Trauer in Uvalde, Texas Foto: AFP/ALLISON DINNER

Das Massaker an einer Grundschule in Texas trifft auf eine geschockte, aber abgestumpfte Nation, die nicht willens ist, ihre Gesetze zu ändern. Dem Entsetzen über die 21 Toten von Uvalde folgen die üblichen Rituale.

Zu seinem 18. Geburtstag schenkte sich der Kindermörder von Uvalde zwei kriegstaugliche Sturmgewehre. Wo der junge Mann das Geld für die teuren Waffen herhatte, und warum seine schweren psychischen Störungen bei der Routineüberprüfung kein Alarmsignal auslösten, muss noch geklärt werden. In der 15.000 Seelen zählenden Kleinstadt Uvalde, war jedenfalls bekannt, dass sich der Täter einmal aus Selbsthass sein Gesicht zerschnitten hatte.

Für das Töten die Waffen erworben

Die andere Frage, die Joe Biden im Weißen Haus nach der Rückkehr von seiner Asienreise im Weißen Haus stellte, beantwortete der Präsident selbst. „Wofür, um Himmels willen, braucht man ein Sturmgewehr, außer dafür, jemanden zu töten?“

Genau dafür hatte sie der 18-jährige Schüler an der örtlichen Highschool in der von Latinos geprägten Kleinstadt im Westen von Texas erworben. Vor seiner Tat postete der blasse Kerl mit den kinnlangen schwarzen Haaren ein Bild auf Instagram, auf dem seine Geburtstagsgeschenke zu sehen sind. Ein anderes Bild zeigt das Magazin, aus dem er die tödlichen Schüsse auf die Kinder abfeuern wird.

Ähnliches Vorgehen wie bei der Bluttat von 2012

Wie bei der Schießerei an der „Sandy Hook Grundschule“ in Connecticut im Jahr 2012 ermordete der Täter zuerst eine Vertrauensperson. Damals war es die Mutter, diesmal die Großmutter. Dann fuhr er zur „Robb Elementary School“, parkte seinen Pickup-Truck in einem Graben und drang in die Grundschule ein, in der etwa 600 Kinder zwischen sieben und zehn Jahren lernten. Um 11.32 Uhr eröffnet er das Feuer in einer Klasse von Viertklässlern.

Szenen wie ein Horrorfilm

Was danach kam, könnte die Fortsetzung eines Horrorfilms sein, den die Amerikaner schon zu oft gesehen haben. Es sind Szenen, die den Schmerz der Betroffenen, das Bangen der Eltern, das Kreisen der Hubschrauber und den Einsatz schwer bewaffneten Polizisten zeigen. Helden werden entdeckt, Motive des Täters gesucht und die Lebensgeschichten der Opfer erzählt. Lokale Polizeichefs erlangen über Nacht nationale Berühmtheit. Wie in diesem Fall Polizeichef Pete Adorondo, der den Reportern das Ende des Einsatzes verkündet. „Der Eindringling ist tot“. Die härteste Aufgabe wartet auf die Eltern, die ihre Kinder identifizieren müssen.

Der Präsident weiß, wie es ist, Kinder zu verlieren

„Warum sind wir bereit, mit diesem Gemetzel zu leben?“, fragt US-Präsident Biden bei der kurzfristig angesetzten Ansprache im Weißen Haus, während sich seine Augen mit Wasser füllen. Er weiß, wie es sich anfühlt, ein Kind zu Grabe zu tragen. Biden verlor seinen Sohn Beau 2015 an Krebs und seine Tochter Naomi bei einem Autounfall 1972. „Ein Kind zu verlieren, ist, als würde einem ein Stück seiner Seele herausgerissen.“

Die Nation müsse sich fragen, „wann in Gottes Namen wir der Waffenlobby die Stirn bieten werden“, rüttelte er am Gewissen der Amerikaner. Und fügte das eigentlich Offenkundige hinzu. „Die Vorstellung, dass ein 18-jähriger Junge in ein Waffengeschäft gehen und zwei Angriffswaffen kaufen kann, ist einfach falsch.“ Biden weiß, wie vergeblich sein moralischer Appell ist. Er hatte es schon als Vizepräsident Barack Obamas erfahren, der ihn nach Sandy Hook mit dem Thema Waffengewalt betraut hatte.

