Die Eingänge zur Bundesgartenschau 1961 beim Hauptbahnhof. Foto: Sammlung/ Michaela Klapka

Die Planer sprachen von der „Vision einer fremden Stadt“. Damit sollte Stuttgart 1961 erblühen – dank neuer Pracht in citynahen Parks. Vor 60 Jahren hat die Bundesgartenschau die Stadt verändert. Kehrt sie 2035 zurück?

Stuttgart - Im April 1961 begleitet ein SDR-Team der „Abendschau“ die 19-jährige Josephine bei einem „Besuch in der eigenen Stadt“, wie der Sprecher fast feierlich verkündet. Der Fernsehmann sieht sie an „Tulpenteppichen“ vorbeiwandeln, unweit des ehemaligen Rosengartens von Königin Olga am Neuen Schloss. Die junge Stuttgarterin staunt nicht schlecht, weil der zuvor ovale Theatersee plötzlich moderne Ecken besitzt. Am Ufer stehen „grazile Stühle“, die, so steigert sich der Filmbeitrag immer noch weiter, einen „Hauch von Paris nach Stuttgart bringen“.

Josephine ist stolz auf ein bisschen große Welt in ihrem Stuttgart – auf Parkanlagen, die neu geschaffen wurden, sowie auf umgebaute Plätze, die man viel zu lange vernachlässigt hatte. Neben dem Killesberg im Norden konzentrieren sich die Landschaftsgärtner damals vor allem auf die Schlossgartenanlagen im Stadtzentrum.

Der 600 Jahre alte Schlosspark wurde umgestaltet

Zum ersten Mal in der Buga-Geschichte, steht auf der Internetseite der Deutschen Bundesgartenschau Gesellschaft, sei in Stuttgart nicht die Beseitigung von Kriegsschäden im Vordergrund gestanden. Das Blumenfestival vom 28. April bis 15. Oktober 1961 (mit insgesamt 6,8 Millionen Besucherinnen und Besuchern), so waren die Organisatoren stolz, fand auf historischem Boden statt. Der 600 Jahre alte Schlosspark, um den herum sich die Stadt entwickelt hat, ist komplett umgestaltet worden. Die zuvor von einer viel befahrenen Straße getrennten Mittleren und Oberen Anlagen wurden mit einer neuen Fußgängerbrücke verbunden. Neue Oasen sollten entstehen.

Eine neue Wasserterrasse zum Flirten

„Die Modernisierung des Parks war geprägt durch transparente Großzügigkeit und geometrische Formen“, heißt es auf der Homepage der Buga-Gesellschaft weiter. Deswegen habe man – dem damaligen Zeitgeist folgend – den Schlossgartensee in ein unregelmäßiges Vieleck verwandelt. Auf alten Postkarten wird er meist als „Anlagensee“ bezeichnet. Ein weiterer Name lautete Epaulettensee, weil dort die Offiziere der Armee zu spazieren pflegten. Eine Epaulette ist das Schulterstück einer Uniform. 1961 also bekam er seinen bis heute geltenden Namen: Eckensee.

Eine Stadt mit Ecken und Kanten sowie mit neuem Stolz: Prompt preisen die Werber vor 60 Jahren Stuttgart „als große Stadt im Grünen“ an. Diese grüne Stadt besitzt nun Schachbrettspiele im zentralen Park mit holzgeschnitzten Damen und Königen, eine Wasserterrasse zum Flirten, Wasserfontänen zum Relaxen – beschauliche Orte, die für Muße stehen, also für bisher vernachlässigte Wonnen im Schaffe-schaffe-Häusle-baua-Autostädtle.

„Aus Frust nach der Rodung“ hat sie Motive aus dem Mittleren Schlossgarten gesammelt

Michaela Klapka hat dem Geschichtsprojekt Stuttgart-Album zum 60-Jahr-Jubiläum der Buga großartige Aufnahmen aus dieser Zeit geschickt. „2012 habe ich aus Frust nach der Rodung der teils jahrhundertealten Bäume Karten mit Motiven aus dem Mittleren Schlossgarten gesammelt“, sagt sie. Statt auf diese Bäume blickt sie von ihrer Wohnung im Kernerviertel seither auf eine Dauerbaustelle.

Die Bundesgartenschau 1961 begnügte sich nicht nur mit dem Killesberg und den innerstädtischen Parkanlagen: Auch der Hoppenlaufriedhof, der Weißenburgpark und die Karlshöhe wurden verschönert.

Nach den Plänen des 1999 verstorbenen Liederhallen-Architekten Rolf Gutbrod ist auf der Karlshöhe, die einst ein Steinbruch war, ein Ensemble aus Unterstehhalle, Milchbar, Terrasse und Treppe entstanden. Der Treff bei Milchshakes und Rock ’n’ Roll entsprach in den 60ern dem Lebensgefühl junger Menschen. Es war die Zeit, als man erst mit 21 Jahren volljährig wurde und noch lange nichts vom Komasaufen wusste. Nach Schulschluss traf sich die Jugend des Wirtschaftswunders bei Buttermilch oder Fürst-Pückler-Eis mit Sahne und freute sich auf die ersten Liebesgeschichten. Auf dem Killesberg hat Gutbrod eine fast identische Milchbar gebaut.

Zwischen 1939 und 1993 war Stuttgart Ausrichterin von fünf Gartenschauen

Zwischen 1939 und 1993 war die Stadt Ausrichterin von fünf Gartenschauen: 1939 fing es mit der Reichsgartenschau an, 1950 kam die Deutsche Gartenschau, 1961 folgte die erste und 1977 die zweite Bundesgartenschau. 1993 war Stuttgart Schauplatz der Internationalen Gartenbauausstellung (Iga). „Jedes Mal sind dauerhafte, nachhaltige Grünanlagen entstanden“, sagt Reiner Bierig, der Geschäftsführer des Verbands Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau Baden-Württemberg.

Landschaftsgärtner wünschen sich Buga 2035 in Stuttgart

Der Verband will die Buga 2035 nach Stuttgart zurückholen. Deshalb sollte sich die Stadt jetzt darum bewerben, fordert Bierig. Die Großveranstaltungen, die im Zweijahresrhythmus stattfinden, stoßen aber auch auf Kritik. Sie seien zu teuer und zu unnatürlich, so der Vorwurf. Dem hält der Verbandschef entgegen: Längst gehe es darum, nachhaltige Mobilitäts- und Wohnkonzepte zu entwickeln, Städte dichter und grüner zu machen. Blümchenrekorde gehörten der Vergangenheit an. Reiner Bierig schlägt vor, mit einer Bundesgartenschau etwa den Neckar entlang der Uferstraße neu ins Bewusstsein zu rücken, damit die Stadt am Fluss eines Tages doch noch Realität werden könne.