Die Vorzeichen für das Projekt einer Seilbahn in Stuttgart haben sich eher verbessert: Gutachter halten eine vernünftige Strecke im Raum Vaihingen für möglich. Foto: dpa/Britta Pedersen

Bis zu vier Seilbahnstrecken in Stuttgart werden auf ihre Machbarkeit geprüft. Das Zwischenergebnis für das Projekt in Stuttgarts Filderbezirken Vaihingen und Möhringen verzückt manche Stadträte geradezu. Auch die Experten halten eine attraktive Lösung für möglich.

Stuttgart - Manche halten sie wahrscheinlich immer noch für Spinnerei, die Idee einer Seilbahn zwischen dem früheren IBM-Campus mit den Eiermann-Bauten im Stadtbezirk Vaihingen und dem Autobahnanschluss Möhringen – über den Vaihinger Bahnhof und den Synergiepark Möhringen-Vaihingen hinweg. Doch die Idee nimmt weiter Fahrt auf. Im Technik-Ausschuss des Gemeinderats zeigten sich jetzt so ziemlich alle Fraktionen mit Ausnahme des Linksbündnisses erfreut bis begeistert über den Zwischenstand bei der Machbarkeitsuntersuchung. Der zunächst angepeilte Endpunkt Messe/Flughafen jedoch ist in der Sitzung entzaubert worden – stattdessen läuft es nun immer stärker auf eine Station mit Parkhaus beim Autobahnanschluss Möhringen hinaus.

Warum kommt die Verbindung zum Flughafen ins Hintertreffen?

Da man auf dem Weg zum Flughafen unterwegs keine weiteren Fahrgäste einsammeln könnte, stehe der Nutzen in einem unguten Verhältnis zu dem Aufwand, meint Stefan Tritschler vom Verkehrswissenschaftlichen Institut Stuttgart. Zumal die Reisezeiten recht lang seien. Außerdem: Im Moment wird die Stadtbahnlinie U6 zur Messe und zum Flughafen verlängert. Von ihrer Trasse wird durch eine Schienen-Eckverbindung beim SSB-Zentrum eine attraktive Verbindung zwischen Flughafen einerseits sowie Vaihingen und Dürrlewang andererseits möglich. Da käme ein Seilbahnbau über die A8 hinweg einer „Kannibalisierung“ des Stadtbahnangebotes gleich, sagt Tritschler. Der Wunsch mancher Stadträte, dass die Seilbahn schon jenseits der Stuttgarter Stadtgrenze Umsteiger vom Auto aufnimmt, ist dennoch nicht völlig abgebügelt worden. Die Experten sowie der Städtebau- und Umweltbürgermeister Peter Pätzold (Grüne) halten eine spätere Erweiterung über die Stadtgrenze hinaus für denkbar. Allerdings rückt da eher Sindelfingen ins Blickfeld.

Wie attraktiv ist die Seilbahn für Umsteiger?

Ob der Verkehrswissenschaftler Tritschler, ob der städtische Chefverkehrsplaner Stephan Oehler oder ob Michael Welsch vom Ingenieurbüro SSP Consult in Möhringen: Alle Berichterstatter im Ausschuss über die laufende Studie für bis zu vier Seilbahnprojekte in Stuttgart müssen eines einräumen: dass gerade die prioritär behandelte Trasse im Raum Vaihingen recht wenig Autofahrer zum Umstieg in die Seilbahnkabinen animieren würde. Das Gros der Fahrgäste würde wohl aus anderen öffentlichen Verkehrsmitteln rekrutiert werden. Daraus ergibt sich ein Problem, eine günstige Kosten-Nutzen-Bewertung und Zuschüsse von Bund und Land zu erhalten. Dennoch wird die Idee nicht rundweg verworfen, denn mit einem Parkhaus an der A8 und einer „strikten Parkraumbewirtschaftung im Synergiepark“ Möhringen-Vaihingen würden die Umsteige-Effekte „spürbar erhöht“, sagt Tritschler. Sprich: Parkplätze im Gewerbegebiet würden knapp gehalten, Beschäftigten von ihren Arbeitgebern Stellplätze im Parkhaus an der A8 angeboten.

Wie würde der Seilbahnbetrieb funktionieren?

