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Andrea Günther kümmert sich als Straßensozialarbeiterin um die Wohnungslosen in Stuttgarts größtem Stadtbezirk.

Bad CannstattD as Läuten der Glocke unterbricht für kurze Zeit die rege Betriebsamkeit. Sie zeigt den Besuchern der Tagesstätte Café 72 an der Ecke Kreuznacher/Waiblinger Straße: Zeit fürs Mittagsessen. Wohnungs- und obdachlose Menschen bekommen dort für wenig Geld eine warme Mahlzeit, einen Kaffee, können duschen oder sich rasieren. Gleichzeitig ist sie die „Kommandozentrale“ für die Cannstatter Straßensozialarbeit – die sich um alle Belange der Besucherinnen und Besucher kümmert. Eine der beiden Sozialarbeiterinnen ist Andrea Günther.

„Wir sind jeden Dienstag, Mittwoch und Donnerstag hier. Bevor wir auf die Straße gehen, fragen wir erst einmal im Café 72 nach den Befindlichkeiten der Menschen“, sagt sie. Der Ort eigne sich dafür gut, da man ihnen direkt einen Ansprechpartner für ihre Probleme vermitteln könne – die wichtigsten Stuttgarter Ämter für die Straßensozialarbeit sind das Sozial- und das Arbeitsamt. Auch die Weitervermittlung an die verschiedenen Fachberatungsstellen für Männer und Frauen findet hier statt. Neben den beiden Streetworkerinnen arbeiten in der Tagesstätte noch vier hauptamtliche Mitarbeiter in 2,25 Stellen. Und auch die Besucher selbst, sorgen dafür, dass der Ablauf reibungslos funktioniert. So kaufen sie etwa ein oder kochen mit. Getragen wird das Café 72 von der Stadt Stuttgart und dem Verein Ambulante Hilfe. 270 000 Euro benötigt die Tagesstätte für den jährlichen Betrieb. 15 Prozent davon finanziert die Ambulante Hilfe – meist durch Spenden.

Die Sozialarbeiterinnen sprechen mit den Besuchern nicht nur über bürokratische Dinge. So fragen Andrea Günther und ihre Kollegen auch nach der generellen Befindlichkeit oder nach der neuen Frisur. „Das ist schon wichtig, dass die Menschen mir gegenüber Vertrauen und eine Beziehung aufbauen können.“ Seit einem halben Jahr ist Günther bei der Cannstatter Straßensozialarbeit, am Anfang sei der Kontakt nicht immer einfach gewesen, doch mit der Zeit hat es sich entkrampft, sagt Günther. Sobald das Café 72 schließt und jeder der mochte, ein Essen bekommen und für seine Hygiene gesorgt hat, geht es für die Streetworkerinnen raus auf die Straße.

Die übliche Route führt dabei durch den Kurpark und die Marktstraße, über den Wilhelmsplatz, an den Neckar und über den Wasen zum Brennpunkt – dem Cannstatter Bahnhof. Dort auf dem Vorplatz tummeln sich täglich Wohnungs- und Obdachlose. Andrea Günther ist vor Ort unterwegs. „Zu unserer Arbeit gehört, die Menschen dort aufzusuchen, wo sich sie aufhalten. Wir warten nicht, bis sie zu uns kommen.“ Wie im Café 72 fragt sie auch dort nach, wie es den Menschen geht und erledigt direkt Telefonate, wenn es gerade passt. So nimmt sie etwa für einen der Obdachlosen Kontakt mit dem Amtsgericht auf und erkundigt sich, ob im laufenden Verfahren alles in Ordnung sei, da er ohne festen Wohnsitz ist und damit keine Briefe geschickt bekommen kann. Als sie ihm andeutet, dass alles in Ordnung sei, sieht man ihm die große Erleichterung an.

Die spezielle Situation um den Bahnhof wird ein bis zwei Mal im Jahr bei einem Gespräch mit umliegenden Geschäften, der Polizei, der Bahnhof-Security und dem Bahnhofsmanagement erörtert. Auch zwei Vertreter der Wohnungs- und Obdachlosen sind mit dabei. „Diese Gespräche sind sehr wichtig für uns, da man die Probleme der einzelnen Parteien an einem Tisch diskutieren kann“, so die Streetworkerin. Als ein Ergebnis aus den letzten Gesprächen wurde nun beschlossen, den Wohnungs- und Obdachlosen in einem Internetcafé gegenüber des Bahnhofs die Chance zu geben, auf die Toilette zu gehen. Die Stadt Stuttgart bezahlt dafür monatlich 200 Euro. Und auch im größeren Rahmen – also ganz Bad Cannstatt betreffend – findet ein- bis zweimal im Jahr ein runder Tisch statt. Mit dabei sind der Gewerbe- und Handelsverein, die Polizei, Bezirksvorsteher Bernd-Marcel Löffler, Vertreter der Wohnungs- und Obdachlosen sowie Abgesandte verschiedener sozialer Einrichtungen. Aus diesem runden Tisch, der vor knapp über zehn Jahren zum ersten Mal stattfand, erwuchs die Straßensozialarbeit.

Laut Andrea Günther könnte aber mehr getan werden. Denn die Arbeit ist mit der direkten Hilfe in der Tagesstätte oder auf der Straße nicht getan. Es kommt auch zu Fallarbeit. „Das bedeutet, dass wir mit den entsprechenden Personen etwa auf Ämter gehen.“ Und auch Stuttgarter Bürger können sich bei ihr melden wenn sie in anderen Stadtbezirken einen Obdachlosen auf der Straße sehen, der ihrer Meinung nach Hilfe benötigt. „Da will ich auch wenigstens einmal nachsehen und mir ein Bild davon machen. Und für das alles ist die Zeit schon sehr knapp.“ Bad Cannstatt ist auch der einzige Stadtbezirk, der eine derartige Hilfe anbietet. In der Stadtmitte erledigen das zum Beispiel Mitarbeiter der AIDS- und Suchthilfe oder das Medmobil. Diese Institutionen kümmern sich aber nicht um die Wohnraumvermittlung, die generell oft ein Riesenproblem darstelle. „Es gibt zu wenig Wohnraum, für den Bedarf, den wir haben.“