Hat ein EU-Topdiplomat jahrelang für China spioniert? Foto: dpa/Michael Kappeler

Es klingt fast wie bei James Bond: Ein hochrangiger EU-Diplomat soll ein Doppelleben als chinesischer Spion geführt haben. Noch sind viele Fragen offen: Wie lange und wann hat er für Peking gearbeitet?

Brüssel - Im Fall des hochrangigen deutschen Ex-EU-Diplomaten Gerhard S., der der Spionage für China verdächtigt wird, hat vergangene Woche auch der Auswärtige Dienst der EU eine Untersuchung eingeleitet. Eine Sprecherin bestätigte: „Der Europäische Auswärtige Dienst hat eine interne Untersuchung eingeleitet. Es geht darum, mögliches Fehlverhalten der Person in seiner Zeit in EU-Diensten und danach festzustellen.“

Die Ermittlungen im Fall Gerhard S., der früher auch Chef der EU-Vertretung in Deutschland war, leitet der Generalbundesanwalt in Karlsruhe. Inzwischen ist der Name von Gerhard S. auch von der Internetseite des Lobbyunternehmens verschwunden, für das der 65-Jährige nach seinem Ausscheiden aus dem Auswärtigen Dienst der EU im Jahr 2017 gearbeitet hat. Auch im Transparenzregister der EU-Kommission, das die Namen der registrierten Lobbyisten bei der EU auflistet, ist Gerhard S. nicht zu finden.

Ist Gerhard S. über eine Beziehung zu einer Spionin gestolpert?

Der Spionagefall Gerhard S. war 2017 ins Rollen gekommen, als der hochrangige EU-Beamte seinen neuen Posten als Chef der EU-Vertretung in Korea angetreten hat. Wie immer in solchen Fällen ist für die Sicherheitsüberprüfung der Geheimdienst des Ursprungslandes zuständig.

In diesem Fall verweigerte der deutsche Geheimdienst die so genannte Sicherheitsermächtigung. Über den Grund gibt es keine Aussage von den Behörden. Es gibt vielmehr Spekulationen, dass S., der wiederholt verheiratet war und mehrere Kinder von verschiedenen Partnern hat, über eine Beziehung zu einer chinesischen Spionin gestolpert ist.

Flucht in ein Lobbyunternehmen

Für einen Diplomaten ist der Entzug der Sicherheitsermächtigung gleichbedeutend mit Berufsverbot. Gerhard S. quittierte daraufhin seinen Dienst und heuerte bei dem Lobbyunternehmen an. Er hatte zu diesem Zeitpunkt bereits Anspruch auf eine EU-Pension. S. selbst, der sowohl in Berlin als auch in Brüssel regelmäßiger Gast bei vielen Veranstaltungen im Umfeld von Bundesregierung und Kommission war, nimmt gegenüber den Medien nicht Stellung zu den Vorwürfen.

Von dem bekannten Lobbyunternehmen, bei dem er an führender Position tätig war, heißt es offiziell lediglich, Gerhard S. streite die Vorwürfe vehement ab.

Die Ermittlungen laufen weiter

Der Generalbundesanwalt hatte Mitte Januar neun Objekte in Brüssel, Berlin, Bayern und Baden-Württemberg durchsuchen lassen. Dabei waren Dokumente, Handys und Datenträger sichergestellt worden, die jetzt ausgewertet werden. Die Ermittlungen laufen gegen S. und zwei weitere Lobbyisten, die bei anderen Unternehmen angestellt waren.

Es ist unklar, ob die Agententätigkeit in seiner Zeit als EU-Diplomat, in seiner Zeit als Lobbyist oder in beiden Verwendungen stattgefunden hat. Gerhard S. hatte über drei Jahrzehnte mehrere Botschafterposten für die EU inne; er war unter anderem in Bratislava, Prag und bei der OSZE stationiert. Er soll auch als Inspektor für den Auswärtigen Dienst unterwegs gewesen sein und dabei Vertretungen der EU außerhalb Europas überprüft haben.