Mehr Farbe, bitte! Der Musiker Harry Styles in einem lustigen Erdbeer-Shirt und froschgrüner Hose samt genderfreier Kette. So geht Sommer. Foto: AFP/CINDY ORD

Für die Modetrends in diesem Sommer braucht man nicht viel Mut, dafür eine Menge Selbstironie. Oder man kopiert einfach Harry Styles, den Stilgott, der alles richtig macht.

Zuerst die gute Nachricht: Die 80er Jahre schleichen sich allmählich davon. Jahrelang dominierte die modische Geschmacklosigkeit der gefürchtetsten aller Dekaden in den Fußgängerzonen der Republik. Neonfarbene Teile, Lackleder, Pailletten oder breite Taillengürtel und Schulterpolster verursachten Übelkeit und Migräne.

Edel-Schluffis in Badelatschen

Nun die schlechte Nachricht: Die Sommermode in diesem Jahr scheint auch nicht gerade gesundheitsfördernd zu sein. Was möglicherweise an der Unentschiedenheit der Modemacher liegen mag, die mit ihren Kollektionen gerne die Krisen unserer Zeit vergessen machen wollen, um im nächsten Augenblick dann doch wieder in alte Muster zu verfallen. Zum Beispiel das Schuhwerk: Vor der Pandemie war das natürliche Habitat von Menschen in Badelatschen die Nasszelle, der Umkleideraum oder ein Campingplatz. Nun, im dritten Corona-Jahr, schreitet der von Video-Konferenzen im Home Office verweichlichte Edel-Schluffi in dunkelblauen Adiletten selbstbewusst in die nächste Theaterpremiere. Kein Witz.

Hoher Kuschelfaktor

Die modische Steigerung dieser besorgniserregenden Zehenparade sind nun Schlappen aus Frottee-Stoff. Man trägt die weichen Slipper weit außerhalb der Wellnesszone eines Hotels spazieren. Exquisite Labels wie Bottega Veneta bieten das saugfähige Material für alle Lebens- und Körperlagen an, man kann sich – sofern das nötige Kleingeld vorhanden ist – vom Scheitel bis zu Sohle in Frottee kleiden. Mehr Kuschelkomfort geht nicht.

Arztkittelweiße Sandalen

Apropos Zehenparade: Sandalen sind weiterhin unentbehrlich, und je hässlicher und klobiger am Huf – Pardon, Fuß – die Teile wirken, desto besser. Der Ugly-Chic-Style kommt diesen Sommer voll zur Geltung, die meisten Hersteller bieten arztkittelweiße Modelle an, etwa Ugg, Fila oder auch Copenhagen Studios, mit richtig fetten Gummisohlen und monströsen Klettverschlüssen. Dazu schlüpft man passenderweise in weiße Baumwollkniestrümpfe ohne Emblem, die möglichst wie Thrombosestrümpfe eng anliegen. Da fällt man auch in einer medizinischen Reha-Abteilung nicht unangenehm auf.

Pünktchen zu Streifen

Das heißt allerdings nicht, dass Farbe keine Rolle spielt, im Gegenteil. Je bunter, je doller. Gelbtöne sind im Trend, mit limonenfarbenen Shorts oder T-Shirts macht man nichts falsch. Pünktchen passen zu Blockstreifen oder floralen Dessins. Hauptsache, man ist auch noch auf Satellitenaufnahmen deutlich zu erkennen.

Während einige Designer mit ihrer Mode auf die Corona-Krise verweisen wollen, suchen andere Kreative das Heil in der Ignoranz. Klassische Sexyness ist wieder salonfähig. Oder immer noch? Man glaubt es kaum, aber auf den Laufstegen der maßgeblichen Modehäuser waren für diese Saison nicht etwa möglichst genderneutrale Kollektionen zu sehen, sondern vielmehr wandelnde Klischees.

Kim Kardashian statt Harry Styles? Echt jetzt?

Man betont Brüste und Hüften, zeigt Muskeln und Schultern, trägt möglichst überhaupt viel von seiner Haut zu Markte. Hautenge Stretchpellen à la Kim Kardashian, hochgeschlitzte Röcke, Crop-Tops für Männer und Frauen, wobei man diese bauchfreien Oberteile nur tragen kann, wenn man seine Pandemieröllchen inzwischen abtrainiert hat. Der menschliche Körper ist und bleibt hart umkämpft, die Modeindustrie gibt sich in den Medien genderneutraler als sie in Wirklichkeit ist.

Das ist auch am verräterischen Comeback des Butterfly-Tops zu erkennen. Popstars wie Mariah Carey oder Christina Aguilera haben das Butterfly-Top ja in den 90ern schon andauernd vorgeführt. Butterfly-Tops sind stoffarme Oberteile, die vorne der Silhouette eines Schmetterlings nachempfunden sind.

Das Oberteil passend zum VW Bulli

Die Oberteile sind meist bauchfrei und werden am Rücken nur mit überkreuzten Trägern getragen. Auf den den Webseiten namhafter Hersteller posieren mädchenhafte Frauen mit reichlich Kurven in solchen Tops, und wenn man sich dazu auch noch einen VW Bulli an einem einsamen Strand mit Lagerfeuer und einem gutgebauten Schnurrbartträger mit Grillzange denkt, ist man genau richtig angekommen im Neo-Hippie-Traum der jungen Leute von heute. Unnötig zu erwähnen, dass solche Butterfly-Tops allen Wesen ohne Brustansatz nicht zu empfehlen sind.

Nein, die Geschlechtergrenzen werden in diesem Sommer bestimmt nicht überwunden. Vielleicht dann im nächsten Jahr.