Es ist fast ein wenig verwunderlich, dass es so lange gedauert hat – doch mittlerweile hat auch die mit den Themen Entwerfen und Bauen beschäftigte Fachwissenschaft das Fellbacher Superhochhaus als Forschungsobjekt entdeckt. Konkret sind es angehende Architektinnen und Architekten, die sich mit dem Schwabenlandtower auseinandersetzen, seine Substanz prüfen, die Zukunftsfähigkeit des „Ewig Unvollendeten“ untersuchen, Visionen für eine möglich Zukunft entwickeln.
Es ist allerdings nicht etwa, wie man vermuten könnte, ein Studiengang der für seine Architekturfakultät durchaus renommierten Universität Stuttgart, der sich mit dem 107 Meter hohe Bauwerk beschäftigt.
Arbeitstitel: „Ruine des Kapitalismus“
Vielmehr ist es der Fachbereich Architektur der Hochschule Darmstadt, der in den vergangenen Monaten diverse Möglichkeiten für eine Zwischennutzung des Schwabenlandtowers entwickelt hat. Der mit erkennbarer knackiger Ironie ausgestattete Titel der Arbeit setzt sich aus drei Kurzsätzen zusammen: „Ruine des Kapitalismus. Stadt weiterbauen im Postwachstum. Vitalisierung einer Investitionsruine.“
Verantwortlich für die Idee wie auch den Titel sind Professer Thorsten Helbig vom Studiengang Architektur und Innenarchitektur (Fachgebiete Tragwerkslehre, Baustoffkunde und konstruktives Entwerfen) und die Lehrbeauftragte Jasmina Herrmann. Beide arbeiten an der Hochschule Darmstadt, leben aber in Stuttgart.
Und von seinem Domizil in Bad Cannstatt aus begibt sich Helbig, wie er unserer Redaktion in einem Telefoninterview berichtet, gerne mit dem Fahrrad auf Tour ins Remstal. Zwangsläufig kommt er dabei am dem Schwabenlandtower 107 vorbei. Als Fachmann kennt er dieses besondere Bauwerk schon lange. Doch als er seinen Blick die 34 Stockwerke hinaufschweifen ließ, stellten sich ihm doch Fragen: Ist es sinnvoll, dieses unfertige Hochhaus noch viele weitere Jahre leer stehen zu lassen? Kann man diesen Rohbau mit seinem Riesenvolumen nicht anderweitig nutzen? Was bietet sich als Zwischenlösung an, solange der Investor nicht zu Potte kommt? Wie kann man der Hängepartie neuen Schwung verleihen?
20 Studentinnen und Studenten im vierten Semester erstellten eine städtebauliche Analyse, begutachteten die Infrastruktur rund um den Tower. Vor einem Jahr gab es auch einen eintägigen Vor-Ort-Besuch. Helbig: „Wir sind den Kappelberg hoch und haben von dort auf die Stadt und den Tower geblickt, wir haben die Umgebung mit MacDonalds, der Tiefgarage und dem klassischen Geschossbau daneben angeschaut. Wir sind um den Tower herumgelaufen, um das Gebäude zu verstehen. In den Tower selbst reingekommen sind wir aber nicht.“
Studenten sollten „radikale Ideen“ liefern
Acht Entwürfe sind schließlich entstanden. Er habe durchaus empfohlen, bei den Ideen nicht zurückhaltend zu sein, sondern eine „radikalere Haltung“ anzunehmen, berichtet der Professor. Es gab Vorschläge für eine gastronomische Nutzung, als Bibliothek, Kletterhalle oder als Kino.
Ein aufsehenerregender Vorschlag einer studentischen Kleingruppe: In den Stockwerken des Rohbaus könnte man ausgediente Seecontainer platzieren, um Wohnungslose oder Geflüchtete unterzubringen. Für den Ausbau der Freiflächen kämen wiederverwendete Bauteile in Frage. Das Ganze wäre als temporäre Zwischennutzung für 10 bis 15 Jahre gedacht – für eine städtebaulich verträgliche, nachhaltige Nutzung.
