Eine Ermittlerin der Polizei vor dem Bildschirm eines Auswertungscomputers. Foto: dpa/Arne Dedert

Seit es Baden-Württemberg gibt, sind noch nie so wenig Jugendliche verurteilt worden wie 2021. Bei den Sexualstraftaten gibt es indes im fünften Jahr in Folge ein Plus. Die Ministerin sieht den Bund in der Pflicht.

Die Zahl der Verurteilungen in Baden-Württemberg ist erstmals seit 20 Jahren unter die 100 000er-Marke gerutscht. Gegenüber 2020 gab es im vorigen Jahr 7,7 Prozent weniger Schuldsprüche. Der Grund liegt nicht darin, dass die Gerichte untätig gewesen wären. Aber bleiben Geschäfte zu, werden Diebe arbeitslos. Und sind die Menschen daheim, statt in den Urlaub zu fahren oder auch nur tagsüber ins Büro, verleidet das Einbrechern ihre Branche. Erstmals seit neun Jahren war 2021 auch die Zahl der Verfahrenseingänge bei der Justiz leicht rückläufig.

Verkehrsdelikte beherrschen die Statistik

Am meisten Verurteilungen gab es bei den Straßenverkehrsdelikten (24,1 Prozent), gefolgt von Betrug und Untreue (17,1 Prozent), Diebstahl (11,6 Prozent), Drogendelikten (10,8 Prozent) und Gewaltdelikte (3,4 Prozent). Unter den Verurteilten war nicht einmal jede fünfte eine Frau (17,2 Prozent). 42,7 Prozent der Schuldsprüche richteten sich gegen Angeklagte ohne deutschen Pass; das sind 0,6 Punkte mehr als im Vorjahr. Die meisten Richtersprüche (79,2 Prozent) erfolgten per Strafbefehl, also ohne Prozess.

Besonders stark war der Rückgang bei Verurteilungen von Jugendlichen bis 18 (minus 14,9 Prozent) und jungen Erwachsenen bis 21 Jahre (minus 15,3 Prozent). Insgesamt wurden in Baden-Württemberg 3055 Jugendliche und 6862 Heranwachsende wegen einer Straftat verurteilt – so wenig wie noch nie seit Bestehen des Landes, sagte Anke Rigbers, die Präsidentin des Statistischen Landesamtes bei der Vorstellung des Berichts.

Justizministerin ist von der Jugend begeistert

„Die Jugend von heute lässt sich sehen“, sagte die Justizministerin Marion Gentges (CDU). Sorge bereitet der Politikerin aber der Anstieg im Bereich der Äußerungs- und Sexualstraftaten. 2021 wurden 4964 Personen wegen Beleidigungsdelikten verurteilt, knapp sieben Prozent mehr als im Vorjahr. Auch wegen Verwendens von verfassungswidrigen Symbolen oder Volksverhetzung sind erheblich mehr Menschen schuldig gesprochen worden als in den Vorjahren.

Bei den Sexualstraftaten gibt es im fünften Jahr in Folge eine Zunahme. Das Plus liegt insgesamt bei 4,8 Prozent (1557 Urteile). Dabei sind die Schuldsprüche wegen Kindesmissbrauchs gegenüber 2020 gleich geblieben (248) und wegen Vergewaltigung sogar um 16,8 Prozent deutlich gefallen auf 109. Dafür gab es im Bereich der Kinderpornografie einen erheblichen Anstieg um mehr als 40 Prozent auf 535 Urteile. „Das ist schon der Wahnsinn“, sagte die Ministerin.

Besitz und Verbreitung von Kinderpornografie gilt als Verbrechen

Der Anstieg sei einerseits den vermehrten Hinweisen auf Kinderpornos im Netz aus den USA und der veränderten Rechtslage geschuldet. Der Besitz und die Verbreitung von Kinderpornografie gilt als Verbrechen und kann deshalb nicht mehr wegen Geringfügigkeit eingestellt werden. Ins Visier geraten deshalb schnell auch Jugendliche selbst. Schickt eine 13-Jährige ihrem 14-jährigen Freund ein Nacktbild, macht er sich des Besitzes von Kinderpornografie strafbar.

Gentges rechnet damit, dass die Zahlen in diesen Deliktbereichen weiter steigen werden und sieht deshalb die Politik gefordert, besonders den Bund. Aktuell müssten Spuren, die Nutzer beim Surfen im Internet hinterlassen, nach sieben Tagen gelöscht werden. Das mache es den Ermittlern schwer, mutmaßliche Täter dingfest zu machen, „weil wir nicht mehr an die Daten heran kommen“, kritisiert Gentges. Es sei am Bund, dafür neue Kriterien festzulegen – und dabei im Zweifel zu riskieren, dass der Europäische Gerichtshof diese später wieder kassiert.