Dieser Gruß aus dem Stadtgarten ist 1905 verschickt worden. Foto: Sammlung /Wolfgang Müller

Wer heute den Stadtgarten bei dem Katharinenhospital und der Universität durchquert, ahnt nur wenig vom Glanz früherer Zeiten in dieser Grünanlage. Unser Stuttgart-Album erinnert an ein spannendes Kapitel der Stadtgeschichte.

Stuttgart - Einst traf sich Stuttgarts wohlhabendes Bürgertum im Stadtgarten, um dort zu flanieren oder im Weinhaus am See genussreiche Stunden zu verbringen. Wer heute die Grünanlage unweit des Katharinenhospitals und der Universität durchquert, wird kaum an den Glanz früherer Zeiten erinnert. Mondän wirkte dieser Ort mit seinen Blumenbeeten und Wasserspielen. Ein lebendiges Zentrum mit Gastronomie und Pflanzenvielfalt befand sich in diesem nach englischem Vorbild angelegten Park.

Frauen mit prächtigen Hüten und langen Kleidern sind auf den Karten zu sehen, die Wolfgang Müller, der langjährige Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Stadtgeschichte, unserem Stuttgart-Album anvertraut hat.

„Stadtgarten-Gesellschaft“ ist 1870 gegründet worden

Im Stadtgarten spiegelten sich vor über 100 Jahren die Industrialisierung, der Wohlstand und das wachsende Selbstbewusstsein des Bürgertums wider. Weil im 19. Jahrhundert in den Parks des württembergischen Hofs keine Normalbürger Zutritt erhielten, gründeten wohlhabende Bürger 1870 eine „Stadtgarten-Gesellschaft“, die später Aktien ausgab. Dividenden erhielten die 800 Aktionäre zwar nicht, dafür aber freien Eintritt in die in wenigen Monaten kunstvoll gestaltete Grünanlage auf dem einstigen Alleenplatz. Obendrein fand die erste Gartenbauausstellung von Stuttgart hier statt – mit den ersten Schaupavillons. Konzerte im Freien wurden gegeben, dazu ein buntes Programm mit allerlei Attraktionen. Feuerwerkskörper wurden entzündet. Außerdem schmückten Denkmäler den Park.

In unmittelbarer Nähe dieses „bürgerlichen Volksgartens“ baute die Stadt 1881 zur Gewerbeausstellung beim heutigen Hegelplatz eine 100 Meter lange und 36 Meter breite Halle für 1600 Aussteller. Es kamen 600 000 Besucherinnen und Besucher!

Der Stadtgarten galt als Heiratsmarkt der vornehmen Gesellschaft

Die Farbenpracht der alten Zeichnungen beweist: Es ging aufwärts mit dem schönen Stadtgarten. Elektrische Beleuchtung wurde aufgestellt. Kaiser Wilhelm II. kam im Jahr 1888 zu Besuch, um das Schaufenster der schwäbischen Tüftler und Erfinder anzuschauen. 1914 entstanden eine Freilichtbühne sowie ein Restaurant in einem großzügigen Jugendstilbau. Der Park galt als Heiratsmarkt der vornehmen Gesellschaft. Der Krieg beendete die Pracht. 1942 brannten die Gaststätten nieder. Die Ruinen sind in den 1950ern abgerissen worden.

Der Mittelpunkt der Stadt verlagerte sich auf den Schlossplatz. Der Stadtgarten verlor an Bedeutung und geriet in Vergessenheit. Das Rad ließ sich nicht mehr zurückdrehen. Die Messe zog auf den Killesberg, und die Grünanlage eines einstigen Schmuckstücks Stuttgart ist zum Campus der Universität auserkoren worden. Mit der alten Herrlichkeit war’s vorbei.

Heute befindet sich neben einem Springbrunnen und Skulpturen ein Gedenkstein für die 1938 von den Nazis hingerichtete Widerstandskämpferin Lilo Herrmann. In jüngster Zeit werden Forderungen laut, diesen historischen Ort neu zu beleben. Das Areal zwischen Liederhalle und Stadtgarten sollte neu geordnet werden, lautet der Wunsch. Dort könnte ein neues Konzerthaus entstehen.

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