Auch Bundeskanzler Olaf Scholz dürfte klar sein, dass der Termin der Reise nach China äußerst unglücklich gewählt ist. Foto: dpa/Kay Nietfeld

Bundeskanzler Olaf Scholz ist mit einer großen Wirtschaftsdelegation nach Peking gereist. China ist Deutschlands wichtigster Handelspartner, aber die zunehmende Abhängigkeit von einer immer aggressiveren Diktatur ist politisch hoch problematisch

Er wäre wohl besser zu Hause geblieben. So ist es dem Bundeskanzler, der heute in Peking seinen ersten China-Besuch als Regierungschef absolviert, von vielen Seiten gesagt worden – von Menschenrechtlern zum Beispiel. Der Präsident des Weltkongresses der Uiguren, jener von der chinesischen Führung massiv unterdrückten ethnischen Minderheit, warf dem Kanzler vor, dem chinesischen Regime „zu huldigen und dabei das Leid von Millionen von Menschen außer Acht zu lassen“. CDU-Chef Friedrich Merz nannte es „ungeheuerlich“, dass der Kanzler der chinesischen Führung mit seiner Reise einen „Propagandaerfolg“ beschere.

Noch heikler ist es für Olaf Scholz, dass aus den Reihen seiner eigenen Regierung Kritik kommt. Außenministerin Annalena Baerbock hat, wenn auch diplomatisch zurückhaltend im Ton, hinreichend deutlich gemacht, dass sie den Termin der Reise für falsch hält. Der Bundeskanzler habe „den Zeitpunkt seiner Reise entschieden“, sagte die Grünen-Politikerin kühl. Und sie erinnerte Scholz an den Koalitionsvertrag. Dort sei die Überzeugung der Regierungspartner niedergelegt, dass sich Deutschland zwar nicht von China entkoppeln könne, aber auch, „dass China in zunehmendem Maße systemischer Rivale ist“, sagte Baerbock.

Tatsächlich dürfte auch Scholz klar sein, dass der Termin der Reise unglücklich ist. Gerade erst ist der Parteitag der chinesischen Kommunistischen Partei zu Ende gegangen, auf dem Staats- und Parteichef Xi seine Macht zementiert, seinen Amtsvorgänger Hu in einer öffentlichen Demonstration gedemütigt und als Machtfaktor beseitigt und seine außenpolitisch aggressiven Ziele bekräftigt hat. Und innenpolitisch ist eine Debatte in vollem Gange, die sich an der Beteiligung des chinesischen Staatskonzerns Cosco am Hamburger Hafen entzündet hatte und die vor Augen führte, dass Deutschland noch keine Strategie hat, wie es mit einer Supermacht umgehen soll, die wirtschaftlich immer dominanter und außenpolitisch immer bedrohlicher auftritt.

Im Verhältnis mit Peking ist nicht zu erkennen, dass sich die alte Formel, wonach ökonomische Verflechtung immer auch mit politischer Annäherung und Entspannung brächte, tatsächlich bewahrheitete.

Und auch in der deutschen Wirtschaft hat sich längst ein gewisses Unbehagen eingestellt. Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) appellierte an Scholz, deutsche Abhängigkeiten zu verringern. „Einseitige Abhängigkeiten müssen wir rasch abbauen“, sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm angesichts der Scholz-Visite. „Deutschland ist von vielen mineralischen Rohstoffen heute stark von China abhängig.“ Das kann man so sagen: Fast 90 Prozent der für viele Schlüsseltechnologien wichtigen seltenen Erden werden in China verarbeitet. Die Wirkstoffproduktion für zahllose Arzneimittel spielt sich maßgeblich in China ab. Der Chemiekonzern BASF investiert derzeit zehn Milliarden Euro in China. Volkswagen verkauft 40 Prozent aller Neuwagen in der Volksrepublik. Nach einer aktuellen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft hängen in der EU rund 3,5 Millionen und in Deutschland rund 1,1 Millionen Jobs vom Endverbrauch in China ab. 2,7 Prozent der deutschen gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung und 2,4 Prozent der Gesamtbeschäftigung sind vom Export nach China abhängig. Umgekehrt sind es in China aber nur 0,5 und 0,6 Prozent. Während die EU und Deutschland ihre Handelsanteile mit China munter ausbauen, fährt Peking einen gegenteiligen Kurs. Waren im Jahr 2007 noch 4,4 Prozent der gesamten chinesischen Wertschöpfung vom Endverbrauch der EU abhängig, waren es 2018 nur noch 2,2 Prozent.

Das ist nicht nur ökonomisch riskant, sondern vor allem politisch heikel. In einer Krisenzeit wäre der Westen in erheblichem Umfang erpressbar. Und Pekings aggressive Taiwan-Politik lässt eine Eskalation in naher Zukunft durchaus möglich erscheinen. Das ist der Hintergrund für die Scholz-Reise, zu der er eine große Wirtschaftsdelegation mitnimmt. BASF, Siemens, BMW, Merck – ein Who’s who der deutschen Industrie. Auch ein Vertreter des Impfstoffherstellers Biontech sitzt mit im Flieger. Das Kanzleramt betont, dass Scholz bei seinem Besuch Menschenrechtsfragen ansprechen werde. Zudem solle es um deutsche Investitionen und die Öffnung chinesischer Märkte gehen.

Außerdem werde Scholz den russischen Krieg gegen die Ukraine, den Klimawandel und die „Spannungen in den Regionen Ostasiens“ ansprechen. Der Ukraine-Konflikt und der nahende G-20-Gipfel seien die Hauptgründe gewesen, die Reise nicht zu verschieben.