Neckaridylle mit der alten König-Karls-Brücke in Bad Cannstatt. Foto: /Sammlung Thomas Borst

Alte Grußkarten aus Stuttgart erzählen Geschichten – und verraten, worauf die Menschen einst stolz in der Stadt waren. Neckaridylle, die Wulle-Brauerei, das Alte Rathaus, der Hasenberg als Ausflugsziel – wir zeigen Schätze aus Opas Instagram.

Was heute blitzschnell digital verschickt wird, ob via WhatsApp, Instagram oder Facebook, haben Generationen vor uns auf dem Postweg an ihre Lieben weitergeleitet. Es sind Szenen einer Stadt, auf die man in Stuttgart einstmals stolz war. Die gute, alte Postkarte wird handschriftlich verfasst, nicht elektronisch – im besten Fall mit Herzblut. In den ersten Jahren stand dafür nur die Vorderseite zur Verfügung. Bis 1905 gehörte die Rückseite allein der Adresse. Sodann wurde in Deutschland die hintere Seite einer Karte geteilt, wobei die linke Seite fortan Mitteilungen vorbehalten war und man vorne auf die Bildseite nichts mehr schrieb.

Schöne Grüße von früher! Unsere Leserin Inge Appenzeller hat dem Stuttgart-Album wahre Schätze mit vergangenen Stadtansichten geschickt. Es sind kleine Kunstwerke, die das alte Stuttgart ehren. Die meisten Motiven wurden von Hand gezeichnet. Ob die wunderschönen Illustrationen immer originalgetreu waren oder ein bisschen beschönigt – dies lässt sich nicht immer klaren.

Der Hasenbergturm war ein beliebtes Ausflugsziel

Die Grußkarten zeigen, wie es damals in der württembergischen Hauptstadt ausgesehen hat. „Das macht wohl auch den Reiz für die heutigen Betrachter aus, die sich aus der Hektik unserer Zeit in die vermeintlich geruhsamere vergangene Jahrzehnte zurücksehnen“, schreibt der Sammler Thomas Borst, der „viel Vergnügen beim Gang durch Stuttgarts vergangene Tage wünscht“.

Manche Sehenswürdigkeiten von einst sind aus der Stadt verschwunden, weil der Krieg sie zerstört hat. Der Hasenbergturm war etwa ein beliebtes Ausflugsziel mit mehreren Gaststätten drum herum. Auf der Straße vor dem alten Friedrichsbau herrschte regen Treiben mit Pferdekutschen. Die Karte von der großen Halle des Hauptbahnhofs zeigt, was für Geschäfte es damals dort gab. Viele Motive sind erhalten geblieben, wenn auch in anderer Form. Die Aussichten auf die Stadt waren damals schon umwerfend, wenn auch eine Dampflok die Zahnradbahn antrieb, wie dies bis 1902 der Fall war.

Vor der Leonhardskirche befand sich ein Trödelmarkt

Bis 1906 war die Lithografie bei Karten weit verbreitet, ehe sich Fotografien durchsetzten. Für Erstere werden Bilder seitenverkehrt mit Fetttusche auf den Kalkstein gezeichnet. Diese werden sodann mit Ätzflüssigkeit behandelt. An den Stellen, wo sich keine Zeichnung befindet, dringt die Flüssigkeit in die Poren des Steins ein. So bleibt später unter hohem Druck die Farbe nur an den gezeichneten Linien,

Wir sehen Plätze und Bauten, die heute völlig anders gestaltet oder mit dieser Architektur nicht mehr vorhanden sind. Durch das Leonhardsviertel führte damals keine Stadtautobahn, die das Quartier auseinanderreißt. Auf der 1897 beschriebenen Karte aus der „Altstadt“, wie das Leonhardsviertel damals schon hieß, sieht man vor der Kirche einen Trödelmarkt, den es nachalten Aufzeichnungen bis 1910 gegeben hat. „Madame! Meine Geburtsstadt ist doch hübsch und malerisch.“ Auf der Vorderseite einer Postkarte hat ein „ganz ergebener“ Absender am 9. August 1897 dieses Lob auf die Heimat geschrieben.

In der Brauereigaststätte von Wulle fanden legendäre Tanzabende statt

Zu sehen sind unter anderem der Stuttgarter Marktplatz mit dem Vorgängerbau des aus heutiger Sicht alten Rathauses, die Hospitalkirche und zwei schön geschlungene Brezeln. Beeindruckend ist die Fassade der Wulle-Brauerei, an einem Ort, an dem sich heute das Hotel Le Méridien befindet. Von 1861 bis 1971 ist das Bier an der Neckarstraße gebraut worden. Es war ein weiter Weg von der Brauerei bis zum Fünf-Sterne-Hotel. 1859 hatte Ernst Imanuel Wulle die Grundstücke erworben, die sich bis zur Mitte des Kernerplatzes erstreckten. Der nahe Tübingen geborene Brauer kam aus einfachen Verhältnissen und hatte in der Großstadt Stuttgart sein Handwerk erlernt. Die Heirat mit Wilhelmine Stotz, die aus reichem Hause stammte, brachte ihm das nötige Kapital, um die Wulle-Brauerei zu gründen.

Wulle musste wie all seine Kollegen kämpfen. Bier war im Vergleich zu Wein teuer – die Württemberger bevorzugten ihr Viertele und Most. Für Erfolg sorgte seine Brauereigaststätte an der Neckarstraße, in der legendäre Tanzabende stattfanden. Wulle kümmerte sich nicht nur um die Bierkultur. Sein Unternehmen baute 1900 den Friedrichsbau und gründete damit die Varieté-Tradition in Stuttgart.

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