Noch nicht ganz auf dem Kanzlerstuhl: Olaf Scholz am Donnerstag während der Coronadebatte im Bundestag Foto: AFP/John MacDougall

Im Parlament appelliert Olaf Scholz in einer sonst sehr unterkühlten Rede an den Willen zur engen Zusammenarbeit von Regierung und Opposition in der Pandemiekrise.

Berlin - Irgendwie ist gerade alles etwas unübersichtlich. Coronadebatte im Bundestag. „Das Wort hat der Bundesminister Olaf Scholz für die Bundesregierung“, sagt die neue Bundestagspräsidentin Bärbel Bas. Und Scholz tritt ans Rednerpult. Aber „für die Bundesregierung“ spricht er sicher nicht. Jedenfalls nicht für die, der er angehört.

Der Noch-nicht-Kanzler will die Gesetzespläne der Ampelkoalitionäre für die Coronabekämpfung vorstellen. Eine „Einbringungsrede“ nennt man das im Hohen Haus. Eigentlich wäre es aber die Zeit für eine Ruck-Rede. Scholz war lange von der Bildfläche verschwunden. Noch wird über die Ampel verhandelt, da wollte er sich nicht exponieren, nicht mit dominantem Getöse die Partner verschrecken. Nun könnte er immerhin Appetit machen auf das neue Bündnis.

Scholz klingt wie die B-Seite einer Merkel-Single

Und er könnte Handlungsstärke zeigen. 50 000 Neuinfektionen meldet das RKI an diesem Morgen. Die Lage ist ernst. Kanzler wachsen in Krisen. Scholz könnte zeigen, dass er der Lage gewachsen ist. Hemmt ihn die Übergangssituation? Vielleicht. Vielleicht müssen wir uns alle auch einfach an den Scholz-Sound gewöhnen. Der neigt nicht zum Überschwang. Kammerton statt Fortissimo. So schwer sollte die Gewöhnung nicht fallen. Ein bisschen klingt Scholz wie die B-Seite eine Merkel-Single. Nüchtern, sachlich und unspektakulär.

„Der Virus ist noch unter uns“, sagt er. Man müsse „weiter vorsichtig“ sein. Zu wenige seien noch geimpft, und das sei nicht gut. Das Land müsse nun in Sachen Corona „winterfest“ gemacht werden. Das ist schon der Gipfel an markanter rhetorischer Zuspitzung. Dann kommt ein langer Katalog von notwendigen Maßnahmen: „eine große gemeinsame Impfkampagne“, die Wiederöffnung der Impfzentren, die Boosterimpfungen, tägliche Testungen des nicht geimpften Personals in Pflegeheimen, die Rückkehr zu den kostenlosen Tests, 3 G am Arbeitsplatz. Scholz will, dass die Länder eine 2-G-Strategie bei Freizeitaktivitäten wie Kino, Theater oder Gaststätten verfolgen. „Aber das muss dann auch bei den Restaurants überwacht werden.“

Union spricht von „Realitätsverweigerung“

Im Prinzip war es das schon. Eine Ankündigung noch und ein Appell. Die Ankündigung: In der kommenden Woche wird es nun doch ein Treffen der Kanzlerin und ihm mit den Ministerpräsidenten geben. Der Appell: Das Land müsse jetzt „zusammenhalten und an einem Strang ziehen“, über die Grenzen von Regierung und Opposition hinweg zusammenarbeiten. Mit „Opposition“ dürfte die Union gemeint sein, die ja noch offiziell die geschäftsführende Regierung trägt. Dort führte die Scholz-Rede zu heftigen Schimpfdurchbrüchen. Fraktionschef Ralph Brinkhaus, der die Rede „mehr eine Zustandsbeschreibung als eine kraftvolle Aussage“ nannte, spürte, wo sich Scholz angreifbar gemacht hatte. Er legte den Finger in die Wunde: Scholz sei gar nicht darauf eingegangen, dass er doch – obwohl die Lage so ernst sei – die epidemische Lage auslaufen lassen wolle. Das sei schlichte „Realitätsverweigerung“. Mit dem offiziellen Ende der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ würden den Ländern Handlungsoptionen und Flexibilität genommen. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt legte nach. „Die Risiken steigen, Sie schrauben den Instrumentenkasten der Länder herunter.“