Die Seilbahn wäre bei einem Komplettausbau zwischen altem IBM-Gelände und Anschlussstelle Möhringen durch die sehr gute Anbindung an den Bahnhof Vaihingen sehr attraktiv, heißt es im Zwischenfazit. Pro Tag würden mehr als 10 000 Fahrgäste transportiert. Optimismus schürten die Experten auch, was die Durchsetzbarkeit so einer Trasse angeht. Man habe Verbindungen über öffentliche Grünanlagen und Straßen hinweg gesucht und auch geeignete Standorte für die Masten und die Zwischenstationen ausgeguckt, berichteten sie. An einer Stelle in Vaihingen würde es über ein Gartenhausgelände hinweg gehen – und auch über das Freibadgelände. Die Wartezeiten für Seilbahnfahrgäste wären gering, wenngleich die Reisezeiten tendenziell ein wenig länger sein könnten als mit anderen Verkehrsmitteln, hieß es. Große Kabinen könnten auch Fahrräder und Rollatoren aufnehmen. Die bis zu fünf Stationsgebäude könnten passgenau für die jeweiligen Grundstücke gebaut werden – mit oder ohne WCs.

Was ist mit Einblicken in Grundstücke und Häuserfenster?

Man bewege sich hoch oben, hieß es. Eine direkte Konfrontation mit Fenstern gebe es nicht. Man habe Persönlichkeitsrechte von Anliegern „weitgehend zu berücksichtigen versucht“. Und wenn man Freibadbesucher gegen neugierige Blicke von oben schützen wollte, gebe es auch eine Möglichkeit: Für solche Wegstrecken könne man heutzutage die Kabinenfenster „technisch abdunkeln“. In der Industriestraße im Synergiepark beispielsweise bewege man sich in einer Höhe von bis zu 35 Metern.

Ist jetzt schon alles geklärt?

Nein. Noch seien viele Fragen zu klären, signalisierten die Experten. Dazu gehört die Frage, ob das Land für so ein Projekt höhere Fördersätze gewährt als üblich und ob der Bund überhaupt Unterstützung bewilligt. Das hängt an Fragen wie jener, ob Seilbahnkabinen als förderfähige „Fahrzeuge“ eingestuft werden können. Wann die Seilbahn gebaut sein könnte und ob nicht mehr ganz junge Stadträte das noch erleben, wollte Verkehrsplaner Oehler (noch) nicht beantworten. Das sei im Moment noch „Kaffeesatzleserei“. Die Untersuchung gehe weiter.

Wie reagiert die Stadtverwaltung?

Sie ist offenbar angetan von der Idee einer Seilbahn im Bereich Vaihingen/Möhringen. Im Ausschuss für Stadtentwicklung und Technik sagte Bürgermeister Pätzold, man sehe darin eine überlegenswerte Ergänzung des Angebots im öffentlichen Nahverkehr. Eine Stadtbahntrasse vom Vaihinger Bahnhof zum Eiermann-Campus zu bauen wäre allemal schwieriger als dieser Seilbahnbau.

Wie positionieren sich die Fraktionen?

Jürgen Zeeb (Freie Wähler) ist ebenfalls „sehr angetan“. Das Vorhaben „macht also doch Sinn“, schlussfolgert Beate Schiener von den Grünen, die die Idee aufgebracht hatten. Alexander Kotz (CDU) sieht die Chance, dass Stuttgart mal positive Schlagzeilen mache und wünscht die Weiterverfolgung „mit Vollgas“, wiewohl manche Fragen noch genauer zu beantworten seien. Lucia Schanbacher (SPD) findet, es dürfe nicht nur um ein Prestigeprojekt gehen. Die Seilbahn müsse „einen Mehrwert“ bringen. Das halte sie aber für möglich. Armin Serwani (FDP) freut sich auf die weitere Vertiefung der „positiven“ Botschaft der Gutachter. Einzig das Linksbündnis ist sehr reserviert: Die Seilbahn müsse im direkten Vergleich mit konkurrierenden Systemen des öffentlichen Nahverkehrs Vorteile bieten, damit man an die Realisierung gehen könnte. Für Christoph Ozasek (Die Linke) heißt das auch, dass man eine große Zahl von Umsteigern aus dem Auto holen kann und dass der Umstieg schon vor der Stadtgrenze stattfindet. Wenn das Projekt nur mit einem 90 Millionen Euro teuren Parkhaus beim Fasanenhof funktionierte, „wären wir politisch aus dieser Nummer raus“, sagt er.