Wenn morgen die Lichter ausgingen, könnte die Landeshauptstadt noch nicht einmal Kerzen ausgeben. Nun will sie schnell eine lange Einkaufsliste abarbeiten.
„Blackout – Morgen ist es zu spät“, mit diesem Thriller hat Marc Elsberg vor zehn Jahren die katastrophalen Auswirkungen eines (vorsätzlich herbeigeführten) europaweiten Stromausfalls beschrieben. Bis in die Stuttgarter Stadtverwaltung ist das Gänsehaut-Feeling damals offenbar nicht vorgedrungen, oder es hielt nicht lange an. Die Landeshauptstadt zeigt sich jedenfalls erkennbar blank bei der Vorsorge für derartige Gefahren, auch noch fast ein Jahr nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine, der die Versorgungslage verschärft hat.
Kaum Schutz für die Bevölkerung
Man könne „weder einen adäquaten Dienstbetrieb aufrechterhalten“, noch der Bevölkerung „den benötigten Schutz und die erforderliche Unterstützung in ausreichender Form zur Verfügung stellen“, ließ Ordnungsbürgermeister Clemens Maier (Freie Wähler) den Gemeinderat wissen. Fakt sei übrigens, dass das Stromnetz durch unstete erneuerbare Energien und den Wegfall der „verlässlichen Kohle- und Atomenergie“ in Deutschland „anfälliger ist wie seither“. Eine Einschätzung in der Verwaltungsvorlage, für die die AfD Maier höchstes Lob zollte. Sie sieht ihre Position damit vollauf bestätigt und würde gern weiter auf Atomstrom setzen. Stadt und Gemeinderat befänden sich schon länger auf einer „linksideologischen Geisterfahrt“, so AfD-Rat Kai-Philip Goller. Man freue sich über die klaren Aussagen der Stadt, so AfD-Rat Frank Ebel. Sie wurden von anderen Fraktionen mit Befremden zur Kenntnis genommen.
Schluchseekraftwerk zentral für Schwarzstart
Bei einem großflächigen Stromausfall wären die Kommunen im Land weitgehend auf sich gestellt. Nach einem Blackout mit völligem Zusammenbruch des Netzes wäre ein Schwarzstart nötig, Kraftwerke müssten also ohne Netzhilfe von außen wieder anlaufen. Im Land würde der Netzbetrieb über die Schluchseewerke und die Vorarlberger Illwerke wieder aufgebaut, teilte Umwelt- und Energieministerin Thekla Walker (Grüne) in der Antwort auf eine FDP-Anfrage mit. Alle übrigen Kraftwerke würden dann nach und nach zugeschaltet.
Empfehlung: Kraftstoffvorrat für drei Tage
Das Land empfiehlt Unternehmen und Behörden, eine Ersatzstromversorgung für 72 Stunden ohne Treibstoffnachlieferung vorzuhalten, im Klinikum soll das der Fall sein und auch im Rathaus verfüge man über eine Notstromversorgung, sodass ein Katastrophenschutzstab und „rudimentäre Verwaltungsbereiche“ arbeiten könnten. Ansonsten sieht es in der Verwaltungszentrale düster aus. Einen umfassenden Notfallplan, räumt Clemens Maier ein, gibt es nicht, Nachbarschaftshilfe sei bei einem derartigen Katastrophenszenario nicht zu erwarten. Die Erreichbarkeit wäre erschwert, weil Festnetz, Mobiltelefonie und auch E-Mail wohl ausfallen und der Zugriff auf digitale Daten nicht mehr möglich sein wird. Satellitentelefone könnten helfen, die Stadt besitzt aber keine. Da beim Digitalfunk mit Problemen gerechnet werde, bleibe nur noch der analoge Fahrzeugfunk.
Ein Notfalltreffpunkt pro Bezirk
Die ernüchternde Bilanz unter der Federführung der Branddirektion führt nun zu Sofortmaßnahmen. 200 000 Euro werden für die Aufstellung eines Notfallplans bereitgelegt, 30 000 Euro gibt es für Social-Media-Beiträge, mit denen die Bevölkerung für das Thema und eine Eigenvorsorge sensibilisiert werden soll. Viel Geld fließt in Technik: 27 Notstromaggregate auf Anhängern werden beschafft, zudem 41 tragbare, 23 Heizsysteme und 64 Beleuchtungspakete, damit in jedem Stadtbezirk wenigstens ein Notfalltreffpunkt ausgestattet werden kann. Maximal wären es 41, analog zu den Ausgabestellen für Jodtabletten in Sporthallen nach einem atomaren Störfall.
Analoger Fahrzeugfunk wichtig
„Leuchttürme“ in einer stromlosen Stadt wären die Magazine der Freiwilligen Feuerwehr. Von dort aus könnten über den Fahrzeugfunk Hilferufe abgesetzt und Hilfe koordiniert werden. Auch diese benötigen Stromaggregate. Dazu kommt Kleinkram von Arbeitsscheinwerfern über Biertischgarnituren (400 Stück), Feldbetten, Kabeltrommeln, Steckdosenwürfel, Funktionswesten und Kraftstoffkanister. Damit diese überhaupt befüllt werden können, schafft die Landeshauptstadt auch drei mobile Tankstellen auf Anhängern mit 1000 Liter Inhalt an. Die Planung für die Kraftstoffversorgung sei „in der Endphase“. Im Notfall zapfen die Stuttgarter Straßenbahnen, der Abfallwirtschaftsbetrieb und Bosch das Tanklager im Hafen an. Tankfahrzeugunternehmen sollen die Belieferung übernehmen, das sei teils schon vereinbart. Die mobilen Tankstellen kommen dazu.
Langer Einkaufzettel
Auch auf einen Notstand bei der Gasversorgung will sich die Stadt vorbereiten. 70 Prozent der 323 000 Haushalte wären davon betroffen, und bei einem Stromausfall würde wohl keine Gasheizung mehr laufen. Manche Bezirke werden mit Fernwärme versorgt, hier wären Stadtbüchereien, Jugendhäuser und Begegnungsstätten Anlaufstellen, in Stadtteilen ohne Fernwärme sollen 41 Heizsysteme für Wärmestuben verteilt werden – zusätzlich zu den 23 bei den Freiwilligen Feuerwehren. Insgesamt summiert sich der Einkaufszettel der Stadt damit auf vier Millionen Euro. Wartung und Instandhaltung des Maschinenparks werden künftig rund 170 000 Euro im Jahr kosten.