdeckt hat. Die Fellbacherin glaubt zwar, das grasgrüne Etwas als Gottesanbeterin erkannt zu haben, „aber die kommt hier doch gar nicht vor, oder?“

Einheimische Art

Die Antwort des Experten lautet: Jein. Wie Claus Zebitz von der Universität Hohenheim berichtet, seien bislang zwar noch keine Funde in Stuttgart bekannt. „Ältere Funde aus den Jahren 2017 und 2019 liegen aber aus Esslingen und Filderstadt vor.“ Die Gottesanbeterin ist eine in Baden-Württemberg heimische Art. Das Hauptverbreitungsgebiet ist das obere Rheintal, vor allem der Kaiserstuhl, die wärmste Region in Deutschland. In der Zwischenzeit trifft man sie aufgrund des Klimawandels auch in nördlicheren Regionen Deutschlands an – selbst in Brandenburg wurde sie bereits gesichtet.

„Es ist bei weiterer Erwärmung des Klimas auch mit ihrem Auftreten im Stuttgarter Raum zu rechnen“, meint Zebitz. Und die Egelseer Heide sei „die wohl aussichtsreichste Fläche für die Ansiedlung der Gottesanbeterin“. In den Weinbergen des Stuttgarter Talkessels würden die Temperaturen zwar passen, aber die im Wengert notwendigen Arbeiten das Ruhe suchende Insekt zu sehr stören. Gleiches gelte für Flächen auf der Wangener Höhe. Auch dort käme es auf die Nutzungsintensität an. „Auf Brachflächen oder nicht genutzten warmen Flächen würde sie sich wohl fühlen.“

Charakterischer Kopf

„Mantis religiosa“ lautet der Fachbegriff für die Europäische Gottesanbeterin. „Mantis“ bedeutet Seherin und stammt aus dem Griechischen. Da sie die Fangarme so zusammenfaltet, als ob sie beten würde, kommt noch der Zusatz „religiosa“ dazu – daher der ungewöhnliche Name für die Fangschrecke. Zu beobachten wäre das bis zu sieben Zentimeter große Insekt durchaus in diesen Tagen: Ende Juli bis Anfang August schlüpfen die erwachsenen Gottesanbeterinnen. Nach zwei Wochen sind die Insekten geschlechtsreif. Wenige Tage nach der Begattung legt das Weibchen die Eier in Paketen mit 100 bis 200 Eiern ab. In einer zähen schleimigen Schutzhülle überwintern die Eier, während die erwachsenen Gottesanbeterinnen im Spätherbst sterben. Die Gottesanbeterin liebt sonnige Hänge, Büsche, Sträucher und Waldränder, doch man findet sie auch im Grasland. Es muss immer etwas in der Umgebung blühen, das andere Insekten – ihre Nahrung – anlockt. Auf ihrem Speiseplan stehen Spinnen, Wildbienen oder Fliegen, eigentlich alles, was sich vor ihr bewegt. Wenn sie sich häutet, kann sie sich farblich zwischen grasgrün und erdbraun der jeweiligen Umgebung anpassen. Die Tarnung macht sie nicht nur für ihre Beute schwer erkennbar, sondern schützt die Gottesanbeterin auch vor Eidechsen, Vögeln und anderen Fressfeinden. Charakteristisch sind ihr dreieckiger Kopf mit den „Alien-Augen“ und die auffälligen Vorderbeine, mit denen sie Beute macht: Geduldig lauert sie, immer bereit, blitzschnell zuzupacken, wenn etwas Leckeres vorbei schwirrt. Das Opfer wird dann bei lebendigem Leibe verspeist. Der große Appetit der Europäischen Gottesanbeterin macht auch vor eigenen Artgenossen nicht Halt. Es kann schon vorkommen, dass das größere Weibchen unmittelbar nach der Paarung das kleinere Männchen verspeist, wenn es sich nicht rechtzeitig in Sicherheit gebracht hat. Ein Schädling sei die Gottesanbeterin nicht, betont Zebitz. Im Gegenteil: Sie ist streng geschützt und steht auf der Roten Liste. Gefangen werden darf sie nicht.

Sichtung melden

Belegen könne sie ihre Sichtung leider nicht, ärgert sich Sybille Riedemann. „Ich hatte keine Kamera dabei.“ Vielleicht, so hofft sie, werde sie beim nächsten Spaziergang auf der Egelseer Heide das seltene Insekt wiederfinden. Über ein Foto würden sich übrigens auch die Experten freuen. Einen solch seltenen Fund sollte man deshalb ganz offiziell melden. Dazu ruft die Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW) ausdrücklich auf. „Jede Sichtung hilft, einen fundierten Überblick über die Verbreitung der Art zu erhalten. Anhand der Daten können zum Beispiel die Auswirkungen des Klimawandels beobachtet sowie die Intensivierung der landwirtschaftlichen Nutzfläche und der Einsatz von Pestiziden dokumentiert werden“, heißt es auf der Internetseite der LUBW.

Jeder, der eine Gottesanbeterin findet, kann die entsprechenden Daten schnell über eine Meldeplattform im Internet eingeben. Sie ist über die Webadresse www.gottesanbeterin-bw.de aufrufbar.