Mit Abstand, aber nah beieinander: die Intendanten Tamas Detrich (Ballett, li.), Marc-Oliver Hendriks (Geschäftsführung), Burkhard Kosminski (Schauspiel) und Viktor Schoner (Oper) Foto: Björn Klein

Die Stuttgarter Intendanten bleiben optimistisch und haben die Spielpläne von Ballett, Oper und Schauspiel für die zweite Spielzeithälfte ab Februar 2021 vorgestellt. Corona macht’s möglich: Sogar ein Musical ist dabei.

Stuttgart - Die Tänzer proben, im Schauspiel ist gerade Kurzarbeits-Pause, und in der Oper bereitet man die Online-Premiere von Schorsch Kameruns Ravel-Abend vor. Die Intendanten Tamas Detrich, Burkhard Kosminski und Viktor Schoner planen mutig eine Wiederaufnahme des Spielbetriebs ab 1. Februar – unter Corona-Bedingungen, aber mit spürbarer Energie. Nur die Kurzarbeit, die nötig ist, um Teile der Einnahmeverluste zu kompensieren, setzt Grenzen. „Für die nächste Saison gehen wir davon aus, dass wir auf jeden Fall spielen können“, sagt der geschäftsführende Intendant Marc-Oliver Hendriks. Was das genau bedeutet, ist noch unklar. „Aber“, so Hendriks, „wir sind Weltmeister im Umplanen und Überschreiben.“

60-Jahr-Jubiläum beim Ballett

Tamas Detrich will sich von diesen Umständen auf keinen Fall entmutigen lassen, schließlich gilt es die Saison zu retten, in der seine Kompanie den 60. Geburtstag feiert. „Ich bin voller positiver Energie“, betont er. Seine Stimmlage will noch nicht ganz passen. Doch er trägt einen weihnachtlich roten Schal, den ihm Marcia Haydée 1987 persönlich als Glücksbringer um den Hals legte.

Und ja, er hat tatsächlich gute Nachrichten zu überbringen: Mit Neuem will er dem Virus trotzen. Zur Jubiläums-Festwoche im Juni werden die ehemaligen Stuttgarter Haus-Choreografen Christian Spuck und Marco Goecke Uraufführungen beisteuern; damit ist der Streit mit Goecke um seine Kündigung endgültig beigelegt. Neues von Edward Clug, William Forsythes „Blake Works“ und das Béjart Ballet als Gäste runden das Jubiläum ab.

Hier lesen mit StN-Plus: Die Staatstheater-Pläne – mutig oder verzweifelt?

Im Februar soll die Premiere von „Höhepunkte“ nachgeholt werden; außerdem kehren die selten gezeigten „Response“-Abende sowie „Onegin“ zurück. Auch die Verbeugung vor Beethoven und Hans van Manen steht im Frühjahr noch an, unter dem Titel „Hans & Ludwig+“ kommt etwas Neues von Mauro Bigonzetti dazu. Ob das alles so klappt? Das Ballett probt, als sei die Zukunft positiv, und nutzt die durch Absage der „Kameliendame“ freie Bühne für Aufgeschobenes: Im Januar wird Jürgen Rose Licht und Ausstattung von „Onegin“ überarbeiten.

„Jesus Christ Superstar“ in der Oper

Viktor Schoner ist ins Denken gekommen. Das Wort „systemrelevant“, wohl der heißeste Kandidat für das „Unwort des Jahres“, habe auf die Kunst noch nie gepasst; und überhaupt sei doch eher zu fragen, was für uns Menschen relevant sei. In diesem Sinne plant der Stuttgarter Opernintendant „als Lebenszeichen und als Zeichen der Hoffnung“ ab Anfang Februar die Fortsetzung der coronabedingt pausierenden Spielzeit unter dem Motto „Wer ist wir?“ mit einer Mischung aus nachgeholten Premieren und neuen Ideen. Zu den bereits fertig gestellten Produktionen gehören Massenets „Werther“, die schon für Mai 2020 geplante Vivaldi-Oper „Juditha triumphans“ und der Ravel-Abend „Verzauberte Welt“, den man allerdings vorab am 19. Dezember schon per Streaming erleben kann.

Die für die ursprünglich geplanten großen Opernprojekte engagierten Künstlerinnen und Künstler werden neue Projekte übernehmen. Das Erfolgsteam von „Nixon in China“, Marco Storman (Regie) und Anton de Ridder (Dirigent), kombiniert „Jesus Christ Superstar“ („Das hätte ich“, sagt Schoner, „in normalen Zeiten nie aufs Programm gesetzt“) mit Arvo Pärts „Miserere“. Bei Andrew Lloyd Webbers Musical wird sich auch die Band des Ensemble-Sängers Matthias Klink einbringen.

Ulrich Rasche gibt nun mit einer szenischen Version von Bachs Johannespassion sein Operndebüt. Moritz Kallenberg singt den Evangelisten, Shigeo Ishino die Jesusworte. Der Generalmusikdirektor Cornelius Meister wird am Pult stehen; er will die nächsten Wochen und Monate dafür nutzen, das Staatsorchester auch in Sachen historisch informierter Stilistik noch sattelfester zu machen. Außerdem ist dieser Abend auch ein anspruchsvolles Stimmpflege-Projekt für den dann 24-köpfigen Staatsopernchor.

