Im Friseurhandwerk werden nicht die besten Löhne gezahlt. Die Angestellten profitieren deshalb oft von der Mindestlohnregelung. Foto: dpa/Magdalena Tröndle

EU-Politiker sehen darin einen Meilenstein für ein sozialeres Europa. Arbeitgeberverbände empfinden es als Kompetenzanmaßung.

Dennis Radtke ist sehr zufrieden: Die EU hat sich mit großer Übereinstimmung auf europaweite Standards für Mindestlöhne geeinigt. Der CDU-Sozialpolitiker und Europaparlamentarier war federführend an der Ausarbeitung des Kompromisses beteiligt, über den am Mittwoch noch im Parlament abgestimmt werden muss. Eine deutliche Mehrheit gilt als sicher, danach haben die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, die Vorgaben umzusetzen.

„Die Richtlinie über angemessene Mindestlöhne schreibt ein Stück sozialpolitische Geschichte“, erklärt Radtke. „Erstmals wird ein Rahmenwerk der EU einen direkten Beitrag dazu leisten, dass Menschen für ihre Arbeit gerecht entlohnt werden.“ Sie sei ein wahrer „Game-Changer“ im Kampf um ein sozialeres Europa.

Eine Stärkung der Tarifbindung

Das Papier sieht eine Stärkung der Tarifbindung und einen Rahmen für die Festlegung und Anpassung von Mindestlöhnen nach klaren Kriterien vor. Ferner sollen Kontrollen in Betrieben und regelmäßige Berichte der Mitgliedstaaten an die EU-Kommission über Tarifbindung und Höhe des Mindestlohns festgeschrieben werden.

Allerdings, so betonen die EU-Verantwortlichen immer wieder, werde es keine zentralistische Festlegung von Mindestlöhnen geben. Sie versuchen damit, einen wichtigen Punkt der Kritiker zu entkräften. Die EU wolle nicht die bestehenden Systeme in Frage stellen, wie das oft von Arbeitgeberseite vermutet wird. Es bleibe weiter den Mitgliedsländern überlassen, wie hoch sie den jeweiligen Mindestlohn ansetzen.

Unterschiedliche Höhe der Mindestlöhne

Allerdings liegt dessen Höhe in den verschiedenen Mitgliedsländern zum Teil sehr weit auseinander. Nach EU-Angaben reicht sie von 332 Euro in Bulgarien bis 2257 Euro in Luxemburg. Zudem gibt es nur in 21 der 27 Mitgliedstaaten einen gesetzlichen Mindestlohn. Deutschland lag in der ersten Jahreshälfte 2022 mit 1638 Euro auf Platz fünf - nach Luxemburg, Irland, den Niederlanden und Belgien. In den anderen Staaten wie etwa Österreich besteht meist eine sehr hohe Tarifbindung, die auch vom Staat stark unterstützt wird.

Es wäre also kaum möglich, einen einheitlichen europäischen Mindestlohn festzulegen oder die nationalen Mindestlohnsysteme anzugleichen. „Die Grundidee besteht vielmehr darin, auf europäischer Ebene gemeinsame Kriterien für angemessene Mindestlöhne zu definieren“, heißt es in einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.

Die Arbeitgeber kritisieren die EU

Dennoch hagelt es Kritik. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände bezeichnet „die europäische Mindestlohnbürokratie als eine Kompetenzanmaßung der Europäischen Kommission“. Deutschland besitze mit der Mindestlohnkommission ein etabliertes und sehr bewährtes Gremium, das über die Höhe des Mindestlohnes befinde.

Doch nicht nur die Regelung zum Mindestlohn ist den Arbeitgeberverbänden ein Dorn im Auge. Sie stören sich vor allem an dem Ziel, die Tarifbindung in den Betrieben zu stärken. Wenn weniger als 80 Prozent der Arbeitnehmer einen Tarifvertrag haben, sollen die Regierungen nach dem Willen der EU aktive Schritte unternehmen, das zu ändern. Allerdings liegen die meisten Staaten der EU unter diesem Niveau. Auch in Deutschland ist die Zahl der Tarifverträge rückläufig. Nach einer Studie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung arbeiteten 2020 nur noch 43 Prozent der Beschäftigten in Betrieben mit einem Branchentarifvertrag.

Das Leben der Beschäftigten verbessern

Die Politik müsse in der aktuellen Krise Rahmenbedingungen schaffen, könnte aber nicht auf jeden Aspekt eine umfassende Antwort geben, unterstreicht Dennis Radtke. Grundlage für ein Gelingen der nun angestrebten Regelung sei „eine funktionierende, eine starke Sozialpartnerschaft“. Und er ist überzeugt, dass die Umsetzung der EU-Richtlinie „das Leben von Millionen von Beschäftigen mit niedrigen und teils existenzbedrohlichen Löhnen erheblich verbessern“ werde.