Baden-Württemberg ist auf Strom aus dem Norden Deutschlands und aus dem Ausland angewiesen. Foto: imago//Volker Hohlfeld

Der rote Ampel in der App des baden-württembergischen Stromnetzbetreibers TransnetBW sorgt für Aufregung. Was steckt dahinter – und wie wahrscheinlich sind Abschaltungen?

Das E-Auto nicht aufladen, die Waschmaschine nicht nutzen und den Backofen auslassen? Mit diesen Stromspar-Hinweisen löste am Mittwochnachmittag eine rote Stromampel in der App „StromGedacht“ des baden-württembergischen Netzbetreibers TransnetBW Aufregung aus. Wir beantworten einige der Fragen, die sich daraus ergeben.

Was steckt hinter der Warnmeldung?

„Das war keine Warnung, sondern eine Sensibilisierung, dass die Bürger selbst zur Netzstabilität beitragen können“, erklärt eine TransnetBW-Sprecherin gegenüber unserer Zeitung. „Die App hat keine Mangelsituation angezeigt, sondern auf eine Redispatchmaßnahme hingewiesen“, heißt es aus dem baden-württembergischen Ministerium für Energie und Umwelt.

Was bedeutet das konkret?

Frankreich hat wegen seiner Stromheizungen derzeit einen hohen Bedarf, den es mit seinen nur teilweise einsatzfähigen Atomkraftwerken nicht decken kann. Deshalb importiert Frankreich derzeit viel Strom aus dem europäischen Stromnetz. Weil auch andere Länder viel Strom aus Deutschland importieren und die Stromtrassen aus Norddeutschland noch nicht gebaut sind, floss am Mittwochnachmittag absehbar zu wenig Strom nach Baden-Württemberg.

Um das Netz im Südwesten stabil zu halten, musste TransnetBW Strom aus der Schweiz importieren – das ist der besagte Redispatch, ungefähr 500 Megawatt. Diese Importe sind aber teuer. Günstiger ist es für TransnetBW, wenn der Verbrauch zurückgeht und weniger importiert werden muss. Das wollte der Netzbetreiber mit der Meldung an die Verbraucher bezwecken.

Gab es solche Meldungen schon früher?

„Diese Art von Meldung ist neu – nicht aber die Lage, auf der sie beruht“, sagt Tobias Federico, Geschäftsführer der auf Energiethemen spezialisierten Berliner Beratungsfirma Energy Brainpool. Die Ampel in der TransnetBW-App sei als Hinweis zu verstehen, „beim Verbrauch den Fuß ein bisschen vom Gas zu nehmen. Das ist günstiger als die Standardmaßnahmen, also Stromimport oder das Abschalten einzelner Lasten“. Maßnahmen wie der Stromimport aus der Schweiz am Mittwoch habe man aber schon früher regelmäßig ergriffen.

Zeigen solche Meldungen, dass Abschaltungen wahrscheinlich sind?

Nein, sagt Federico, weil der Netzbetreiber damit erstmals die Verbraucher direkt anspricht: „Vor Abschaltungen würden noch verschiedene Sicherungsmaßnahmen greifen. Das Gesamtsystem war noch nicht mal bei Gelb.“ Es gebe immer bestimmte Lasen, die auf vertraglicher Grundlage gegen Bezahlung abgeschaltet werden können, etwa bei Unternehmen. Dazu komme die Netzreserve bei ungeplanten Ausfällen.

Könnte es diesen Winter zu Abschaltungen kommen?

„Wir steuern nicht auf eine Katastrophe zu, aber auf eine angespannte Lage“, heißt es dazu von TransnetBW. Gründe seien das knappe Gas infolge des Ukrainekriegs, die derzeit nur begrenzt verfügbaren Atomkraftwerke in Frankreich und das Niedrigwasser des Rheins im Sommer, wodurch weniger Kohle zu den Kraftwerken gelangte. Sollte Frankreich weiterhin nicht genug Strom produzieren und es knackig kalt werden, könnte Strom hierzulande knapp werden – insbesondere an Wochentagen mit hohem Verbrauch, typischerweise in der Mitte der Woche.

Deutschland erzeugt in der Regel mehr Strom als es verbraucht, wie diese Grafik zeigt:

Im schlimmsten Fall nimmt TransnetBW bestimmte Gebiete vom Netz. Das wäre der sogenannte Brownout, der von einem unkontrollierten Blackout zu unterscheiden ist. Das Risiko solcher Strommangeltage sei aber „nach wie vor gering“, sagt eine Sprecherin des Umweltministeriums. TransnetBW bezeichnet sie als „ultima ratio, wenn ganz viele negative Faktoren zusammenkommen“. Tobias Federico von Energy Brainpool hält sie für „unwahrscheinlich“, die Bedrohung durch Sabotage sei größer.

In Baden-Württemberg wird zumindest im Winter in der Regel weniger Strom erzeugt als verbraucht, wie dieses Schaubild zeigt:

Was kann die Politik tun?

Die Furcht vor einem Brownout oder Blackout ist in der Energiekrise auch zum politischen Slogan geworden, häufig verbunden mit der Forderung, den Atomausstieg zurückzunehmen. Unabhängig rücken nun Probleme in den Blick der breiten Bevölkerung, die sich aus jahrelangen Versäumnissen beim Ausbau erneuerbarer Energien und entsprechender Stromtrassen aus dem windreichen Norden nach Süddeutschland ergeben.

Wenn Solaranlagen etwa in Baden-Württemberg im Winter nur wenig Strom erzeugen, ist Süddeutschland neben dem Strom aus herkömmlichen Kraftwerken von Windkraftimporten aus Norddeutschland abhängig. Das folgende Schaubild zeigt, aus welchen Quellen Baden-Württemberg aktuell Strom erzeugt:

Bis die für den Stromimport aus Norddeutschland nötigen „Stromautobahnen“ gebaut sind, sollten Gaskraftwerke das Stromnetz stabilisieren. Dieser Plan ist durch den Ukrainekrieg und die Verwerfungen am Gasmarkt ins Wanken geraten. Um weitere teure Stromimporte wie am Mittwoch zu vermeiden, fordert TransnetBW mehr Unterstützung beim Netzausbau und schnellere Genehmigungsverfahren für erneuerbare Energien.