Harte Worte und ein Angebot

Da fielen harte Worte. Die grüne Gesundheitsexpertin Maria Klein-Schmeink nannte Dobrindts Einlassungen „unverschämt“. Ihre Parteifreundin Katrin Göring-Eckardt nannte die Vorwürfe von Brinkhaus „schäbig und verantwortungslos“. Der FDP-Politiker Marco Buschmann verstieg sich zur Anmerkung, dass „Lügen und Fake-News in den Instrumentenkasten von Diktatoren und Populisten gehörten“. Die Abschaffung der epidemischen Lage sei vielmehr „eine Frage der Wahrhaftigkeit“. Schließlich habe der Bayerische Verfassungsgerichtshof die Ausgangssperren im Bundesland nachträglich gekippt, obwohl sie zu einem Zeitpunkt mit deutlich niedriger Impfrate als heute erlassen worden seien. Es gehe den künftigen Koalitionären primär um Rechtssicherheit.

Klingt alles nicht gerade nach der Zusammenarbeit von Regierung und Opposition, für die Scholz geworben hatte. Immerhin gab es auch versöhnlichere Töne. Im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens werde man „sehr, sehr gerne“ darüber reden, wie der Maßnahmenkatalog für die Bundesländer erweitert werden könne. Für sie gehöre da auch das Thema einer Impfpflicht für Einrichtungen wie Pflegeheime dazu, sagte Katrin Göring-Eckardt. Eine Idee, die allerdings mit der FDP nicht machbar sein wird.

Lauterbach nennt Coronalage „katastrophal“

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach verfolgte die Debatte gelegentlich mit vor die Augen gelegten Händen. Er hat die Coronalage gerade als „katastrophal“ bezeichnet und setzt auf eine massiv kontrollierte 2-G-Strategie. Wenn das der Bund bald nicht mehr bundesweit durchsetzen könne, müsse das jedes Land für sich tun, sagte er anlässlich einer Zwischenfrage.

Warum braucht es eine rechtliche Grundlage für Coronamaßnahmen?

Grundsatz
Der Staat braucht für sein Handeln stets eine Rechtsgrundlage. Die Landesregierungen können Regeln zum Infektionsschutz treffen – in dem Rahmen, den ihnen der Bundesgesetzgeber vorgibt. Seit November 2020 ist Paragraf 28a des Infektionsschutzgesetzes die Grundlage. Er regelt Maßnahmen von der Maskenpflicht bis hin zu Betriebsschließungen. Voraussetzung ist die Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite durch den Bundestag.

Länder
Nach der bisherigen Regelung im Infektionsschutzgesetz haben die Bundesländer auch nach Ablauf einer festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite die Möglichkeit, bei einer konkreten Gefahr der Ausbreitung von Covid-19 im jeweiligen Land sämtliche im Gesetz vorgesehenen Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Diese Regelung wollen die drei Fraktionen durch einen bundesweit einheitlichen Maßnahmenkatalog ersetzen, der unabhängig von der Feststellung einer epidemischen Lage bis zum 19. März 2022 angewendet werden kann.

Bund
Erstmals hatte der Bundestag am 25. März 2020 die epidemische Lage von nationaler Tragweite festgestellt, die dem Bund besondere Befugnisse gibt, etwa zum Erlass von Rechtsverordnungen und Anordnungen. Die Feststellung wurde am 18. November 2020, am 4. März 2021, am 11. Juni 2021 und am 25. August 2021 verlängert.