Diese Karlsplatz-Karte ist von 1906. Die Wege zwischen dem Rasen liefen auf Kaiser Wilhelm I. zu Foto: Sammlung Wibke Wieczorek

Seit über 120 Jahren sitzt er hoch zu Ross über dem Karlsplatz: Dafür, dass man Kaiser Wilhelm I. immer wieder fortjagen wollte, hat er’s lange ausgehalten. Wir blicken zurück auf Debatten, die sich wiederholen: Ist das Reiterdenkmal fehl am Platz?

Stuttgart - Ein Reiterstandbild ist aus der römischen Antike übernommen. Der Herrscher oder Feldherr darf stolz und erhaben auf dem Statussymbol jener Zeit emporragen, auf dem Pferd. Mensch und Tier werden dazu noch auf einen Sockel gestellt. Kaiser Wilhelm I. war schon zehn Jahre tot (er starb kurz vor dem 91. Geburtstag im Jahr 1888), als sich am 1. Oktober 1898 in Stuttgart die Honoratioren auf dem Karlsplatz dicht drängten zur Enthüllung eines Denkmals. Sämtliche Glocken läuteten, 101 Böllerschüsse knallten. Dem hiesigen König Wilhelm II. war es wichtig, dem verblichenen Kaiser weit von Preußen entfernt die Ehre zu erweisen und damit zu beweisen, dass sich Württemberg zugehörig zum Kaiserreich zählt.

Soll der Kaiser an der Rotebühlkaserne „versteckt“ werden?

Vier Attentate hatte der alte Kaiser überlebt, das Deutsche Reich verspätetet gegründet, das Sozialistengesetz erlassen (damit wurden Arbeiterrechte eingeschränkt), im Deutsch-Französischen Krieg die Entscheidungsschlacht kommandiert und den Paragrafen 175, der homosexuelle Handlungen unter Männern verbot, ins Strafgesetzbuch gebracht. Beim Volk, so sagen Historiker, war Wilhelm I. beliebt. Später hieß es sogar, man wolle den „alten Kaiser“ wieder.

Oberbürgermeister Arnulf Klett allerdings wollte ihn nicht – zumindest nicht auf einem zentralen Ort der Stadt. 1945 setzte er sich für einen Freiheitsplatz ohne Denkmal an dieser Stelle ein. Den Kaiser könne man doch im Hof der Rotebühlkaserne aufstellen – ein Vorschlag, den man viele Jahre später mehrfach hörte. Kritiker dieser Idee sagten, man wolle das Reiterdenkmal verstecken. Versetzungsabsichten wiederholten sich in den 1980er Jahren, in den 1990ern und neuerdings wieder. Mal wurde politisch argumentiert, mal wollte man einen freien Platz für Feste, für die man Zelte aufstellen könne. Der Magier Marvelli und Salome-Chef Harry Owens waren im Jahr 1986 Wortführer für diesen Vorschlag. Alle Versuche, den Kaiser zu vertreiben, sind bis heute gescheitert.

Schlagzeile von 1986: „Soll das Kaiser-Denkmal verschwinden?“

Der Versuch, seine Majestät in Stuttgart vom Sockel zu stoßen, ist also nicht neu. Die Schlagzeile „Soll das Kaiser-Denkmal verschwinden?“ könnte von heute stammen, doch sie ist bereits 1986 in unserer Zeitung erschienen. In den USA und im Rest der Welt fallen neuerdings Statuen und Denkmäler historischer Persönlichkeiten reihenweise. Und prompt ist Kaiser Wilhelm I. ins Schussfeld geraten. Auf dem Stuttgarter Karlsplatz, schlug kürzlich Agenturchef Johannes Milla, der stellvertretende Stiftungsratsvorsitzende der Stiftung Geißstraße 7, vor, sei ein kultureller Austausch möglich. Das Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus könnte auf den Sockel des Kaisers gestellt und Wilhelm I. im Gegenzug mit seinem Pferd auf den Boden befördert werden.

Auch Mayer-Vorfelder wollte das Denkmal loswerden

Als „umstrittenes Denkmal“ galt der Kaiser schon in den 1980er Jahren. Der damalige Staatssekretär Gerhard Mayer-Vorfelder schlug vor, den Karlsplatz zu einem Garten umzubauen – ohne Reiterstandbild. Der damalige Regierungspräsident Manfred Bulling unterstützte das grüne Ansinnen des VfB-Präsidenten. Die langjährige Nutzung des Karlsplatzes als Autoparkplatz und der fehlende Fußgängerbetrieb sei die Ursache dafür, dass die Menschen in Stuttgart ein „kühles Verhältnis“ zu diesem Platz hätten. Und als „Kuriosum“ bezeichnete er die Tatsache, dass auf dem Karlsplatz, benannt nach Herzog Carl Eugen, der sich mit C schreibe und deshalb Carlsplatz heißen müsste, das monumentale Standbild eines Kaisers stehe, der wenig mit Stuttgart zu tun gehabt habe.

Eifrige Debatte über den Denkmal beim Stuttgart-Album

Im Facebook-Forum unseres Geschichtsprojekts Stuttgart-Album wird eifrig diskutiert, ob der Kaiser bleiben oder verschwinden soll. Die Mehrheit der über 130 Kommentare plädiert dafür, alles so zu lassen, wie es ist. „Ich finde den Karlsplatz in der jetzigen Form schön“, schreibt Christel Bischoff, „das Reiterdenkmal sollte als Zeitzeugnis auch weiterhin dort stehen.“ Stefan Rogall fragt: „Kann man in Stuttgart auch mal was Historisches so lassen wie es ist?“ Jürgen Kaufmann schreibt: „Der alte Wilhelm hat auf dem Platz Gewohnheitsrecht!“ Wulf Wager hält dagegen: „Ein Festplatz wäre prima! Stuttgart hat keine emotionale oder enge geschichtliche Bindung an Kaiser Wilhelm.“ Lukas-Pierre Bessis unterbreitet einen Kompromissvorschlag: „Ein versenkbares Denkmal wär gut. Dann wäre beides möglich.“

Mit Humor hat man schon in den 1980ern versucht, die Schärfe aus der Debatte zu nehmen und zu zeigen, dass die Stadt größere Probleme hat. Ein Leser schickte vor fast 40 Jahren eine eigene Karikatur, auf dem das Pferd allein auf dem Karlsplatz-Sockel steht. Unten sieht man einen Mann mit Pickelhaube davoneilen. Ihm ist es zu dumm geworden. Der Kaiser sagt abwinkend: „Macht euren Streit doch alleeene!“

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