Gräber müssen keine Ruhestätten sein: Dante und Vergil im Gespräch mit Farinata. Illustration von Gustave Doré. Foto: imago/Leemage/imago stock&people

In diesem Jahr wird der 700. Todestag des italienischen Dichters Dante Alighieri begangen. Seine „Göttliche Komödie“ ist eines der großartigsten Werke der europäischen Literatur. Es handelt von einer Reise ins Jenseits. In unserer Serie „Dante lesen“ reisen wir mit.

Stuttgart - Kaum ein Buch hat durch die Jahrhunderte so eine Karriere gemacht, wie die „Göttliche Komödie“, kaum eines wird so wenig gelesen. Doch wir wollen die drastischen Jenseits-Abenteuer des vor 700 Jahren gestorbenen Dichters Dante Alighieri nicht den Experten überlassen. In jeder Woche arbeiten wir uns weiter in die Unter- und Überwelt dieser vielleicht ersten Roadnovel der Geschichte vor – hier unser Bericht, Folge 9:

In der Sündenmetropole namens Dite im sechsten Höllenkreis garen in glühenden Sarkophagen die Ketzer dem Jüngsten Gericht entgegen. Ketzer sind Leute, die nicht an das Fortleben der Seele nach dem Tod glauben, stattdessen lieber das Leben genießen, ab und zu Bücher heidnischer Philosophen schmökern und mit Epikur ihr Gärtchen bestellen. Jetzt haben sie den Salat. Es sind Menschen wie Farinata und Cavalcanti, ein bedeutender florentinischer Staatsmann und Haudegen der eine, der Vater von Dantes Dichterfreund der andere.

Widerstand gegen die göttliche Ordnung

Doch es gehört zu den göttlichen Paradoxien der „Commedia“, dass sich die Kraft und Eigenart dieser dem Diesseits leidenschaftlich verbundenen Figuren erst im Jenseits voll entfaltet: in den Porträts, die Dante von beiden zeichnet. Wie Farinata in heroischer Unbeugsamkeit aus dem flammenden Grab auffährt, um Dante eine düstere Zukunft zu offenbaren, wie Cavalcanti, den Tod seines Sohnes wähnend, erschüttert in das seine zurücksinkt – das sind so eindrückliche Szenen, dass ihnen der Romanist Erich Auerbach ein berühmtes Kapitel in seinem „Mimesis“-Buch gewidmet hat.

Mitten im Jenseits habe Dante eine Welt der irdischen Gestalten und Leidenschaften geschaffen, deren Unzerstörbarkeit sich gegen die göttliche Ordnung wende: „Das Bild des Menschen tritt vor das Bild Gottes“, schreibt Auerbach. Ei, ei, ei, wenn das einmal nicht verdächtig nach Ketzerei riecht.

Dante: Commedia. Inferno, Canto 9 und 10. Alle bisherigen Folgen finden Sie hier.