Gebäude wie die Sportarena in Stuttgart sollen nach dem Willen von Architects for Future und den Unterzeichnern des Abrissmoratoriums nicht abgerissen, sondern umgebaut werden, wie kürzlich bei einem Sitzstreik demonstrativ gefordert wurde. Foto: LICHTGUT/Max Kovalenko

Eine vom Linksbündnis eingeladene Expertenrunde berät im Stuttgarter Rathaus über die Zukunft klimagerechten Bauens in der Stadt. Und über den Sinn und Unsinn geplanter Abrisse.

Just beim Anblick der schon ziemlich demolierten Fassade des ehemaligen Modegeschäfts Breitling neben dem Marktplatz ertönt am frühen Montagabend fidele Marschmusik, dargeboten von den in Richtung Hirschstraße schreitenden Stuttgart 21-Gegnern auf ihrer wöchentlichen Demo. Eine Szene wie gemacht für die Veranstaltung „Stuttgart reißt sich ab“ und die Frage, wie in Zeiten von Energiekrise und Inflation ökologisch und sozial gerecht gebaut werden kann.

Ins Rathaus eingeladen hatte das Linksbündnis Kennerinnen und Kenner der Problematik, Architektin Martina Baum, Direktorin des Städtebau-Instituts und Professorin für Stadtplanung und Entwerfen an der Universität Stuttgart und Erstunterzeichnerin des Abrissmoratoriums, Stadtklimatologe Rainer Kapp und Ingo Haller von Architects for Future, der Architekturabteilung der Bewegung Fridays for Future.

Zu besprechen gegeben hätte es so manch konkretes Vorhaben – Sinn und Unsinn geplanter Abrisse öffentlicher Gebäude von der Schleyer-Halle über die Sportarena bis zum Züblin-Parkhaus. Und, wie die Moderatorin Johanna Tiarks, Sprecherin für Wohnungspolitik vom Linksbündnis Fraktion, sagte, von Wohnhäusern die scheinbar nicht saniert werden können, abgerissen und neu gebaut werden, woraufhin sich die Mieten oft drastisch erhöhen, „auf 12 bis zu 14 Euro pro Quadratmeter bei Neubauten.“ Zugleich sei der Bedarf an mehr Wohnraum enorm, 4500 Haushalte stünden auf der Warteliste für eine Wohnung, betonte Tiarks. Aber auch, dass die Quadratmeter Wohnfläche pro Mensch steige.

Einfacher leben, sich darauf zu besinnen, dass man auch auf weniger Platz wohnen kann, sei geboten, hieß es in der Runde. Ingo Haller verwies zudem darauf, dass in „den neuen Ländern“ mehr freier Wohnraum vorhanden sei, führte aber nicht weiter aus, wer da genau hinziehen solle. Vor allem gelte es, „Wohnraumvernichtung“ (Tiarks) zu verhindern. Abrisse sowie Leerstand verbieten – qua Enteignung, wie in der Diskussion vom Publikum gefordert wurde? Das ist „eine Möglichkeit“, sagte Ingo Haller, verwies aber darauf, dass es „andere Möglichkeiten“ gebe. Es gelte, „Koalitionen zu schmieden“. Stadtrat Hannes Rockenbauch vom Linksbündnis, der den Abend moderierte, wies darauf hin, dass bereits die Möglichkeit zur Leerstandsmeldung existiere, die Abteilung aber leider unterbesetzt sei.

Reparieren statt abreißen

Am erhellendsten waren Ausführungen von Martina Baum über das Abrissmoratorium – ein offener Brief an Bundesbauministerin Klara Geywitz, in dem Architekten und Umweltschützer einen Baustopp und mehr sozial und ökologisch verantwortliches Bauen fordern. Denn immer noch zählt die Baubranche zu den großen CO2-Sündern. Und bei Abriss und Neubau entsteht schlicht mehr Müll als beim Umbau, wird aber immer noch oft vorgezogen, weil es günstiger ist. „Das Abriss-Moratorium möchte einen Diskurs über die gängige Abriss-Neubau-Praxis im Bauwesen anregen und legt den Fokus auf Bestandsbauten“, sagte die Architektin. „Wollen wir dem Klimawandel aktiv begegnen, brauchen wir diese Bauwende mit einer Praxis des Pflegens und Reparierens.“ Dazu sei aber auch in der Architektenschaft und im Handwerk das entsprechende Know-how nötig, die Lehre an der Universität müsse sich verändern und das Verantwortungsbewusstsein bei Bauherren gestärkt werden.

Bauten indes, die durchaus durch eine Reparatur rettbar wären, finden sich in Stuttgart ja reichlich. Der politische Wille dazu, da waren sich die Anwesenden einig, müsse dringend gebildet werden. Es gibt keine einfachen Lösungen, und die Herausforderungen sind enorm – dieses Fazit könnte zumindest als Grundlage für weitere Veranstaltungen zum drängenden Thema (der Rathaussaal war voll besetzt) dienen.