Der russische Comedian Oleg Denisov tritt am kommenden Montag bei der Benefizveranstaltung für die Ukraine im Stuttgarter Theaterhaus auf sowie am 23. Mai im Renitenztheater. Foto: Renitenztheater

„Die ganze Welt“ bittet er um Vergebung für Putins Krieg: Ein russischer Theatermann hat einen Brief nach Stuttgart geschickt, der unter die Haut geht. Ein anderer Russe, der Comedian Oleg Denisov, solidarisiert sich mit der Ukraine am Montag im Theaterhaus.

Als der Anruf von Dietrich Krauß kam, dem in Stuttgart lebenden Autor der ZDF-Satiresendung „Die Anstalt“, musste Sebastian Weingarten, der Intendant des Renitenztheaters, nicht lange überlegen. Aber klar, die Kabarettbühne im Hospitalviertel ist solidarisch und verschafft dem russischen Comedian ein bezahltes Gastspiel!

Oleg Denisov, der Stand-up-Komiker aus Moskau, war mit einem der letzten Flugzeuge aus Russland geflogen, um Anfang März kurz nach Beginn der Invasion in der Ukraine in der „Anstalt“ aufzutreten. „Obwohl niemand von uns völlig schuldlos ist, wollen wir Russen nicht den Krieg“, erklärte der Anfang Dreißigjährige mit der hohen Denkerstirn und dem verschmitztem Lächeln dem deutschen Fernsehpublikum. Seine Heimat wollte Denisov nicht verlassen. In Russland ist es aber noch gefährlicher geworden als bisher, seine Meinung zu sagen, wenn sie von der Putins abweicht. Autor Dieter Krauß hilft ihm, Engagements zu finden – von Spenden allein will der Künstler nicht leben.

Im Theaterhaus tritt das Who’s who der heimischen Comedyszene auf

Am nächsten Montag, 20 Uhr, tritt der Russe Oleg Denisov für die Ukraine im Theaterhaus auf (in englischer Sprache). Bei seiner Benefizveranstaltung (es gibt noch Karten) will das Who’s who der heimischen Comedyszene rund um Roland Baisch Flagge zeigen. Darf man Späße machen, wenn Krieg in der Ukraine ist? „Ja, man muss!“, findet Christian Langer von der A-cappella-Gruppe Die Füenf, die an diesem Abend ebenfalls dabei ist, „wir müssen raus aus der Erstarrung!“

Denisov fiel es in den ersten Wochen nach Kriegsbeginn „extrem schwer“, lustig auf der Bühne zu sein, wie er in einem Radiointerview erklärte. In der Comedy geht es für ihn „um menschliche Verbundenheit – auch um das gegenseitige Verständnis dessen, was nicht gesagt wird“. Damit entstehe eine Art von Verständnis, wie sie nur zwischen engen Freunden herrsche. „Ein Komiker kann dasselbe in zwei Minuten auf der Bühne erreichen“, sagte der Mann, der als „Moscow’s main comedy export“ (Moskaus größter Comedy-Export) bezeichnet wird, „für mich ist dies das Wertvollste meiner Arbeit.“ Denn er ist davon überzeugt, „dass Comedy das Verständnis zwischen den Kulturen fördert“.

Der Theaterchef glaubt an die „Kraft des Wortes“ und an den „Dialog“

Es ist Putins Krieg, nicht der Krieg der Russen. Theaterchef Sebastian Weingarten ist ein großer Freund der Russen. Dieses Jahr wollte er den 30. Geburtstag der Partnerschaft von Stuttgart und Samara feiern. Schon oft hat er Theaterprojekte zusammen mit russischen Freunden produziert und veranstaltet. Für den 23. Mai hat er Oleg Denisov ins Renitenz eingeladen. Noch mehr als zuvor schreibt Weingarten seinen Freunden in Russland, aber nicht mehr über Whatsapp. Sie haben neue Wege der Kommunikation gefunden.

Was Putin mit dem Angriffskrieg anrichtet, macht den Intendanten „fassungslos, unendlich traurig, ratlos, aber nicht sprachlos“. Die Künstlerinnen und Künstler fänden die richtigen Worte auf der Bühne. „Das Kabarett hat nie geschwiegen“, erklärt der Theaterchef, „sondern stets den Finger in die Wunde gelegt.“ Er glaubt an „die Kraft des Wortes, an den Dialog, an die Menschenwürde und an die Hilfsbereitschaft“.

Vor einer Vorstellung des Stuttgart-Stücks „Bopser 9“, des Hausprogramms des Renitenztheaters, las er eine Botschaft vor, die er von einem Freund aus St. Petersburg bekommen hat. Die Worte haben es in sich. Sie gehen unter die Haut und bewegen das Publikum zutiefst. Wir wollen den Brief hier nun im Original veröffentlichen – zum Vorlesen daheim, in der Schule, in den Kirchen und in noch viel mehr Runden:

Der Brief des russischen Theatermanns geht unter die Haut

„Ich entschuldige mich bei allen meinen Freunden auf der Welt für die Handlungen des russischen Präsidenten. Alle Bürger Russlands, außer den Beamten (sie tun es gezwungen), sind gegen den Krieg und verurteilen ihn. Ich schäme mich als russischer Staatsbürger für diese Tat. Es gibt keine einzige Person in meiner Umgebung, die eine solche Entscheidung unterstützt. Aber für diese Entscheidung einer Person müssen alle Einwohner Russlands bezahlen und sogar leiden. Wir, gebildete Bürger Russlands, bitten die ganze Welt um Vergebung für diese Tat und diesen morgendlichen Schock. Ich und meine Freunde haben eine klare bürgerliche Position und drücken unsere Solidarität mit der Welt und vor allem mit der Ukraine und unserem brüderlichen Volk aus. Es fällt mir schwer, jetzt die richtigen Worte zu finden, da ich in einem Zustand des Schocks und des Missverständnisses bin, wie ich diesem Regime widerstehen kann, damit sich unser Leben normalisiert und alles in Frieden und Liebe lebt. Ich bin meinen Freunden auf der Welt für ihre Unterstützung dankbar und entschuldige mich für das, was passiert ist. Ich schäme mich und schäme mich noch einmal! Aber ich denke positiv und bin mir sicher, dass die Gerechtigkeit triumphieren wird! Ich liebe euch alle!“

Weingarten hat seinen Freund in Russland gefragt, ob die Zeitung in Stuttgart diese Botschaft veröffentlichen darf. Seine Antwort: „Ja, unbedingt, auch mit meinem Namen.“ Seinen Namen lassen wir trotzdem weg und bedanken uns für diese Worte! Danke für die deutsch-russische Freundschaft, die Putin nicht zerstören kann!

For the People

Im Theaterhaus
findet am 4. April, 20 Uhr, eine große Benefizveranstaltung unter dem Motto „For the People“ statt. Der Erlös geht an den Arbeitskreis Asyl, der sich um Geflüchtete kümmert. Roland Baisch moderiert. Seine Gäste sind unter anderem: Eure Mütter, Heinrich del Core, Die Füenf, Annette Postel & Bobby Fischer, Helge Thun, Foaie Verde, Ines Martinez, Pablo Zibes und Oleg Denisov. Karten gibt es beim Theaterhaus unter Telefon 07 11 / 4 02 07 - 20.