Die Projektingenieurin Dorothee Pieger setzt die Baupläne für die Stuttgart-21-Tunnelanbindung in Untertürkheim um. Foto: Mathias Kuhn

Die 25-jährige Projektingenieurin Dorothee Pieger leitet den Bau der S-21-Tunnelanbindung ans Neckartal in Untertürkheim. Sie ist eine der wenigen Frauen auf der Tunnelbaustelle.

Untertürkheim - Mit orangefarbener Jacke, verschmutzten Sicherheitsstiefeln, dem weißen Helm mit dem DB-Zeichen auf der Stirn und eine Mappe voller Pläne unter dem Arm stapft Dorothee Pieger über die Untertürkheimer Tunnelbaustelle, nickt kurz einem Arbeiter zu und beobachtet wenige Meter weiter entfernt eine Bautätigkeit. Die meisten Bauarbeiter registrieren nicht, dass der weiße Helm lange Haare verbirgt, und dass die Wimpern über den freundlichen Augen dezent geschminkt sind. Dorothee Pieger ist eine der wenigen Frauen unter den starken Männern auf der Untertürkheimer Stuttgart-21-Baustelle, wird jedoch keineswegs als Exotin angesehen.

Die 25-Jährige leitet und überwacht den Bau des Untertürkheimer Tunnelmunds. „Eine verantwortungsvolle Aufgabe, die mir aber unwahrscheinlich Spaß bereitet“, sagt die in der Fränkischen Schweiz aufgewachsene Ingenieurin. Als Projektingenieurin für das Los 2A ist sie für den in offener Bauweise gebauten Tunnel sowie den Trog unweit des Untertürkheimer Bahnhofs zuständig. Ein wichtiges Bauwerk für das Jahrhundertprojekt Stuttgart 21. Vom neuen Stuttgarter Hauptbahnhof werden künftig im Tunnel unterm Neckar hindurch nach Untertürkheim Züge rollen und dann über die neue Rampe ans Tageslicht kommen und in die Bestandsstrecken Richtung Remstal oder Bad Cannstatt eingeschleust und umgekehrt.

Präzision ist gefragt. Hunderte Einzelheiten müssen beachtet, Termine koordiniert, Baufirmen beauftragt, Daten überwacht, Richtlinien eingehalten, gerade in Corona-Zeiten auf Unerwartetes reagiert und auch die Finanzen im Milliardenprojekt im Blick behalten werden. Stundenlange Besprechungen, konzentriertes Studium von Plänen, langwierige Berechnungen und viel Schreibarbeit im Büro wechseln mit Kontrollen und Absprachen vor Ort. Sie hat mit Behörden, Planern, Geologen sowie Bauarbeitern zu tun und ist gleichzeitig die Verbindungsperson zu Anwohnern. „Eine fordernde, aber auch eine enorm spannende Arbeit“, schwärmt Pieger. Die Leidenschaft für das Bauhandwerk hat sie wahrscheinlich in die Wiege gelegt bekommen. Ihr Vater ist ebenfalls ein Bauleiter. „Schon früh während der Schulzeit habe ich mich für den Ingenieurberuf entschieden und dann auch bewusst das Angebot der Deutschen Bahn angenommen“, sagt die Fränkin. Von 2013 an absolvierte sie drei Jahre lang ein Duales Studium für Bauingenieurwesen bei der DB Netz AG in Nürnberg. Kaum hatte sie ihr Studium abgeschlossen, wagte die damals 21-Jährige den nächsten Schritt: Sie bewarb sich und begann dann auch vor 4,5 Jahren als Ingenieurin auf einer der wichtigsten Großbaustellen in Deutschland: im Tunnelbau für Stuttgart 21. „Eine Chance, die sich nicht oft bietet“, sagt Pieger heute. Am Anfang sei es schon eine Herausforderung gewesen. „Aber wir sind ein tolles, junges, schlagkräftiges Team, das sich gegenseitig unterstützt.“ Auch der langjährige Stuttgart-21-Abschnittsleiter Günter Osthoff und die anderen erfahrenen Kollegen habe den jungen BauingenieurInnen immer wieder den Rücken gestärkt und sie motiviert. Von der Eszet-Brücke blickt sie nun, da die Mineure den Tunneldurchbruch längst geschafft haben und die Rampe vor der Fertigstellung steht, mit einem gewissen Stolz auf das bisher Geleistete zurück.

Es liegen aber noch einige spannende Berufsjahre in Stuttgart vor ihr. Die 25-Jährige hat sich längst den Respekt auch auf der von Männern dominierten Baustelle verschafft – mit enormen Fachwissen und dem Charme einer jungen Ingenieurin. „Zu Beginn benötigte ich als Berufsanfängerin schon manchmal ein dickes Fell und musste manchen blöden Kommentar wegstecken“, sagt Pieger. Als Tochter eines Bauleiters wusste sie sich aber auch zu wehren: mit Kompetenz, und verbaler Schlagfertigkeit. „Wenn es um Fachwissen geht, spüre ich keinen Unterschied zwischen Mann und Frau“, sagt sie. Sie fühlt sich zudem in Stuttgart wohl. Als begeisterte Rennradfahrerin schätzt sie die hügelige Lage der Landeshauptstadt und fühlt sich auch in der Weinberg-Umgebung wohl. „Aber ich freue mich auch, wenn ich nach arbeitsreichen Tagen auf der Baustelle an einem verlängerten Wochenende wieder in meine Heimat in die Fränkische Schweiz zurückkehren kann“, sagt die Projektingenieurin.