Container in die Etagen schieben
Der Vorteil dieser Idee: Die Container lassen sich alle einfach in die Etagen schieben, ohne das die eigentliche Bausubstanz betroffen ist. Die Container können im Werk vorgebaut und und fertig eingerichtet vor Ort schnell verbaut werden. Diese Bauweise ist nicht nur kostensparend, sondern schont auch Material und Umwelt. Der Rohbau sei, so Helbig, wie ein Skelett, wie ein Hochregal, in das man die Container reinschieben könne. Das gesamte Gebäude wird durch einen feuerfesten Treppenblock mit Rauchschleusen erschlossen. Zwei Personenaufzüge sowie ein Lastenaufzug machen alle Etagen schnell und einfach erreichbar.
Um Kosten und Umweltbelastung in einem angemessenen Rahmen zu halten, wurde ein Re-Use-Konzept entwickelt, das Standard-„Abfall“-Elemente aus der deutschen Industrie und Baubranche verwendet.
Einer der kleinen Container ist mit allem ausgestattet, was eine Person zum Leben braucht. Um den Raum möglichst effektiv zu nutzen, wurden ein einklappbarer Tisch sowie viele oben liegende Verstaumöglichkeiten eingeplant. Ein kleiner Balkon und viele gemeinschaftliche Nutzungsbereiche am Gebäude ergänzen diesen kompakten Rückzugsraum für eine Person. Mehr Platz böte ein etwas größeres Familien-Cluster.
Einziehen könnten dort Geflüchtete, Zugewanderte, Migranten, Wohnsitzlose – schließlich benötige Fellbach wie alle Kommunen dringend Wohnraum. Ähnliche Vorschläge, den Tower für derartige Zwecke zu nutzen, äußern Leser übrigens alle paar Wochen gegenüber unserer Redaktion.
Eine Vision: Der Turm wird ab dem 23. Stock gekappt
Eine Variante, die allerdings durchaus in den Bau eingreift, wäre, den Turm ab dem 23. Stockwerk zu kappen. „ Der Bestand lässt vermuten, dass die oberen Etagen als Loftwohnungen vorgesehen waren.“ Im letzten Viertel des Bestandsgebäudes laufen die Baukörper wieder terrassenartig zusammen.
Helbig hofft, dass die Ideen der Studenten Anstöße geben können und der nächste Schritt möglich ist. „Denn so ungenutzt kann er ja nicht ewig herumstehen.“
Keine Gespräche mit Investor und der Stadt
Wenig Interesse
Es sind interessante, eindrucksvolle, amüsante, visionäre Vorschläge der Darmstädter Studierenden – aber ist eine Umsetzung auch realistisch? Professor Helbig sagt: „Mit dem Eigentümer konnten wir nicht in Kontakt treten.“ Ähnlich war’s beim Fellbacher Rathaus. „Die Stadt war nicht richtig interessiert, da gab es keine Gesprächsbereitschaft.“ Er könne dies aber auch verstehen, „für die Stadt ist es ein schwieriges Thema, ob sie das in die Öffentlichkeit tragen soll“.
Verkaufsabsichten
Investorin ist derzeit noch die finanziell in die Bredouille geratene Adler Group. Sie will das Hochhaus allerdings dringend loswerden, zu einem angemessenen Preis natürlich. Mehr als zwei Jahre liegt es zurück, dass die Gruppe verkündet hat, den Schwabenlandtower verkaufen zu wollen. Zuletzt erklärte eine Adler-Sprecherin im Februar 2025: „Wir befinden wir uns in fortgeschrittenen Verhandlungen mit Kaufinteressenten.“ Unwahrscheinlich deshalb, dass der Immobilienkonzern sich mit einer Hängepartie durch eine Container-Zwischenlösung im Tower anfreunden kann.