In der Tri-Bühne läuft „Miststück“. Foto: SETT

Nach langer Pause beginnt an diesem Freitag das Stuttgarter Europa-Theater-Treffen. Das Konzept wurde überarbeitet, geblieben ist der Fokus.

Was kann das Theater aktuell leisten nach der Pandemie und in Zeiten politischer Krisen? „Geschichten erzählen, Menschen zusammenbringen!“, antwortet der ungarische Theatermacher László Bagossy. Er gehört zum künstlerischen Team des Stuttgarter Europa-Theater-Treffens, kurz Sett, das nach zweijähriger Pause nun mit drei Produktionen an den Start geht. Im Gespräch mit Bagossy, der Leiterin des Theaters Tri-Bühne, Edith Koerber, und ihrem Stellvertreter Stefan Kirchknopf ist den Machern die Vorfreude auf das Festival anzumerken nach langer Saure-Gurken-Zeit.

Während der Lockdowns hat Edith Koerber aber nicht die Hände in den Schoß gelegt. „Kurz vor Ausbruch der Pandemie war ich noch in Istanbul und habe dort mit einer Gruppe das Stück ‚Sobremesa‘ vorbereitet“, sprudelt sie los. Dann kam die Pandemie, doch die Gruppe arbeitete weiter, im Online-Kontakt via Zoom. „Im Moment proben die Frauen in Istanbul das Stück fertig“, freut sich Edith Koerber, „im Mai kommt die Produktion Aim Rahmen von Sett dann zu uns ins Haus.“

Aufbau eines internationalen Repertoires

Mit der aktuellen Ausgabe orientiert sich das Festival neu. Statt das Theatertreffen wie in Vor-Pandemie-Zeiten mit dichtem Spielplan über zwei Wochen zu feiern, überspannt es nun einen mehrmonatigen Bogen mit dem Auftaktwochenende ab dem 27. Januar bis zum Abschluss am 18. Juni. „Wir wollten Zeit zum Reagieren haben, falls zum Beispiel wieder Corona aufflammen sollte. Es sollte auch nicht einfach ein ‚Weiter so!‘ sein“, so Koerber im Hinblick auf die komplexe Logistik eines Festivals, das Künstler und Künstlerinnen aus der Türkei, Italien, Ungarn, Griechenland und anderen Nationen nach Stuttgart einlädt.

Nachhaltigkeit ist Koerber wichtig. „Im Prinzip möchten wir uns auch von der Idee verabschieden, das Sett als alle zwei Jahre stattfindende Solitärveranstaltung auszurichten“, ergänzt der zukünftige Geschäftsführer Stefan Kirchknopf, der zusammen mit László Bagossy als Künstlerischem Leiter das Theater Tri-Bühne von Edith Koerber übernehmen wird. „Wir planen, ein internationales Repertoire aufzubauen, in enger Kooperation mit Schauspielschulen in Europa.“

Über Faschismus reden

Die ungarische Free-SZFE-Bewegung ist Ausgangspunkt dieser Idee. Free SZFE setzt sich für eine unabhängige Hochschule für Theater- und Filmkunst in Budapest ein – die Regierung Orbán hatte die Schule geschlossen. „Wir möchten ein Graduierten-Programm für Theaterkünstler ins Leben rufen, die einmal pro Quartal zusammenkommen, um gemeinsam etwas zu entwickeln.“ Die Schwierigkeit von Sett sei bisher gewesen, dass es sich nicht um ein Präsenzfestival gehandelt habe. „Die Gruppen können nicht wochenlang hierbleiben, um synergetisch miteinander zu arbeiten“, sagt Kirchknopf. Nun sollen internationale Produktionen entstehen, die über ein halbes Jahr gezeigt werden können. Zwar sei das Festival zu klein, um auf großer politischer Ebene etwas ausrichten zu können, finden Koerber und auch Bagossy, mit ihrer Arbeit wollen sie deshalb am direkten Austausch von Künstlern mit dem Publikum ansetzen. „Ich möchte zum Beispiel über den Alltagsfaschismus reden“, sagt Bagossy. „Es geht darum, wie wir miteinander kommunizieren, wie wir uns gegenseitig beherrschen.“ Darum geht es auch in Bagossys Aufführung des ungarischen Dramas „Miststück“ von Béla Pintér, das an diesem Freitag Premiere feiert. „Faschismus basiert auf persönlichen Traumata und Problemen“, sagt Bagossy. „Ich hoffe, dass unser Publikum mit uns über diese Fragen nachdenken und diskutieren wird. Es ist doch nicht so, dass ein kluger böser Mann auf einen Schlag eine neue Ideologie erfindet. Die Basis für Faschismus liegt im Alltag, in der Lieblosigkeit zwischen Menschen.“

An diesem Wochenende ist neben „Miststück“ auch der Opernfilm „Gianni Schicchi“ nach Giacomo Puccinis gleichnamiger Oper zu sehen, inszeniert hat ihn Bagossys ehemaliger Schüler Dániel Sándor Máté. Gerade für junge Absolventen, die nach der Schließung der Budapester Hochschule an anderen europäischen Universitäten ihren Abschluss gemacht hatten, sei es nun wichtig, ihre Kunst zu üben, mit anderen in Kontakt zu kommen, zu netzwerken, sagt Bagossy. Trotz der herben Zeiten und teils dunklen Themen soll es aber heiter zugehen beim Sett. Edith Koerber will das Ernste mit Humor vermitteln. „Wir sind vor allem Verpackungskünstler“, sagt sie – und lacht.

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