Seit Sandy Hook 900 Attacken an Schulen

Seit Sandy Hook gab es mehr als 900 Schießattacken an US-Schulen. Der Kongress trat mangels Kooperation der Republikaner bei strengeren Waffengesetzen auf der Stelle. Der Senator Chris Murphy, in dessen Bundesstaat das Massaker vor zehn Jahren ereignete, redete nach der Bluttat von Uvalde im Plenum des Senats gegen eine unsichtbare Mauer an. „So etwas passiert nur in diesem Land. Nirgendwo sonst, nur in den Vereinigten Staaten von Amerika!“, empörte sich Murphy. „Und es ist eine bewusste Entscheidung. Es ist unsere Entscheidung, dass das so weitergeht.“

Betroffenheit herrscht auch in Teilen der amerikanischen Zivilgesellschaft. Die gewöhnlich mit den Republikanern alliierten katholischen Bischöfe appellierten an die Politik, „diese Epidemie des Bösen und der Gewalt“ zu beenden. „Wir flehen unsere gewählten Politiker an, uns beim Handeln zu helfen.“

Der jüngste Amoklauf liegt zehn Tage zurück

Der Basketballtrainer der Golden State Warriors, Steve Kerr, dessen Team gegen das der texanischen Dallas Mavericks spielte, verwandelte seine Pressekonferenz zu einer Abrechnung. „Ich frage Sie, Mitch McConnell, und frage alle von Ihnen Senatoren, die sich weigern, etwas gegen die Gewalt, die Schießereien in Schulen, die Schießereien in Supermärkten zu unternehmen: Werden Sie Ihren Wunsch nach Machterhalt über das Leben unserer Kinder, unserer Alten und unserer Kirchgänger stellen?“

Kerr bezog sich auf die jüngste Massenschießerei in einem Supermarkt von Buffalo, die gerade einmal zehn Tage zurückliegt. Dabei waren zehn Menschen getötet worden. Die Medien in den USA berichten angesichts der Häufigkeit solcher Vorfälle nur noch bei hohen Opferzahlen ausführlich. Laut dem „The Gun Violence Archive“ gab es allein in diesem Jahr 215 Schießattacken mit mindestens vier Toten oder Verletzten. Das sind im Schnitt jede Woche zehn.

Die Bundespolizei FBI legte am Montag aktuelle Zahlen für das zurückliegende Jahr vor, die einer etwas anderen Metrik folgen, aber nicht weniger deutlich sind. Demnach stieg die Zahl der Toten bei Schießattacken 2021 um die Hälfte gegenüber Vorjahr an. Bezogen auf 2017 verdoppelten sich die Fälle gar. Traurige Routine in einem Land, in dem es mehr Schusswaffen als Menschen gibt.

In Texas braucht man keinen Waffenschein

Erst recht in Texas, wo seit vergangenem Jahr das Tragen für das Tragen von Schusswaffen weder ein Waffenschein noch Training benötigt wird. Der erzkonservative Gouverneur Gregg Abbott, der das Gesetz unterzeichnet hatte, bietet wie andere Republikaner nach dem Massaker „Gedanken und Gebete für die Betroffen“ an. Es sei eine „furchtbare Tragödie, die im Staat Texas nicht geduldet werden kann“. Einen Grund für Änderungen am Waffengesetz sieht Abbott nicht.

Politiker wirbt mit Maschinengewehr für Wiederwahl

Genauso wenig wie der texanische Senator Ted Cruz, der bei seiner Wiederwahl einen TV-Spot mit Maschinengewehr geworben hatte. Er und seine Frau Heidi richteten die betroffenen Kinder und ihre Familien „innig im Gebet auf“, verkündete der Gegner von strikteren Kontrollen bei der Abgabe von Sturmgewehren, wie sie in Uvalde zum Einsatz kamen. Bei der kurzfristig angesetzten Abstimmung im Senat über ein bereits im Repräsentantenhaus beschlossenes Waffengesetz wird Cruz mit „Nein“ stimmen.

Von den 60 nötigen Stimmen für eine Überwindung des Filibuster bleiben die Demokraten im Senat meilenweit entfernt. Auch nach dem schlimmsten Verbrechen dieser Art seit Sandy Hook und später 2018 Parkland im US-Bundesstaat Florida. Experten prognostizieren, dass auch der nächste psychisch kranke Kapuzen-Junge in Zukunft kein Problem haben wird, beim Erreichen der Volljährigkeit kriegstaugliche Waffen zu kaufen. Es sei nicht die Frage ob, sondern wann die nächste Folge der Horror-Serie abläuft.