Bei einer Pressekonferenz mit Ministerpräsident Erwin Teufel erklärt Christoph Palmer (links) am 25. Oktober 2004 seinen Rücktritt als Staatsminister – einen Tag nach den Ohrfeigen im Ratskeller. Foto: dpa//Norbert Försterling

Zum Neustart des sanierten Ratskellers erinnert unser Stuttgart-Album an politisch bedeutsame Momente in der Historie des 1904 eröffneten Traditionslokals. Bei einer Wahlparty der CDU gab es 2004 an diesem Ort eine filmreife Szene mit Ohrfeigen.

Stuttgart - Noch immer steht der genaue Termin nicht fest, an dem der Ratskeller im Stuttgarter Rathaus nach fünfjähriger Pause öffnet – Anfang Dezember soll’s jedenfalls sein. Coronabedingt hat die Brauerei Dinkelacker ihre für diesen Donnerstag geplante Eröffnungsparty mit der Stadtprominenz abgesagt. Neustart in der „guten Stube der Stadt“ ist zuletzt vor über 60 Jahren gefeiert worden. Ein Spitzenbeamter war besonders trinkfest, wie ein Blick ins Archiv verrät: der OB-Stellvertreter Josef Hirn (SPD). In dem Artikel von 1956 rechnete der Journalist nach, aber nicht mit dem Politiker ab: „Bürgermeister Hirn brachte es auf die beachtliche Leistung von fünf Achtele Rot und zwei Achtele Weiß.“

Zum Ratskeller gehören Siege und Niederlagen, wie sich am Beispiel der CDU zeigt, die hier bei Wahlpartys gefeiert oder getrauert hat. Zwei Ohrfeigen in den Tiefen des Rathauses haben Stadtgeschichte geschrieben. Am 24. Oktober 2004 geschah’s: Staatsminister Christoph Palmer verpasste dem Parteifreund Joachim Pfeiffer zwei Watschen. Der MdB hatte die Ablösung von Erwin Teufel als Ministerpräsident gefordert.

Eine filmreife Szene bei der CDU-Wahlparty im Ratskeller

An diesem Wahlsonntag wurde OB Wolfgang Schuster (CDU) im zweiten Wahlgang mit 53,3 Prozent im Amt bestätigt. CDU-Kreischef und Staatsminister Palmer genoss den Triumph. Doch dann lagen die Nerven blank. StZ-Redakteur Jörg Nauke wurde als weltweit einziger Journalist Augenzeuge eines Vorfalls, der ein politisches Beben auslöste. Schauen wir ins Archiv, was Nauke schrieb: „Gegen halb elf steht der Tabakrauch in den Katakomben. Drei einsame Maultaschen schwimmen in lauwarmer Brühe, nur Erbsensuppe gibt es noch satt. Stuttgarts Ex-Finanzbürgermeister Klaus Lang überlegt an der Bar, ob Schusters Erfolg die Schlappe des VfB in Freiburg kompensiere, da raunt ihm ein Parteifreund ins Ohr: ‚Der Palmer hat den Pfeiffer geschlagen. Wenn das die Presse gesehen hätte . . .‘ Lang lächelt müde, denn er weiß: Sie hat es gesehen.“

Die filmreife Szene, die Palmer aus der Machtzentrale der Villa Reitzenstein für immer verbannt, ist schnell erzählt: „Der Staatsminister steht mitten im Schankraum, umringt von Parteifreunden, darunter sein Stammtischkumpel Pfeiffer, der ihn um einige Zentimeter überragt. Zwei Meter entfernt steht Schuster. Plötzlich kommt Bewegung in die Gruppe. Es gibt einen Wortwechsel, der im Umgebungslärm untergeht. Palmer geht Pfeiffer plötzlich an den Kragen, weicht zurück, um im nächsten Moment die nächste Attacke zu starten. Er holt aus, springt vorwärts und schlägt mit voller Wucht zu. Seine Hand landet auf Pfeiffers Wange. Es klatscht. Der Abgeordnete ist so überrascht, dass er die Hände zur Abwehr nicht mehr nach oben bekommt. Fluchtartig verlässt Palmer den Tatort, das Gesicht verzerrt, die aktuelle Zeitung, die seinen Wahltriumph dokumentiert, klemmt unter seinem Arm.“

Der Ratskeller verfügte einst über einen Aufzug zum Sitzungssaal

Damals ahnte keiner was von „The Länd“ und „the ratskeller“. Der Spott und die Kritik an den Denglisch-Kampagnen sind heute groß. Die Werbeagentur des Traditionslokals will die Vergangenheit des Rathaus-Restaurants hochhalten, aber die Zukunft neu anpacken, weshalb es zu einer unglücklichen Formulierung gekommen ist. Bei „the ratskeller“ könnten englische Touristen glauben, es handele sich um einen Keller der Ratten. Zur Vergangenheit gehört, dass der 1904 eröffnete Ratskeller über einen Aufzug zum Sitzungssaal verfügte und 1944 beim Brand nach den Kriegsbomben zerstört worden ist.

Erst 1956 konnte OB Arnulf Klett den „Bauch des Rathauses“ wieder eröffnen. 1973 übernahm Wirtin Maria Greiner das Regiment, ehe sie 1996 den Stab an die Familie Brunner weitergab, die wiederum ausgeschieden ist bei der Schließung vor fünf Jahren. Die Pächterin eines neuen Schmuckstücks der Stadt ist Denise Schuler, die sich besonders auf die Außenbewirtung freut auf dem ebenfalls neu gestalteten Marktplatz.

Wird der lang verschmähte Ort, der als „hässlichster Marktplatz Deutschlands“ bezeichnet wurde, wieder pulsieren und seine geschichtliche Bedeutung zurückerlangen?

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