Im VfB-Training geht es nach dem Trainerwechsel engagiert zur Sache. Foto: Baumann - Baumann

Nicht weniger als 29 Spieler werden im Trainingslager des VfB Stuttgart dabei sein. Für Pellegrino Matarazzo ist das „Vor- und Nachteil zugleich“.

StuttgartWelcher Mitarbeiter aus dem umfangreichen Betreuerstab des VfB Stuttgart es auch gewesen sein mag, der am Mittwoch vor Trainingsbeginn die bunten Stangen in den Rasen des Schlienz-Stadions gebohrt hat – er muss sich leicht verrechnet haben. Sein neuer Chef jedenfalls, Pellegrino Matarazzo, versetzt jede einzelne um ein paar Zentimeter, nachdem er akkuraten Schrittes die Distanzen vermessen hat. Womit bewiesen wäre, dass die Mathematikern nachgesagte Akribie auch zu den Eigenschaften des VfB-Trainers gehört.

An die Eigenheiten Matarazzos müssen sich nicht nur die verbliebenen Assistenten um Rainer Widmayer und Michael Wimmer gewöhnen, die ihren Dienst auch schon unter Tim Walter verrichtet haben. Noch wichtiger ist, dass auch Chefcoach und Mannschaft möglichst schnell zu einer funktionierenden Einheit werden. Schließlich sind es die Spieler, die am Ende dafür zuständig sind, den VfB wieder in die Bundesliga zu befördern.

Neuer Trainer, neues Glück – so lautet das altbekannte und stetig wiederkehrende Motto der Verantwortlichen des Stuttgarter Zweitligisten. Neuer Trainer, neue Chance – so lautet die individuelle Sichtweise der Profis, vor allem jener, die sich unter dem entlassenen Vorgänger zu kurz gekommen fühlten. Wie in solchen Fällen üblich, haben sie nun die Gelegenheit, den Beweis anzutreten, bislang falsch eingeschätzt oder eingesetzt worden zu sein. Es gehört zu den großen Mysterien im Fußball, dass mancher Kicker plötzlich viel schneller zu laufen in der Lage ist, wenn ein neuer Trainer an der Seitenlinie steht. Sogar auf den ganz großen Sprung dürfen die fünf Teenager hoffen, die bei den Profis mittrainieren und am Freitag auch mit ins Trainingslager nach Marbella fliegen dürfen. Darunter Abwehrspieler Antonis Aidonis (18), der 2017 unter Matarazzo in der U 17 der TSG Hoffenheim Stammspieler war. Den Nachwuchs noch stärker an die Profimannschaft heranzuführen – das ist (neben dem Aufstieg) der klare Auftrag, den der neue Trainer von VfB-Boss Thomas Hitzlsperger und Sportdirektor Sven Mislintat erhalten hat. „Wir wissen, dass er eine Begeisterung für Talente hat“, sagt Hitzlsperger. Was nun allerdings dazu führt, dass der VfB-Tross im Trainingslager nicht weniger als 29 Spieler umfasst. Dabei sitzen die Rekonvaleszenten Sasa Kalajdzic und Marcin Kaminski noch nicht einmal mit an Bord.

Ein solch großer Kader, sagt Matarazzo mit der gebotenen Diplomatie, sei „Vor- und Nachteil zugleich“. Zu den Vorteilen zählt, dass es an Alternativen für sämtliche Positionen und damit einem ausgeprägten Konkurrenzkampf nicht fehlen wird. Als Nachteil könnte sich die Schar an Spielern nicht nur bei den Übungsformen auf dem Trainingsplatz erweisen, sondern auch im Terminplan des Trainers. Schließlich hat Matarazzo angekündigt, in den nächsten Tagen mit jedem Spieler ein Vieraugengespräch führen zu wollen: „Ich will wissen, wie jeder einzelne tickt“, sagt er, jeder solle das Gefühl bekommen, wichtig zu sein.

Für die bisherigen Platzhirsche bedeutet dies: Auf Verdienste der Vergangenheit sollten sie sich besser nicht verlassen. Nein, er habe noch keine mögliche Stammelf im Hinterkopf, sagt Matarazzo, es gebe nicht einmal eine feste Achse, um die herum er den Rest zu gruppieren gedenke. Auch die Kapitäns- und Torwartfrage lässt der Italo-Amerikaner offen, bis er sich ein genaues Bild vom großen Ganzen gemacht hat. Nicht als Misstrauensvotum gegenüber Spielführer Marc Oliver Kempf sowie den Torhütern Fabian Bredlow und Gregor Kobel will er dies verstanden wissen, sondern nur als logischen ersten Schritt bei seiner Premiere als Chefcoach einer Profimannschaft: „Ich werde sehr vieles hinterfragen.“

Vielleicht liegt es auch daran, dass es am Mittwoch im Vormittagstraining überaus engagiert zur Sache geht. Der Argentinier Nicolas Gonzales kann froh sein, dass er schnell genug ist, gerade noch dem brachialen Tackling seines Stürmerkollegen Mario Gomez zu entkommen. Und Daniel Didavi grätscht bei einer Rettungsaktion auf der Torlinie derart kompromisslos, dass man sich kaum vorstellen kann, dass hier ein Fußball-Feingeist mit Knorpelschaden am Werk ist. „Bravo“, ruft Matarazzo, freut sich über die Einsatzfreude seiner neuen Mannschaft – und beendet das Spiel humorlos bei Gleichstand. Es soll nur ja keiner auf die Idee kommen, er habe sich schon einen Vorteil erarbeitet. Der Kampf um die Plätze hat schließlich gerade erst begonnen.