Orhan Pamuk in Stuttgart im März 2022. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

In einem Interview und in seinem neuen Buch äußert sich der Autor und Literatur-Nobelpreisträger Orhan Pamuk über die türkische Regierung. Es herrsche Willkür, Andersdenkende würden „sadistisch“ verfolgt. Für seine Äußerungen muss er Kritik einstecken.

Er ist weltbekannt und hat alles erreicht, was ein Schriftsteller erreichen kann – doch Orhan Pamuk hat Angst. Repression und Willkür in der Türkei seien so schlimm wie nie, sagt der Literaturnobelpreisträger. „Schlimmer kann es nicht mehr werden.“ Pamuk wirft der Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan eine „sadistische“ Verfolgung von Andersdenkenden vor. In einem Interview mit einem regierungskritischen Internetsender sprach Pamuk jetzt aber auch über seine Überzeugung, dass die Ära Erdogan zu Ende geht. „Die schlimmste Zeit liegt hinter uns.“ Der 70-Jährige ist für Nationalisten in seinem Heimatland eine Hassfigur. 2005 stand er wegen des Vorwurfs der Beleidigung des Türkentums vor Gericht, weil er über den Völkermord an den Armeniern gesprochen hatte. Das Verfahren wurde nach Einspruch der Regierung Erdogan eingestellt, die damals auf EU-Reformkurs war. Ein Jahr später erhielt Pamuk als erster türkischer Autor den Literaturnobelpreis. Weil er in den vergangenen Jahren den Demokratieabbau in der Türkei kritisierte, beschimpfte Erdogan ihn vor drei Jahren als „Terroristen“.

Pamuk sieht auch einen Abwärtstrends von Erdogans Partei AKP

„Natürlich habe ich Angst“, sagte Pamuk der Internetplattform T 24. In der Türkei herrsche Willkür, Menschen würden mit „sadistischen, grausamen und unmenschlichen“ Methoden verfolgt. Seit Erdogans Amtsantritt als Staatsoberhaupt 2014 hat die Justiz fast 200 000 Verfahren wegen Präsidentenbeleidigung eingeleitet. Ein kritischer Tweet oder ein unbedachter Satz können ins Gefängnis führen.

In dem Gespräch mit dem T-24-Journalisten Murat Sabuncu, der wegen kritischer Berichterstattung kürzlich eineinhalb Jahre im Gefängnis saß, kritisierte Pamuk die Inhaftierung des Kulturförderers Osman Kavala, der von Erdogan ebenfalls als Landesverräter abgestempelt wurde. Trotz aller Angst werde er weiter den Mund aufmachen, sagte Pamuk. Seine Angst thematisiert er auch in seinem neuen Buch „Ferne Berge und Erinnerungen“, das in diesen Tagen in der Türkei erscheint. Es beinhaltet eine Auswahl von Zeichnungen und Notizen. Festgehalten sind unter anderem seine Gefühle angesichts der Verfolgung von Künstlern, Intellektuellen und Dissidenten in der Türkei. „Natürlich sind Todesdrohungen und Hassreden nichts, was man wegstecken kann als Künstler“, sagte er T 24. Doch Pamuk blicke angesichts des Abwärtstrends von Erdogans Partei AKP zuversichtlicher in die Zukunft. „Meiner Ansicht nach sind die schlimmsten und repressivsten Jahre nun vorbei, denn die Macht der AKP reicht einfach nicht mehr, um alle einzusperren.“

Mit seinem Interview stößt Pamuk in der Türkei auf Kritik – bislang nicht bei der Regierung, sondern bei linksgerichteten Erdogan-Gegnern. Noch vor einigen Jahren habe er nur Gutes über Erdogan zu sagen gehabt, so die Nachrichtenplattform Sol.org.tr. Nun äußere er sich ganz anders: „Er hängt sein Fähnchen in den Wind.“