Joel Small, der Reflektra spielt, das „Double“ von Rusalka, bei der queeren Opernfeier. Foto: Andreas/ Engelhard

Das hat die Staatsoper im Littmann-Bau in 110 Jahren noch nicht erlebt: eine queere Feier mit Dragqueens! Unser Kolumnist war außerdem beim Benefiz der Ballettfamilie im Yafa für die Ukraine und verrät, warum Ronaldinho auf Mode aus Stuttgart steht.

Mit Kastratenstimmen, mit Frauen, die Männerrollen spielen, und einem hohen Anteil von Gays als Stammklientel dieses Genres war die Oper immer schon eine queere Kunstform. Bei der euphorisch bejubelten Inszenierung von Dvořáks „Rusalka“ in Stuttgart stehen gleich fünf Dragqueens und ein Dragking auf der Bühne – eine Weltpremiere im altehrwürdigen Haus!

Musicalstar Kevin Tarte ist nach der Premiere hin und weg. „Großartig!“, jubelt er. Schon mehrfach hat er die Oper besucht, aber so eine Begeisterung noch nie erlebt. „Nicht einen Buhruf“ habe er gehört, was nicht oft vorkomme. Bei der queeren Feier im oberen Foyer strahlt Intendant Viktor Schoner, als wolle er alle einzeln umarmen. Der Ehrgeiz, dass sich die Oper immer wieder für Neues öffnet und Diversität als Reichtum für alle erkennt, treibt ihn an. In seiner Rede begrüßt er die „sehr geehrten Herren“ und „sehr geehrten Damen“, aber auch alle, „die dazwischen sind“.

Das Märchen um die Meeresjungfrau wird von Dragqueens erzählt

Die Märchenoper um die Meeresjungfrau, die sich in einen Menschen verliebt und mit anderen Geschöpfen der Wasserwelt in einen Strudel der Identitäten gerät, weil Liebe und Sex so viele Facetten haben, sorgt rundum für Hymnen von Kritikerinnen, Kritikern und allen, die dazwischen sind.

Die Stuttgarter Dragqueen Vava Vilde, 32, gehört zu den Bejubelten. Als Regisseur Bastian Kraft, 42, sie fragte, ob sie mitmachen wolle bei „Rusalka“, ohne selbst zu singen, erwiderte Michael (so sein Name als Mann), das könne doch niemals funktionieren. Wie schwer müsse es sein, die Lippen synchron zu den „echten“ Sängerinnen der Staatsoper zu bewegen, und das auch noch in tschechischer Sprache! Nach wochenlangen Proben, dank eiserner Disziplin klappt dies hervorragend. Das Publikum ist geflasht, die Glamour-Offensive rutscht nicht in den Klamauk ab. Das umjubelte Ensemble, das Team hinter der Bühne und prominente Gäste feiern deshalb die erste offizielle Queerparty in der Geschichte des vor 110 Jahren eröffneten Hauses. Vava kommt ohne seine langen blauen Haare, herzt die ehrenamtliche Helfer der Aids-Hilfe, die ebenfalls mitfeiern.

Ex-Fußballstar Ronaldinho trägt bunte Mode aus Stuttgart

Vor zehn Jahren hat Vava Vilde, bekannt aus der Pro-Sieben-Show „Queen of Drags“, bei der Aids-Hilfe in Stuttgart damit begonnen, sich in der „MSM-Prävention“ zu engagieren (MSM steht für Männer, die Sex mit Männern haben). Zu den begeisterten Gästen der Opernparty zählt Stefan Wolf, der Präsident der Metallarbeitgeber. Großes steht ihm bevor: Im Herbst will er seinen Partner Kevin Tarte heiraten.

Alles so schön bunt hier! Stuttgart ist fürwahr keine graue Maus, wie Unwissende außerhalb dieser Stadt meinen. In Brasilien gibt’s einen Stuttgart-Fan – einen Fan von bunter Mode made in Stuttgart. Fußball-Weltmeister Ronaldinho hat sich die gesamte T-Shirt-Kollektion von Pop-Artist Romulo Kurányi schicken lassen, der seine Werke in limitierter Edition auf Stoff drucken ließ. Romulos Bruder, der Ex-Fußball-Profi Kevin Kurányi schenkte Ronaldinho ein Shirt daraus. Der war so begeistert, dass er sich damit filmen ließ, das Resultat in den sozialen Medien gepostet hat – dank dieser kostenlosen Werbung boomen die Artist-Geschäfte von Romulo Kurányi, der gerade in Berlin zur Eröffnung seiner Werke im Fünf-Sterne-Hotel SO/ Berlin Das Stue weilt.

Benefizdinner im Yafa für junge Tanztalente aus der Ukraine

Beim Feiern und im bunten Leben nicht die Ukraine vergessen! George Bailey, als Korrepetitor ein Urgestein des Stuttgarter Balletts, kommt zum Benefizdinner des früheren Startänzers und heutigen Wirts Marijn Rademaker in dessen Yafa mit gelb-blauem Hut – in den Farben des überfallenen Landes: Ausverkauft ist das Menü, das mit einem Eintritt von 150 Euro 16 jungen Tanztalenten helfen soll, die aus der Ukraine geflüchtet sind und nun in der John-Cranko-Schule leben. Im Yafa treffen sich viele Ballettfreunde. Auch die 94-jährige Georgette Tsinguirides ist dabei, die als Tänzerin 1945 begann und als Ballettmeisterin 2015 ihr 70-Jahr-Dienstjubiläum gefeiert hat – lange vor der Queen. Beim Benefizdinner zeigt die Ballettfamilie mit ihrer „Queen Georgette“: Die Künste wollen nicht nur schön sein, sondern auch Verantwortung übernehmen. Bravo!

Intendantin Susanne Heydenreich an Corona erkrankt

Klar ist auch: Die Pandemie ist nicht vorbei. Vor der Premiere von „Doppelt hält besser“ im Theater der Altstadt ist Intendantin und Regisseurin Susanne Heydenreich an Corona erkrankt – auch zehn weitere Personen im Theater. Die Probenleitung übernahm Schauspielerin Monika Hirschle. So muss es sein: Kultur hilft sich gegenseitig!