Kurzarbeitsbedingt wird die Opernspielzeit schon Mitte Juni enden. Vorher gibt es noch drei konzertante Opern, und der Februar soll mit „Zauberflöte“, „Die verzauberte Welt“ und einem Familienkonzert („Das Dschungelbuch“) zu einem „Familienmonat“ werden. Die Junge Oper im Nord (Join) will in bekannter Vielfalt aktiv sein, und das Staatsorchester bietet neben seinen Sinfoniekonzerten und einem zweiten Teil des „Denk ich an Deutschland“-Abends eine Fortsetzung der 1:1-Konzerte.

Diverse Tragödien im Schauspiel

Der Schauspielchef Burkhard Kosminski bemüht in der Vorstellung sogar die Queen, um Zuversicht zu dokumentieren. „Better Days will come“ – es werden bessere Tage kommen, darauf hofft das Schauspiel. Was allerdings nicht unbedingt heißt, dass das, was dann auf der Bühne verhandelt wird, von Glück und Sonnenschein erzählt. Das Schauspiel, so Kosminski, wolle sich auch damit beschäftigen, wie die Veränderungen durch die Coronazeit „auf uns wirken werden“. Verschwörungstheorien und das Querdenker-Phänomen zum Beispiel, „die Frage, welchen Quellen wollen wir Glauben schenken“, so Kosminski. Damit wird sich der Regisseur Gernot Grünewald in dem Rechercheprojekt „Un/True – Ein Wahrheitsexperiment“ befassen.

Eine Migrationsgeschichte erzählt die Produktion „Fly Ganymed“, koproduziert mit dem Figurentheater, inszeniert von Nikolaus Habjan, den die Arbeit mit großen Handpuppen bekannt machte. Die Überschreibung von Arthur Schnitzlers „Reigen“ hat sich der Dramatiker Roland Schimmelpfennig mit „Siebzehn Skizzen aus der Dunkelheit“ vorgenommen. Auch als Reaktion auf die Me-Too-Debatte wird in dem Stück über Paarbeziehungen als Personal sowohl ein Filmproduzent als auch eine Transgenderprostituierte auftauchen. Die Uraufführung besorgt die Regisseurin Tina Lanik.

Familie steht im Zentrum einer Arbeit von Milo Rau

Wie die zitierte Königin kommt auch ein Dramatiker aus England – Regisseurin Bernadette Sonnenbichlerbringt „Was Ihr wollt“ auf die Bühne. Und ein neuer Name aus England ist dabei. Rebecca Frecknall sei, so Kosminski, eine der „angesagten britischen Regisseurinnen, die erstmals in Deutschland (Nacy Harris’ „Leuchtfeuer“) inszeniert. Familie steht auch im Zentrum der Arbeit von Milo Rau. Er greift einen realen Fall auf, einen kollektiven Suizid in Frankreich („Familie“). Auf der Bühne recherchiert und gespielt wird dies von Schauspielern, die tatsächlich auch familiär verbandelt sind.

„Pallaksch. Die lange Hölderlin-Nacht“ in Kooperation mit Staatsoper Stuttgart, Stuttgarter Ballett, Literaturarchiv Marbach und Literaturhaus Stuttgart (ursprünglich 7. November) soll im Frühsommer 2021 nachgeholt werden.

Was die Staatstheater planen

Ballett
Folgende Premieren will die Kompanie in der zweiten Hälfte der Spielzeit nachholen: „Höhepunkte“ (Februar), „Hans & Ludwig+“ (März). Im Juni bieten „New Works“ Neues von Spuck, Goecke und Clug.

Oper
Nachgeholte Premieren: „Verzauberte Welt“ (Februar),„Werther“ (März), „Juditha triumphans“ (Mai). Neue Projekte: „Jesus Christ Superstar/Miserere“ (März), Johannespassion (April). Join: Kinderoper „Holle“ (April), Straßenoratorium „Nesenbach“ für Jugendliche (Juli). Konzertante Opern: „Der fliegende Holländer“, „Ariadne auf Naxos“, „Falstaff“, „Madama Butterfly“.

Schauspiel
Uraufführungen: „Un/True“ von Gernot Grünewald, „Familie“ von Milo Rau, „Siebzehn Skizzen aus der Dunkelheit“ von Roland Schimmelpfennig (Regie: Tina Lanik). Weitere Premieren: „Leuchtfeuer“ von Nancy Harris. „Fly Ganymed“ von Nikolaus Habjan, Shakespeares „Was ihr wollt“, „Der Untergang der Titanic“ von Hans Magnus Enzensberger.

Karten
Der Kartenverkauf für Februar beginnt am 25. Januar 2021 – vorausgesetzt, der Theater-Lockdown wird nicht über den 31. Januar hinaus verlängert. Der Februar-Spielplan wird am 15. Januar 2021 online veröffentlicht. Informationen unter www.staatstheater-stuttgart.de.