Die Tourismusregionen in Mecklenburg-Vorpommern, wie hier der Ort Botenhagen, sind in diesem Sommer beliebte Reiseziele. Foto: Jens Büttner/dpa

In Corona-Zeiten hält sich das Fernweh in Grenzen: Die meisten Bundesbürger werden in den Sommerferien innerhalb Deutschlands verreisen oder gleich zu Hause bleiben – Ferienwohnungen und Campingplätze sind beliebter denn je.

Stuttgart - Die Folgen der Coronakrise verstärken den Trend zum Urlaub im eigenen Land. Schon vor der Pandemie verbrachte rund ein Viertel der Deutschen die Ferien in eigenen Gefilden. Dieser Anteil wird sich im Jahr 2020 wohl noch steigern. Zwei aktuellen Umfragen zufolge ist Deutschland dieses Jahr das unangefochtene Top-Reiseziel.

Verändert Corona das Reise- und Urlaubsverhalten der Deutschen?

Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitut Civey wollen 35,9 Prozent der Deutschen ihre Ferien in Deutschland verbringen. 26 Prozent planen eine Reise in das europäische und drei Prozent ins nichteuropäische Ausland. Dieses Bild ist nicht ungewöhnlich: „Auch vor Corona verbrachte ein Großteil der Deutschen die Ferien im eigenen Land“, sagt der Tourismusforscher Torsten Kirstges von der Jade-Hochschule in Wilhelmshaven.

Nach der Reiseanalyse der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR) verreisten im letzten Jahr 26 Prozent der Deutschen in heimische Gefilde. Auf Platz zwei landete Spanien mit 12,7 Prozent, gefolgt von Italien mit 8,7 Prozent. Kirstges schätzt, dass 2020 zwischen 40 und 50 Prozent der Reisenden in Deutschland bleiben.

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Sind das gute Nachrichten für den deutschen Tourismus?

Leider nein. Die verlorenen Monate März, April und Mai lassen sich nicht mehr aufholen. Außerdem: „In absoluten Zahlen gesehen geht das Reisevolumen dieses Jahr zurück“, betont Kirstges. Normalerweise unternehmen 80 Prozent der Deutschen pro Jahr eine längere Reise.

Dieses Jahr, so schätzt der Forscher, werden nur 60 bis 65 Prozent in die Ferien fahren. Der Grund: Unsicherheit und Angst wegen Corona, weniger Geld wegen Kurzarbeit oder gar Arbeitslosigkeit und weniger Zeit, weil Urlaubstage schon aufgebraucht werden mussten.

Welche Bundesländer sind besonders beliebt?

Nach Zahlen des Meinungsforschungsinstituts YouGov ist Bayern bei den Deutschland-Urlaubern mit 17 Prozent am beliebtesten, dicht gefolgt von Mecklenburg-Vorpommern mit 16 Prozent sowie Schleswig-Holstein und Niedersachsen mit jeweils elf Prozent.

„Wir sehen eine sehr hohe Nachfrage nach Urlaub an den Hotspots wie der Ostsee, der Nordsee und Bayern“, erklärt Dirk Dunkelberg, stellvertretender Geschäftsführer des Deutschen Tourismusverbandes (DTV). Sollte das Sommerwetter mitspielen, werde es auch noch viele kurzfristige Buchungen geben.

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Steigen nun die Preise für den Urlaub?

In begehrten Orten an der Nord- und Ostsee waren die Preise in den Sommerferien schon immer höher als in der Nebensaison. Dieser Trend dürfte sich nun verstärken. „Die Hotels haben durch Corona höhere Kosten“, gibt Tourismusforscher Kirstges zu bedenken. „Wegen der Abstandsregeln ist nur eine reduzierte Auslastung erlaubt, die Hygieneanforderungen sind gestiegen, man braucht mehr Personal, weil Büffets nicht überall erlaubt sind., und so weiter.“

Dieser Aufwand müsse sich auf die Preise auswirken. Wer dem entgehen möchte muss sogenannte „1-B-Lagen“ buchen. Auch Dirk Dunkelberg vom DTV sagt: „Wir raten, auch in die Mittelgebirge oder zu den unbekannteren Seen in Brandenburg zu fahren, damit sich nicht alles auf wenige Regionen konzentriert.“

Was sind die Gründe für die Vorliebe für heimische Regionen?

Wer innerhalb Deutschlands verreist muss sich über eventuell geschlossene Grenzen nicht zu sorgen Jeder fünfte der von Civey Befragten gibt an, Angst vor einer Virus-Infektion zu haben. 10,6 Prozent stört die Mundschutzpflicht im Flugzeug, 10,1 Prozent sorgen sich um die medizinische Betreuung vor Ort und 7,8 Prozent schrecken Unklarheiten über lokale touristische Angebote ab – wie zum Beispiel Öffnungszeiten von Restaurants und Geschäften. „Es herrscht eine große Unsicherheit, die von der Politik geschürt wird“, sagt Kirstges.

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Profitieren die Anbieter von Ferienwohnungen und Campingplätzen?

