Am Bürgerbüro des SPD-Abgeordneten Karamba Diaby wurden mehrere Einschusslöcher festgestellt. Foto: dpa/Kay Nietfeld

Karamba Diaby sitzt für die SPD im Bundestag. Seit Jahren erfährt er Anfeindungen, nun wurde auf sein Büro geschossen. Warum die Tat aus seiner Sicht auch mit Hate Speech im Internet zusammenhängt.

Stuttgart - Der Angriff auf das Büro des Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby in Halle an der Saale hat die Diskussion um bedrohte Politiker wieder aufleben lassen. An einer Scheibe von Diabys Bürgerbüro waren am Mittwochvormittag mehrere Einschusslöcher festgestellt worden. Diaby wurde 2013 für die SPD in den Bundestag gewählt. Der Politiker wurde 1961 in Marsassoum im Senegal geboren. Er war der erste in Afrika geborene Schwarze im deutschen Parlament. Nach Deutschland kam er eigenen Angaben zufolge mit Mitte 20. Ein Stipendium habe ihm dazu verholfen in Halle zu studieren. Der Vater von drei Kindern ist Chemiker und promovierter Geoökologe. Bis 2015 war Diaby zudem Stadtrat in Halle. Im Interview mit unserer Zeitung macht Diaby deutlich, dass er sich nicht einschüchtern lässt und seinen Alltag unverändert weiterführen wird.

Herr Diaby, sie werden schon seit Jahren bedroht. 2015 wurde die Fensterscheibe Ihres Büros eingeworfen. Sind die Schüsse, die jetzt auf Ihr Büro abgefeuert wurden, für Sie also nichts Neues?

Doch, das ist eine neue Qualität. Die eingeworfene Scheibe damals fand ich nicht so dramatisch. Aber ich bin fassungslos, dass Menschen Waffen gegen mich in die Hand nehmen.

Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer hat gefordert, dass staatlicher Schutz auch für Kommunalpolitiker gelten müsse. Der nordrhein-westfälische Bürgermeister Christoph Landscheidt, der bedroht wird, erhält seit einigen Tagen Personenschutz. Halten Sie Personenschutz für möglichst viele Politiker für sinnvoll?

Flächendeckender Schutz für alle gewählten Personen in Deutschland ist nicht realistisch und auch gar nicht machbar. Viel wichtiger ist die gesellschaftliche Sensibilität: Wir müssen wissen, dass es uns alle angeht, wenn Menschen bedroht werden, die sich für diese Gesellschaft einsetzen. Wir alle müssen uns jetzt die Frage stellen: In was für einer Gesellschaft wollen wir leben? Wer in einer offenen Gesellschaft leben will, muss für sie eintreten. Wir dürfen der Minderheit von Menschen – und ich betrachte sie als Minderheit – , die andere bedroht und denkt, es kann nur ihre eigene Meinung gelten und sonst keine, nicht das Feld überlassen.

Der Bürgermeister Christoph Landscheidt, der bedroht wird, hatte einen Waffenschein beantragt. Als der Antrag abgelehnt wurde, klagte er. Mittlerweile hat er die Klage zurückgezogen. Wollen Sie jetzt auch einen Waffenschein?

Nein. Waffen zu tragen, ist keine Lösung. Je mehr Menschen mit Waffen herumlaufen, desto höher ist die Gefahr, dass sie irgendwann auch zum Einsatz kommen. Ich lasse mich aber nicht einschüchtern. Das ist ja das Ziel solcher Anschläge. Mein Team und ich machen unsere Arbeit weiter. Ich habe keine Angst und ich werde meinen Alltag nicht verändern. Meine Wähler erwarten von mir, dass ich mich weiter für sie einsetze.

Sie werden auch im Internet beschimpft und beleidigt. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen Hate Speech im Netz und physischen Taten wie den Schüssen auf Ihr Büro?

Ich sehe auf jeden Fall einen Zusammenhang. Hasskommentaren und rechtswidrigen Inhalten im Netz darf der Einzelne nicht nur mit Kopfschütteln begegnen. Wer bei Hasspostings keine Gegenrede leistet, macht es sich zu einfach. Das gilt nicht nur im Internet, sondern auch im Sportverein, in der Familie, im Betrieb: Wenn sich jemand menschenfeindlich äußert, muss jeder Einzelne dazu beitragen, diese Meinung nicht so stehen zu lassen. In einer offenen Gesellschaft ist das eine Pflicht. Das Thema geht uns alle an. Man kann diese Herausforderung nicht nur Politikern und Journalisten überlassen. Es ist auch eine Frage der Sichtbarkeit. Als die NPD zum Beispiel vor einiger Zeit ein Foto von mir postete, um mich zu beleidigen, haben mich einige Hundert Menschen im Netz bedroht. Als ich gesagt habe: Das lasse ich mir nicht gefallen, haben darauf mehr als 100 000 Menschen positiv reagiert.

Seit gut zwei Jahren sind die Betreiber von Social-Media-Plattformen verpflichtet, rechtswidrige Inhalte zu löschen. Die Bundesjustizministerin will das Gesetz nun verschärfen. Künftig sollen die Betreiber solche Inhalte auch dem Bundeskriminalamt melden. Was halten Sie von dem Vorstoß?

Die Bundesjustizministerin Christine Lambrecht hat damit einen hervorragenden Gesetzesvorschlag gemacht. Er sollte unbedingt eine Mehrheit finden. Ich betone aber, dass ich nicht gegen Meinungsfreiheit bin. Unser Grundgesetz ist an der Stelle ganz klar: Auf der einen Seite herrscht Meinungsfreiheit, auf der anderen Seite steht im Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ In diesem Rahmen bewegen wir uns.

Kritiker monieren, dass es zu einer Anzeigenflut kommen könnte, wenn der Vorschlag umgesetzt wird. Braucht es mehr Personal bei den Strafverfolgungsbehörden?

Unsere Aufgabe im Bundestag ist es, die Rahmenbedingungen zu schaffen. Wenn wir feststellen, dass das Personal nicht ausreicht, müssen wir uns noch einmal genau ansehen, was wo gebraucht wird.

Die AfD-Politikerin Heike Themel hat auf Twitter Zweifel daran geäußert, dass die Schüsse auf Ihr Büro von außen kamen. Wie reagieren Sie darauf?

Solche niveaulosen Aussagen kommentiere ich nicht.

In Halle gab es Anfang Oktober einen rechtsextrem motivierten Anschlag mit zwei Toten. Jetzt wurde auf Ihr Büro geschossen. Kann die Polizei in Halle noch die Sicherheit gewährleisten?

Ich kann die Arbeit der Polizei in Halle nicht kritisieren, auch aus persönlicher Erfahrung. Der Polizeipräsident hat mich nach dem Anschlag angerufen. Meine Erfahrung ist, dass ich mich auf die Arbeit der Polizei verlassen kann.