Was Dantes ehemaliger Lehrer hier unten verlorenen hat, muss man die Kirche fragen. Illustration von Gustave Doré zum Canto 15 von Dantes Inferno. Foto: imago/Leemage/imago stock&people

In diesem Jahr wird der 700. Todestag des italienischen Dichters Dante Alighieri begangen. Seine „Göttliche Komödie“ ist eines der großartigsten Werke der europäischen Literatur. Es handelt von einer Reise ins Jenseits. In unserer Serie „Dante lesen“ reisen wir mit.

Stuttgart - Kaum ein Buch hat durch die Jahrhunderte so eine Karriere gemacht, wie die „Göttliche Komödie“, kaum eines wird so wenig gelesen. Doch wir wollen die drastischen Jenseits-Abenteuer des vor 700 Jahren gestorbenen Dichters Dante Alighieri nicht den Experten überlassen. In jeder Woche arbeiten wir uns weiter in die Unter- und Überwelt dieser vielleicht ersten Roadnovel der Geschichte vor – hier unser Bericht, Folge 13:

Unter den Sündern, die Dante trifft, sind solche, die er verabscheut, und solche, denen er ganz offenkundig zugetan ist. Zu letzteren gehört sein Lehrer Brunetto Latini. Die katholische Sexualmoral hat ihn in jene Zone innerhalb des siebten Höllenkreises verbannt, wo ein heißer Feuerregen die „Sodomiten“ straft. Als solche wurden im Mittelalter die Homosexuellen bezeichnet. In dem unterirdischen Straflager büßen sie in der Kategorie Gewalt gegen die Natur. Und wenn man sich fragt, warum im 20. Jahrhundert immer wieder Autoren die Schrecken ihrer Zeit in Dantes Inferno gespiegelt haben, hier ist ein Motiv, auch wenn die schwulen Gelehrten, Dichter und Staatsmänner, die hier leiden, keinen rosa Winkel tragen, sondern rote Flammen.

Kirchliche Lebenslügen

Die Verteufelung der Homosexualität ist ein Problem der Kirche, an dem sie sich damals nicht anders als heute in massive Selbstwidersprüche verstrickt. Oder wie soll man Vers 106 im Canto 15 deuten: „Sie sind alle Kleriker.“ Homosexualität war im Florenz des 14. und 15. Jahrhunderts eine verbreitete Erscheinung, viele, denen Dante hier unten begegnet, zählten zur kulturellen Elite, neben jenem verehrten Brunetto auch die drei Edelleute, deren Los Dante so bewegt, dass er bekennt: „Wäre ich vor dem Feuer geschützt gewesen, ich hätte mich unten zwischen sie hin geworfen.“

Dantes Führer Vergil hätte es vermutlich verstanden. Seine zweite Ekloge über die Liebe des Schäfers Corydon zu dem Knaben Alexis ist ein hohes Lied der gleichgeschlechtlichen Liebe.

Dante: Commedia. Inferno, Canti 15, 16. Alle bisherigen Folgen finden Sie hier.