Deutlich. Die Angst vor dem Virus führt zu einer Beliebtheitssteigerung bei Ferienwohnungen und Campingplätzen. 39,5 Prozent der Urlauber wollen in den großen Ferien eine Ferienwohnung mieten. Nur jeder vierte Befragte (24,9 Prozent) gibt an, in ein Hotel zu gehen. 11,5 Prozent verbringen ihren Sommerurlaub auf dem Campingplatz.

Wie sieht es mit Auslandsreisen aus?

Nur 16 Prozent der Befragten wollen laut YouGov innerhalb der EU verreisen. 35 Prozent der Europa-Urlauber zieht es nach Südeuropa – vor allem Italien, Kroatien, Malta, Portugal, Slowenien und Spanien. Es folgen die Länder Mitteleuropas mit 23 Prozent und Nordeuropa mit 14 Prozent.

Vor allem junge Leute bis 24 Jahre zieht es ins Ausland: 27 Prozent wollen innerhalb Europas acht Prozent ins außereuropäische Ausland verreisen. Im Gesamtdurchschnitt wagen letzteres nur drei Prozent aller Befragten. Die Generation ab 45 Jahre geht lieber kein Risiko ein und bleibt mehrheitlich zu Hause.

Wie stark ist der deutsche Reisemarkt infolge von Corona eingebrochen?

Die Corona-Krise hat auch im Mai die Geschäfte der Hoteliers in Deutschland gelähmt. Die Zahl der Übernachtungen von Gästen aus dem In- und Ausland brach im Vergleich zum Vorjahresmonat um 74,8 Prozent ein, wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mitteilt. Demnach gab es nur noch 11,2 Millionen Übernachtungen. Besonders deutlich war der Einbruch bei Reisenden aus dem Ausland (minus 90,9 Prozent). Die Zahl der Übernachtungen von Gästen aus dem Inland stürzte um 71,5 Prozent auf 10,5 Millionen ab.

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Gilt dieser Rückgang auch für Urlaubsregionen im Ausland?

Ja. Obwohl die Reisewarnung für die meisten europäischen Länder seit Mitte Juni aufgehoben ist, sind viele im Land der früheren „Reiseweltmeister“ zögerlich, was Buchungen betrifft. Zwar steige der Verkauf von Flugpauschalreisen ans Mittelmeer seit Anfang Juni wieder stetig an, wie der Deutsche Reiseverband (DRV) mitteilt.

So zeige eine Auswertung einer Buchungswoche Ende Juni, dass Griechenland, die Balearen und die Kanarischen Inseln zweistellige Zuwächse verzeichnen und Italien, Kroatien und Österreich immerhin einstellige. „Trotz dieser positiven Tendenz liegt die Gesamtzahl der Buchungen nur bei einem Viertel des Vorjahres“, erklärt DRV-Präsident Norbert Fiebig. „Wir gehen davon aus, dass es nicht viel mehr als ein Drittel der Pauschalreise-Buchungen des Sommers 2019 werden.“

Wie beurteilen andere Experten die Lage?

Dem Wirtschaftspsychologen Martin Lohmann zufolge ist das touristische Angebot in diesem Jahr deutlich abgespeckt: weniger geöffnete Hotels, weniger Flüge und nicht erreichbare Badeziele wie Ägypten, Tunesien und die Türkei. Eine Reiseintensität, wie sie vor Corona geherrscht habe, erwartet er erst 2022: „Diese Krise trifft die Reisebranche härter und länger als jede bisherige.“

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Wie geht es bei den Kreuzfahrten weiter?

Der Weltverband der Kreuzfahrtindustrie Clia hat gemeinsam mit den deutschen Behörden und Hafenverwaltungen ein Hygienekonzept erarbeitet. Die Wiederaufnahme der Kreuzfahrten soll in drei Phasen eingeteilt werden: In der ersten Phase starten Schiffe von deutschen Häfen wie Hamburg oder Rostock aus mit Gästen aus dem deutschsprachigen Raum an Bord, ohne einen Hafen anzulaufen. Zudem werden deutlich weniger Passagiere mitfahren dürfen als üblich.

In der zweiten Phase dürfen auch ausländische Häfen angefahren werden. Und in der dritten Phase sollen die Reedereien zu ihrer gewohnten Routengestaltung zurückkehren können. Die deutschen Anbieter Aida, Tui Cruises und Hapag-Lloyd Cruises kündigten erste Reisen ab Ende Juli an.

Wie kommt das Urlaubsland Baden-Württemberg durch die Flaute?

Innerhalb Deutschlands ist Baden-Württemberg laut Reiseanalyse der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen unter den Top 5 der beliebtesten Ziele. Das Tourismusministerium des Landes erwartet, dass die Sommermonate gut gebucht sein werden.

Das bestätigen auch die Signale aus den Regionen. Schwarzwald, Schwäbische Alb, Bodensee und Co. melden einen deutlichen Anstieg, vor allem an kurzfristigen Buchungen. Camping- und Wohnmobilstellplätze, Ferienwohnungen auf Bauernhöfen haben teilweise kaum noch Kapazitäten. Eine schlechtere Buchungslage ist bei Unterkünften, wo die Hygiene- und Abstandsregeln schwer umzusetzen sind, zu verzeichnen – wie Pensionen, Ferienanlagen, Wellnesshotels und Business- und Seminarhotels.

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