Polizei und Feuerwehr versuchen am 15. August 1972 in Schlauchbooten und mit Tauchern, Autofahrer zu retten.    Foto: Feddersen

Im August 1972 hat ein „Tropengewitter“ über Stuttgart getobt. Minutenschnell liefen Unterführungen voll. Leserinnen und Leser schildern für das Stuttgart-Album, wie sie den schwarzen Tag, der in den Stadtgeschichte einging, erlebt haben.

Stuttgart - Der 15. August 1972 - das war der Tag, an dem der Himmel über Stuttgart verrückt spielte. Wer damals auf der Welt war, vergisst nicht, was vor 48 Jahren geschah.  Das „Tropengewitter“, wie man es nannte, ist in die Stadtgeschichte eingegangen. 

Es war ein Dienstagnachmittag, als sich der Himmel über Stuttgart plötzlich schwarz färbte und ein Unwetter losbrach, das die Stadt in wenigen Minuten in eine Eiswüste verwandelte. Innerhalb von 20 Minuten, zwischen 15.40 und 16 Uhr, prasselten mehr als zehn Milliarden Liter Hagel und Wasser in den Talkessel.

Auslöser war die extrem hohe Luftfeuchtigkeit. Mehr als 50 Liter Wasser und Hagelkörner fielen auf jeden Quadratmeter, Erdmassen und umstürzende Bäume blockierten die Straßen, allein in den Tunnelröhren unter dem Charlottenplatz stauten sich 500 Kubikmeter Eis. Per Schlauchboot mussten eingeschlossene Autofahrer von der Feuerwehr  gerettet werden. Abflussrohre waren verstopft.

Blitzartig füllten sich Kellerräume mit flüssiger Eismasse

Für sechs Menschen kam damals jede Hilfe zu spät. Drei junge Männer einer Firma und ein Rentner hielten sich in Kellerräumen auf, die sich blitzartig mit der flüssigen Eismasse füllten. Alle vier erstickten. Eine Hausfrau aus Stuttgart-Ost ertrank in einem Sturzbach der Klingenstraße, der sie mitriss. Ein Rentner wurde von einem Blitz so erschreckt, dass er einen tödlichen Herzschlag erlitt.

Kaum ein Keller blieb trocken, fast die Hälfte des wertvollen Bestandes der Universitätsbibliothek wurde zerstört, wochenlang dauerten die Aufräumarbeiten, monatelang hatten die Versicherungen mit der Abwicklung des riesigen Schadens zu tun.

Die Erinnerungen daran sind noch lebendig, als wäre die Katastrophe erst kürzlich gewesen. Auf der Facebook-Seite des Stuttgart-Albums  haben innerhalb von wenigen Tagen über 28.000 User des Foto vom 15. August 1972 angeklickt. In sehr vielen Kommentaren schildern Stuttgarterinnen und Stuttgarter, wie sie diesen schwarzen Tag erlebt haben.

„Hagelkörner zerschlugen die Markise in kleine Quadrate“

Martina M. schreibt: „An diesem Tag bin ich bis zum Bauch im Wasser durch die Unterführung in der Stadtmitte gewatet, um meine demente Oma zu suchen. Nach Stunden habe ich sie in Stuttgart-Süd gefunden. Sie wollte in die Wohnung ihrer Kindheit. Wir haben dann den ganzen Weg zu Fuß nach Hause in die Seidenstraße im Stuttgarter Westen.“

Beate Lorenz erinnert sich: „Ich spielte mit meinem Papa gegen 14/15 Uhr Malefiz, als sich der Himmel total in Beigegelb verwandelte. Später flogen uns die Hagelkörner um die Ohren und zerschlugen die Markise in kleine  Quadrate. Die Rollläden waren wie von MG’s zerschossen. Die Aspergstraße wurden zu einem reißenden Fluss. Meine Mutter war derzeit unterwegs von Kaltental nach Gablenberg und hat geweint, als sie zuhause angekommen war. Sie hat an der Haltestelle Waldeck einen Mann in den reißenden Fluten gesehen, der durch eine offene Autotüre gerettet wurde. Mutige Busfahrer haben die Haltestellen abgefahren und die Leute mitgenommen (alles unter großer Gefahr). Ich erinnere mich noch jedes Jahr daran. Es war richtig schlimm.“ Danach sei kein Blatt mehr an den Bäumen gewesen und kein einziger Vogel habe man sehen können, weiß Helmut Reik noch.

„Es war ein Horror-Tag in Stuttgart“

Von Chris Gruenberger stammt dieser Beitrag: „Das war der Tag, an dem mein Vater, der viel zu jung gestorben war, begraben wurde. Alle Blumen wurden zerfetzt und das Grab sank tief ab. Die Luft roch nach Schwefel und der Himmel sah gelb-schwarz aus. Es war ein Horror-Tag in Stuttgart.“

Alexandra Dieringer schreibt: „Wir hatten eine Souterrain- Wohnung, das Wasser stand knöcheltief in der Wohnung, da es das Wasser aus der Kanalisation hoch gedrückt hatte. Auf der Theo sind die parkenden Autos runter geschwommen Richtung Bahnhof.“

Katja Wagner vergisst diesen Tag nie: „Ich war noch ein Kleinkind, aber ich erinnere mich ganz dunkel daran, dass mein Kinderzimmerfenster eingeschlagen war. Ich hatte dadurch einen Albtraum, dass eine graue Hand durch das Loch im Fenster kommt“

Damals war der Klimawandel kein Thema

Kai-Uwe Helbig  steuert folge Erinnerung bei: „Ich saß mit meiner Oma in Rohr und hatte Angst! Sie hat mir dauernd von Kugelblitzen erzählt! Am Schlimmsten war die Nachricht, dass am Nesenbach ein Mensch in einem Keller ertrunken ist.“

Damals wusste niemand etwas vom Klimawandel. Die Lehren aus den fürchterlichen Folgen des Unwetters sind rasch gezogen werden. Schon wenige Monate danach wurden die Pumpen in den Unterführungen an der B 14 verstärkt und Ampeln angebracht, die bei Überschwemmungen auf rot geschaltet werden. So wird die Fahrbahn nicht mehr zur Falle. Bei der Neuplanung von Straßen wird seither auf ein von den Häusern weg gerichtetes Gefälle geachtet. Die Uni-Bibliothek ist inzwischen mit einer Mauer umgeben, deren einzige Öffnung mit einer großen Schiebetür verschlossen werden kann.

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