Klettern in Indoor-Anlagen wie hier in Degerloch gilt eigentlich als sicherer Sport. Foto: Leif Piechowski

In einer Kletterhalle in Stuttgart wird ein Mann so schwer verletzt, dass er im Rollstuhl sitzen muss. Jetzt gibt es das zweite Urteil in dem schlimmen Fall.

Stuttgart - Ein Kletterunfall mit katastrophalen Folgen hat ein vorläufiges juristisches Ende gefunden. Der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Stuttgart hat das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts teilweise aufgehoben. Neu ist: Der Betreiber der Indoor-Kletteranlage in Degerloch ist – anders als im ersten Urteil – hauptverantwortlich für den Unfall und für die Folgen (AZ: 6 U 194/18).

Der Fall hat sich bereits im Jahr 2011 zugetragen. Ein damals 36 Jahre alter Mann war in der Kletteranlage auf der Waldau in Degerloch von Halle 1 in Richtung Halle 2 unterwegs gewesen. Der Durchgang dort war lediglich 2,80 Meter breit. Heute ist das anders. An beiden Seiten des Durchgangs wurde geklettert.

Plötzlich stürzte ein Mann trotz Sicherungsseil ab und fiel auf den heute 45-Jährigen. Der Geschädigte erlitt Frakturen der Wirbelsäule und ist seither querschnittsgelähmt. Er verklagte den gestürzten Kletterer, die Frau, die ihn zu sichern hatte, und die Betreiberfirma der Kletteranlage auf Schadenersatz und Schmerzensgeld.

Richter haben Zweifel am ersten Urteil

Das Landgericht verhandelte den Fall erst 2018 und entschied: Der abgestürzte Kletterer und auch der Betreiber seien nicht haftbar zu machen. Dem Opfer sei ebenfalls keine Mitschuld zuzurechnen. Nur die Frau, die mit dem Abgestürzten eine Klettergemeinschaft gebildet hatte und ihn sichern musste, sei schadenersatzpflichtig.

In der Hauptverhandlung im Februar dieses Jahres hatte sich der 6. Zivilsenat mit dem vertrackten Fall beschäftigt. Vorsitzender Richter Oliver Mosthaf hatte mehrere Zweifel am Urteil der Vorinstanz geäußert. So müsse man fragen, ob in dem Durchgang überhaupt geklettert werden durfte und ob das nicht zu gefährlich sei? Schließlich sei die Kletteranlage nicht für Profis reserviert, sondern frei zugänglich, auch für Kinder- und Schülergruppen. Dass das Landgericht keinen Zusammenhang zwischen dem schmalen Durchgang und dem Unfall gesehen hatte, sei „für uns nicht ganz nachvollziehbar“, so Richter Mosthaf. Auch die Feststellung, der Geschädigte habe keinen Fehler gemacht, sei so nicht klar. „Er befand sich zweifelsfrei im Sturzbereich der Kletterer“, sagte der Richter.

Höhe des Schmerzensgelds noch unklar

Neben dem Opfer war die junge Frau, die den gestürzten Kletterer zu sichern hatte, ebenfalls gegen das Urteil des Landgerichts in Berufung gegangen – mit Erfolg. „Dem Kläger ist es nicht gelungen, ein fahrlässiges Fehlverhalten der sichernden Frau zu beweisen“, sagt der 6. Zivilsenat. Nach einer detaillierten Befragung des Sachverständigen sei der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass die Beklagte keinen Sicherungsfehler begangen habe. Es sei nämlich nicht auszuschließen, dass es durch eine Verkettung unglücklicher, der Frau nicht vorzuwerfender Umstände zu dem Sturz des Kletterers gekommen sei. Ein weiteres Gutachten sei nicht zielführend.

Die Frau und der gestürzte Kletterer sind nach dem Urteil aus dem Schneider, nicht aber die Betreiberfirma der Kletteranlage.

Das Landgericht hatte noch geurteilt, die von der Betreiberfirma geschaffene räumliche Situation in dem Durchgang sei für den Unfall nicht ursächlich. Das sehen die Richter und Richterinnen des 6. Senats ganz anders.

Der Betreiber der Anlage habe mit dem engen und stark frequentierten Durchgang seine Verkehrssicherungspflicht verletzt. Die Firma sei für den Unfall zu 75 Prozent haftbar. Dem schwer verletzten Mann seien 25 Prozent Mitschuld zuzurechnen.

Ursprünglich hatte das Opfer 600 000 Euro gefordert. Über die Höhe des Schadenersatzes muss jetzt gesondert befunden werden. Eine Revision gegen sein Urteil hat der Senat nicht zugelassen.