Lehrerin Lea Weber gibt Unterricht über den Youtube-Channel „Mit Herz und Leidenschaft“. Foto: Screenshot/ Youtube Mit Herz und Leidenschaft

Die Lehrerinnen Lea Weber und Dorothee Rupf trotzen der Corona-Krise und geben mit einer ungewöhnlichen Idee weiterhin Unterricht. Viele ihrer Schüler aus Stuttgart-Ost wären ohne die Hilfe überfordert mit den Aufgaben.

Stuttgart - Nicht jeder Schüler freut sich über verlängerte Ferien in Zeiten von Corona. Der letzte Schultag in der Grund- und Werkrealschule Gablenberg in Stuttgart-Ost war daher irgendwie komisch, sagt Klassenlehrerin Lea Weber. Da gab es zum Beispiel die Schüler, die für die anstehende Geografie-Klassenarbeit gelernt hatten und sie auch unbedingt schreiben wollten. Immerhin wollten sie ja zeigen, was sie können. Auch für Weber war es kein leichter Tag. Die 29-Jährige hat eine Bindung zu ihren Schülern. Sollte diese jetzt einfach abreißen wegen der Schulunterbrechung durch das Coronavirus? Sie und ihre Kollegin Dorothee Rupf wollten das nicht hinnehmen.

Tage später sitzt Lea Weber daher in ihrem dunklen Arbeitszimmer in ihrer Wohnung im Stuttgarter Westen. Sie dreht ein Video, auf dem nur ihr Gesicht und der Pingpong-Ball in ihrer Hand seitlich von einer Lampe beleuchtet werden. Der Ball nähert sich der Kamera und entfernt sich wieder. „Wie sieht der Mond gerade aus? Schaut doch mal selbst nach. Haben wir zunehmenden oder abnehmenden Mond?“, fragt sie das Publikum. Es ist eine Aufgabe, die an ihre Schüler der Klasse 7a gerichtet ist. Das Video befindet sich auf Youtube.

Fast täglich kurze Videos

Die Lehrerinnen haben über das Videoportal einen Weg gefunden, in Zeiten von Corona ihre Schüler zu unterrichten. Sie stellen inzwischen fast täglich kurze Videos online, in denen sie Unterricht in Fächern wie Mathematik, Physik oder Geografie geben. Die Aufnahmen sind kurz und gehen zwischen zwei und acht Minuten. Sie sind nicht besonders professionell gedreht oder zeichnen sich durch eine gute Bildqualität aus, auch die Anzahl der Viewer bricht sicherlich keine Rekorde. Dafür sieht man die Lehrerinnen so, wie sie auch im Unterricht sind. „Wir verstellen uns nicht, die Schüler sollen auch grinsen können und sagen: Ja, so ist sie unsere Frau Weber“, so die Lehrerin.

Die Corona-Krise hat das Bildungswesen in Deutschland innerhalb weniger Wochen überrumpelt. In Baden-Württemberg sind inzwischen nicht nur „verlängerte Ferien“ verordnet worden, am Freitag verkündete die baden-württembergische Kultusministerin Susanne Eisenmann, dass auch das Abitur verschoben werde. Schüler aller Schularten sollen während der schulfreien Zeit dennoch mit Aufgaben versorgt werden. Die Lehrer haben keinen Urlaub, betonte Eisenmann noch, als sie die Corona-Ferien ausrief. Einige Schüler sind damit jedoch überfordert.

Viele Schulen hatten nicht genug Zeit, sich ein ausführliches Beschäftigungsprogramm gerade für die Schüler auszudenken, die nicht genug Unterstützung von den Eltern bekommen oder Schwierigkeiten mit dem Lernen haben. Auch die beiden Lehrerinnen aus Stuttgart hatten mit diesem Problem zu tun. Ihr Arbeitsplatz ist eine sogenannte Brennpunktschule im Bezirk Ost, die viele Schüler aus Familien hat, die bildungsbenachteiligt sind. Die Klassen haben einen hohen Migrantenanteil.

Kinder auch in Zeiten von Corona erreichen

„Wir konnten unseren Kindern nicht einfach nur Aufgaben über die Ferien geben. Die meisten Eltern haben nicht mal eine Email-Adresse“, sagt die 34-jährige Dorothee Rupf. Es wäre schwer gewesen, die Schüler zu erreichen. Einige von ihnen leben in Flüchtlingsheimen oder die Eltern sprechen schlecht Deutsch. Keiner der 18 Schüler in ihrer Klasse hat einen Drucker daheim und hätte die Aufgaben nicht schriftlich bearbeiten können. Was aber jeder Schüler besitzt, ist ein Smartphone. Die Lehrerin kam daher auf die Idee mit den Youtube-Videos und mit ihrer Kollegin und Co-Klassenlehrerin hatte sie jemanden an ihrer Seite, die das Projekt ebenfalls mit vollem Einsatz angehen wollte.

Denn auch die Videos beinhalten Unterricht, der aufwendig vorbereitet werden muss. Zudem schicken sie die Lösungen zu den Aufgaben, die sie in den Videos erklären, teilweise per Post an die Schüler nach Hause. „Am Ende des Tages bin ich wirklich geschafft“, sagt Rupf. So wie nach einem normalen Arbeitstag. Dennoch sind auch für die Lehrerinnen die Videos eine willkommene Abwechslung. Denn spätestens seitdem am Freitag die Landesregierung unter Ministerpräsident Winfried Kretschmann Menschenansammlungen für Gruppen über drei Personen verboten hat, bedeutet es für viele Menschen umso mehr, zuhause zu bleiben, um die Ausbreitung der Pandemie so gut es geht zu verlangsamen.

Kinder aus Kriegsgebieten

Und so bleibt auch für Lea Weber und Dorothee Rupf der Alltag voller Herausforderungen und Überraschungen – auch in Zeiten von Corona. Denn gerade auf der Brennpunktschule gibt es einige Schüler, die mehr Erfahrung mit Krisen haben, als viele in Deutschland lebende Menschen. „Einer meiner Schüler kommt aus einem Kriegsgebiet“, sagt Rupf. Dass beispielsweise in Deutschland Klopapier gehortet wird und viele Menschen so beschäftig, sei ihm unbegreiflich. Als er den Krieg erlebt habe, da war Klopapier das geringste Problem, sagt sie. Dafür sei er besonders besonnen und klar dabei, die Corona-Krise zu bewerten und einzuordnen.

Regelmäßig telefonieren die Lehrerinnen mit ihren Schülern und erhalten Rückmeldung. „Es ist erstaunlich, wie widerstandslos sie die Ausgangseinschränkungen hinnehmen.“, sagt Weber. Die Schüler blieben in den eigenen vier Wänden oder spielten auch mal Fußball im Innenhof des Hauses. Ihnen wollen sie beistehen und auch die neuesten politischen Entwicklungen erklären. Wenn es sein muss, mit dem nächsten Video auf Youtube.