1897 ist diese Karte aus der Leonhardsvorstadt verschickt worden. Schon vor über 100 Jahren war diese Viertel, das im 14. Jahrhundert entstanden ist, die Altstadt Stuttgarts. Foto: Sammlung Wolfgang Müller

Auf das Mittelalter geht das Leonhardsviertel zurück und war daher 1897, als diese Karte verschickt wurde, bereits die Altstadt Stuttgarts. Vor über 100 Jahren hat Maler Karl Fuchs seine Heimat liebevoll mit kleinen Kunstwerken verewigt.

Stuttgart - Vor der Leonhardskirche befand sich der Trödelmarkt, den es bis ins Jahr 1910 an dieser Stelle gegeben hat. Flohmärkte waren damals in der Stadt noch unbekannt. Trödel dagegen hatten viele Menschen daheim. Alte Gegenstände, alte Kleidung, alter Hausrat – all das, was für die Besitzerinnen und Besitzer unnütz geworden war oder von dem sie sich trennen wollte, um an Geld zu kommen – sind im alten Stadtteil beim Gotteshaus für den heiligen Leonhard verkauft worden. Die über 100 Jahre alte Lithografie von Karl Fuchs erinnert daran.

Der 1969 gestorbene Maler Fuchs hat für Postkarten, für Opas Instagram, kleine Kunstwerke von Plätzen und Bauten geschaffen, die heute völlig anders gestaltet oder mit dieser Architektur nicht mehr vorhanden sind. Unser Stuttgart-Album zeigt einige der beliebten Fuchs-Karten aus der Sammlung von Wolfgang Müller.

Neuer Stadtteil entstand außerhalb des Esslinger Tors

Auf das 14. Jahrhundert geht das heutige Leonhards- und Bohnenviertel zurück. Auf einem damals freien Feld ist die Leonhardsvorstadt außerhalb des Esslingers Tor als erste geplante Stadterweiterung entstanden. Man sagte auch „Esslinger Vorstadt“ dazu. Bis heute befinden sich hier die letzten Reste des mittelalterlichen Stuttgart.

Im Jahr 1963 ist mit dem Bau des Züblin-Parkhauses das Quartier auseinander gerissen worden. Trotz ihrer gemeinsamen Geschichte und ihrer städtebaulichen Struktur werden das Leonhards- und Bohnenviertel bis heute getrennt voneinander betrachtet. Dies soll sich mit dem geplanten Abriss des Parkhauses und der Neugestaltung dieser Fläche ändern. Dann wird, nach dem Wunsch der Stadtplaner, eine neue Einheit an die Historie anknüpfen.

Was die „ganz ergebene Charlotte“ schrieb

Zurück zum Kartenmaler Karl Fuchs: Der 1872 geborene Stuttgarter hatte sich 1895 als Lithograf und Buch-Illustrator selbstständig gemacht. Postkartenmotive, die er stets mit „K. Fuchs“ signierte, waren in seiner frühen Schaffenszeit für ihn die Haupt-Einnahmequelle. Die Sehenswürdigkeiten der Stadt gestaltete er als kleine Aquarelle. Die Lithografie ist das älteste Flachdruckverfahren und war im 19. Jahrhundert die erfolgreichste Drucktechnik für farbige Ansichten.

Auf der Vorderseite einer dieser wunderbaren Fuchs-Postkarten hat eine „ganz ergebene Charlotte“ am 9. August 1897 ein Lob auf seine Heimat geschrieben: „Madame! Meine Geburtsstadt ist doch hübsch und malerisch.“ Wer will beim Betrachten der Motive widersprechen? Zu sehen sind auf der mit viel Liebe zum Detail gezeichneten Karte unter anderem eine Marktszene mit dem damaligen Rathaus, die Hospitalkirche und zwei schön geschlungenen Brezeln.

Bis 1906 waren Lithografien verbreitet, dann kamen Fotografien

Ein weiteres Schmuckstück aus Müllers Sammlung ist die Speisekarte vom „Königsbau-Theater“, wie das seinerzeit von der Familie Männer geführte Königsbau-Café hieß. Im Angebot um 1900 waren unter anderem acht verschiedene Sulzen, Hummersalat, Gänsebrust und Mortadella di Bolognia.

Auch als „Café Männer“, benannt nach dem Betreiber, ist der Künstlern, Tänzern und Journalisten damals beliebte Treff bekannt geworden. Die Erinnerung eines Zeitzeugen steht im Buch „Die Königstraße – Wo Stuttgarts Herz schlägt“: „Eifrig walteten die Ober Karl und Otto – der eine mollig, der andere schlank – ihres Amtes. Sie kannten so viele Gäste schon so lange, dass sie genau wusste, welche Zeitung sie wem bringen mussten.“

Bis 1906 war die Lithografie bei Karten weit verbreitet, ehe sich Fotografien durchgesetzt haben, Für Lithografien werden Bilder seitenverkehrt mit einer Fetttusche auf den Kalkstein gezeichnet. Diese werden sodann mit Ätzflüssigkeit behandelt. An den Stellen, wo sich keine Zeichnung befindet, dringt die Flüssigkeit in die Poren des Steins ein. So bleibt später unter hohem Druck die Farbe nur an den gezeichneten Linien.

Als es in Stuttgart mehr Wein als trinkbares Wasser gab

Die alten Lithografien zeigen, was den Menschen damals wichtig war. Eine weitere Karte zeigt einen Weingärtner, der mit seiner schweren Traubenlast die Treppe herunterläuft – auf einer der vielen Treppenanlagen, aus denen die Stäffele geworden sind. In keiner anderen Großstadt in Deutschland reichen Weinberge bis in die City hinein. Hier wachsen die Rebstöcke fast an den Hauptbahnhof heran. Auf lehmigen Ton und Keuper gedeiht ein Stück Toskana am Rande des Talkessels. Es gab Zeiten, da war im wasserarmen Stuttgart häufig mehr Wein als trinkbares Wasser vorhanden. Der Rebensaft war gar billiger als Trinkwasser.

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