Anne Spiegels Abgang könnte bald bevorstehen. Foto: dpa/Annette Riedl

Als das Ahrtal litt, ging die damalige Umweltministerin Anne Spiegel in den Urlaub. Sie habe ihn der Familie wegen dringend gebraucht, sagt sie überraschend am Sonntagabend.

Anne Spiegel schluckt. Sie räuspert sich, mehrfach, atmet schwer, macht lange Sprechpausen. Sie sieht aus, als ringe sie mit den Tränen. Die Botschaft des kurzfristig am Sonntagabend um 21 Uhr im Berliner Familienministerium anberaumten Auftritts ist klar: Die Hausherrin trägt schwer an ein der Last dieser Stellungnahme.

Kein Wunder: Im Laufe des Sonntags ist die Ministerin stark unter Druck geraten. Denn es war bekannt geworden, dass Spiegel – vormals Umweltministerin in Rheinland-Pfalz – zehn Tage nach der Flutkatastrophe im Ahrtal zu einem vierwöchigen Familienurlaub nach Frankreich aufgebrochen war und diesen nur einmal für einen Ortstermin im Katastrophengebiet unterbrochen hatte. Zuletzt war der Druck auch deshalb gewachsen, weil in Nordrhein-Westfalen die dortige Umweltministerin Ursula Heinen-Esser ihr Amt niedergelegt hatte, nachdem bekanntgeworden war, dass sich die 56-jährige Ministerin wenige Tage nach der Flutkatastrophe auf Mallorca für ein Wochenende mit weiteren Regierungsmitgliedern getroffen hatte, um den Geburtstag ihres Mannes zu feiern. Nach der Nachricht von Spiegels Urlaub hatte CDU-Chef Friedrich Merz die Entlassung der Ministerin gefordert.

Private Details aus dem Familienleben

Lange schweigt Spiegel, dann kommt, am Abend, eine Einladung zu einem Statement. Der Auftritt wird nicht nur Anne Spiegel, sondern auch die Ampelkoalition und vermutlich so manchen Politikwissenschaftler noch eine Weile beschäftigen.

Denn Spiegel bezeichnet ihren Familienurlaub nach der Flutkatastrophe im vergangenen Sommer zwar als Fehler und entschuldigt sich dafür. „Das war ein Fehler, dass wir so lange in Urlaub gefahren sind und ich bitte für diesen Fehler um Entschuldigung“, sagt die Grünen-Politikerin am Sonntagabend in Berlin. Aber ihre Begründung ist ausgesprochen emotional und hat es in sich. Spiegel greift zu privaten Details. Sie spricht über den Gesundheitszustand ihres Mannes, der nach einem Schlaganfall „absolut keinen Stress“ habe haben dürfen. Und sie spricht davon, dass sie als vierfache Mutter in der Coronapandemie gesehen habe, dass ihre Kinder – alle noch klein – „nicht gut durch die Pandemie“ gekommen seien. Ihre Familie habe Urlaub gebraucht.

Versprecher oder Scheinheiligkeit?

Sie stehe zwar dazu, dass sie die Spitzenkandidatur in Rheinland-Pfalz übernommen habe. Die zusätzliche Übernahme des Umweltressorts in Rheinland-Pfalz im Januar 2021 sei jedoch zuviel gewesen und haben ihre Familie „über die Grenze gebracht“.

Sie habe unmittelbar nach der Flut einen Krisenstab eingesetzt und weitere Maßnahmen auf den Weg gebracht. Die Abwägung zwischen ihrer Verantwortung als Ministerin und als Mutter sei ihr schwer gefallen. Sie habe daher entschieden, in den Urlaub zu fahren. Während ihres Urlaubs sei sie immer erreichbar gewesen, habe Telefonate geführt und sich informiert.

Am Ende ihres Auftritts schaut die Ministerin zur Seite und sagt, plötzlich ganz ohne Betroffenheit, „jetzt muss ich’s noch irgendwie abbinden“. Dann, wieder in die Kameras gerichtet, entschuldigt sie sich. Während des gesamten Auftritts kommt es ihr nicht in den Sinn, das Wort an all die Familien im Ahrtal zu richten.

Bei der Flutkatastrophe Mitte Juli 2021 sind in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen mehr als 180 Menschen ums Leben gekommen, davon 134 im Ahrtal. Rund 750 Menschen wurden in Rheinland-Pfalz verletzt und große Teile der Infrastruktur sowie Tausende Häuser zerstört. Viele Menschen leben noch immer in Not- oder Ausweichquartieren.