Im Jahr 1987 hat Tina Turner die Schleyerhalle viermal gefüllt. Foto: /Uli Kraufmann

Ihren 40. Geburtstag wird die Schleyerhalle in diesem Jahr noch erleben. Doch dann wird sie möglicherweise abgerissen und durch einen Neubau ersetzt. Unser Stuttgart-Album blickt auf kulturelle und sportliche Hallenhöhepunkte in fast vier Jahrzehnten zurück.

Schwaben werden mit vierzig g’scheit, erzählt man sich seit Generationen. Gilt das auch für schwäbischen Stolz? Wenn dem so ist, erlebt die Schleyerhalle gerade noch im kommenden Oktober ihre Klugheit, ehe sie im nächsten Jahr wohl abgerissen wird. Die Veranstaltungsgesellschaft in.Stuttgart will die technisch veraltete Multifunktionshalle, die Kultur und Sport beherbergt, abreißen lassen und dem Gemeinderat demnächst eine Machbarkeitsstudie für einen Neubau vorlegen. Die Fraktionsgemeinschaft Puls und die sogenannte Fraktion kritisieren die hohen Kosten und warnen vor einem „Wettrüsten der Veranstaltungsorte“. Sollte die Mehrheit für die Pläne von in.Stuttgart stimmen – und danach sieht es aus –, könnte mit dem Neubau in etwa drei Jahren begonnen werden.

Joe Bauer notiert: „In Stuttgart beginnt eine neue Ära!“

In unserem Stuttgart-Album reisen wir zu den Anfängen zurück. Tusch! Das Jahr des Aufbruchs! 1983 war Stirlings Staatsgalerie fast fertig, die Stadt bekam ein neues Kammertheater, in Wangen machte sich eine Kulturfabrik mit dem Namen Theaterhaus zum Start bereit – und auf dem Wasen fuhren Trucks 120 Tonnen Technik in eine eben fertiggestellte Arena, um darin den ersten großen Rockzirkus mit der kanadischen Band Saga zu feiern. Joe Bauer notierte am 4. Oktober 1983 in den Stuttgarter Nachrichten: „In Stuttgart beginnt eine neue Ära!“

Konzertveranstalter Michael Russ war glücklich. Von nun an, frohlockte er, würden die „großen Acts“ nicht mehr an Stuttgart vorbeiziehen. Zuvor hatten die Könige der Popwelt Dortmund (die Westfalenhalle) und München (die Olympiahalle) im Visier. Schon 1979 war im Stuttgarter Gemeinderat der Grundsatzbeschluss für die Sport- und Konzerthalle gefallen, die man nach dem ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer benannte. 44 Millionen Mark sollte der Neubau kosten – am Ende waren es 68 Millionen Mark.

Am 4. Oktober 1983 sollte die neue Halle, die mit 10 300 Zuschauerplätzen als „größte in Europa“ galt, ihre Bewährungsprobe als Rockbühne bestehen. Als erste Band rockten die Kanadier von Saga los. Das Ergebnis fiel zwar nicht euphorisch, aber doch ganz ordentlich aus. Der Zeitungskritiker Reinhold Utzmeter urteilte: „Die Schleyerhalle ist, was die Akustik betrifft, nicht besser oder schlechter als vergleichbare Hallen in Dortmund, Frankfurt oder München. Wer es im Innenraum länger aushalten will, wird auf Ohropax nicht verzichten können.“ Der Band Saga bescheinigte er „eine perfekte Show, in der Gitarren-Spagate, Nebeleffekte und Macho-Posen des Sängers, einer schicken Diva im weißen Overall, nicht fehlen dürfen“. In fast vier Jahren hat die Schleyerhalle viele Auf- und Absteiger erlebt. Bei den ersten Auftritten von Nena im Jahr 1984 und Kool & The Gang im Jahr 1986 war die Poparena ausverkauft. 1984 musste wegen großer Nachfrage das Konzert der Scorpions von der Sporthalle Böblingen in die Schleyerhalle verlegt werden.

Über viele Jahre gehörte Tina Turner der Hallenrekord

Den Besucherrekord hielt Tina Turner über viele Jahre. Vom 4. bis zum 7. Mai 1987 füllte sie die Halle viermal mit 52 000 Fans. Im Jahr 2018 nahm Helene Fischer ihr den Rekord weg – mit fünfmal Sold-out in der Schleyerhalle.

Dreimal hintereinander bekam Phil Collins 1993 die Arena voll. Im selben Jahr traten hier zum ersten Mal Stuttgarter an: Die Fantastischen Vier feierten ein euphorisch bejubeltes Heimspiel. Vor weinigen Wochen füllten sie erneut vor Weihnachten die Halle. Selbst geheiratet wurde hier. 1997 feierte ein türkisches Brautpaar mit 1200 Gästen – an Platz zum Tanzen fehlt es im 4000 Quadratmeter großen Innenraum nicht.

Eine der größten Herausforderungen für die Hallenbetreiber war Ende der 1980er Opernstar Luciano Pavarotti. Vor seinem Auftritt ließ sich kein Sessel auftreiben, in den der wohlbeleibte Italiener gepasst hätte. Als Neil Diamond im Juli 1984 vor halb voller Halle sang, mussten Vorhänge die leeren Sitzreihen verdecken. Der US-Sänger fand’s gar nicht lustig. Fast hätte im Februar 1987 die Rockgruppe Deep Purple ohne ihren Gitarristen Ritchie Blackmore auskommen müssen. Der Musiker hatte seinen Hallenpass vergessen und wurde beim Zutritt von einem Ordner festgehalten.

Betrug mit Buntstiften im Jahr 1988 bei „Wetten, dass . .?“

Von Dire Straits bis Paul McCartney, von Robbie Williams bis Elton John, von Cher bis Barclay James Harvest – die Besucherliste ist ein Who’s who der Popgeschichte. Aber auch Sportgrößen wie Boris Becker (beim ATP-Turnier) waren hier. Seit 1985 werden die German Masters, die als eines der besten Hallenreitturniere in Europa gelten, hier ausgetragen. Bei der Niederlage von Boxer Axel Schulz im Dezember 1995 im WM-Kampf gegen François Botha flogen im Publikum die Fäuste und die Flaschen – der damalige OB Manfred Rommel musste den Kopf einziehen.

TV-Moderator Thomas Gottschalk wäre lieber nicht gekommen. Der Betrug mit Buntstiften in „Wetten, dass . .?“, 1988 live aus der Schleyerhalle gesendet, hat Fernsehgeschichte geschrieben. Für die Verantwortlichen angenehmer fiel die kleine Schummelei aus, die sich Kurt Felix im Eröffnungsjahr 1983 für seine Show „Verstehen Sie Spaß?“ mit Chordirigent Gotthilf Fischer erlaubte. Mitten rein in die Schleyerhalle ließ er eine Mercedes-Limousine steuern, während Fischer und sein Chor probten. Aus dem Auto stieg eine Dame, die alle erstarren ließ – doch es war ein Double der Queen.

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