In den Jahren 2011 und 2012 sind zahlreiche Bäume aus dem Stuttgarter Schlossgarten umgepflanzt worden. Nicht alle haben das überlebt. Foto: dpa/Uwe Anspach

Vor gut zehn Jahren tobte der Kampf um das Bahnprojekt Stuttgart 21. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen: die Bäume im Schlossgarten. Unter großem Druck wurden manche umgepflanzt – mit Erfolg?

Jürgen Rein blickt auf eine Baumallee an der Feuerbacher Heide. Ganz intakt sieht die freilich nicht mehr aus. Immer wieder klafft eine Lücke. „Einige Bäume sind uns hier oben eingegangen. Da drüben etwa musste eine Rotbuche gefällt werden“, sagt der Fachmann vom Stuttgarter Garten-, Friedhofs- und Forstamt und zeigt auf eine kahle Stelle zwischen den anderen Bäumen. Nicht irgendwelchen Bäumen, sondern ganz besonderen. Solchen, die früher einmal im Stuttgarter Schlossgarten standen und zum bundesweiten Politikum wurden. Denn sie mussten vor gut zehn Jahren den Arbeiten für Stuttgart 21 weichen.

Das Thema Bäume ist ein hochemotionales in Stuttgart. Das hat sich beim Konflikt um das Bahnprojekt mit dem Neubau des Tiefbahnhofs einmal mehr gezeigt, als es zu massiven Protesten gegen Fällungen im Schlossgarten und anderswo kam. Gegner des Projekts kampierten im Schlossgarten, die Auseinandersetzung gipfelte im sogenannten Schwarzen Donnerstag am 30. September 2010, als ein Polizeieinsatz zur Räumung völlig aus dem Ruder lief und es Hunderte Verletzte gab. In der Folge wurde als Kompromiss auch in Heiner Geißlers Schlichterspruch beschlossen, wenigstens einen Teil der Bäume innerhalb des Stadtgebiets zu verpflanzen.

Das Finanzministerium Baden-Württemberg, zu dem der Schlossgarten gehört, führt dazu folgende Statistik: Im Bereich des Hauptbahnhofs und des Mittleren Schlossgartens ging es damals um 173 Bäume, davon gehörten 24 der BW-Stiftung. „105 wurden gefällt, 68 verpflanzt. 14 davon innerhalb der Schlossgartenanlagen, der Rest auf Grundstücke der Stadt Stuttgart“, sagt Ministeriumssprecher Sebastian Engelmann. Passiert ist das in den Jahren 2011 und 2012. Und zwar übers ganze Stadtgebiet verteilt. Die Pflege der 14 Bäume auf Landesflächen wurde für die ersten drei Jahre von der Bahn übernommen und ging danach an die Wilhelma über. Um die 54 Bäume auf städtischem Grund kümmert sich das Stuttgarter Garten-, Friedhofs- und Forstamt.

Gut zehn Jahre später liest sich die Bilanz durchwachsen. Von den 68 umgepflanzten Bäumen ist genau ein Viertel abgestorben, nämlich 17 Stück. Zwei davon standen im Schlossgarten, die anderen 15 auf städtischen Flächen. Sechs der Opfer waren passend dazu auf Friedhöfen zu finden, nämlich je drei auf dem Dornhaldenfriedhof und auf dem Friedhof Zuffenhausen. Auch in Bad Cannstatt, Sommerrain und Stammheim gibt es Verluste. Und oben auf der Feuerbacher Heide, wo gleich 14 Stuttgart-21-Bäume gelandet sind.

Die Experten waren sich nicht einig

Experten waren sich schon zur Zeit der Proteste uneins, ob die Verpflanzungen Sinn ergeben, überhaupt möglich sind oder doch nur als politisches Signal zur Befriedung gewertet werden müssen. Beim städtischen Gartenamt will man keine Bewertung abgeben. „Eine Umpflanzung ist immer ein Risiko. Wurzeln und Kronen werden für den Transport gekürzt, die Bäume sind geschwächt und damit anfälliger“, sagt Jürgen Rein mit Blick auf die inzwischen recht löchrige Allee an der Feuerbacher Heide. Nachpflanzungen kommen nicht infrage, schon gar nicht hier im Landschaftsschutzgebiet: „Da wollen wir nicht aufforsten“, so der Experte. Letztlich sei die Bilanz wohl in Ordnung und im Rahmen dessen, was zu erwarten gewesen ist.

Allerdings sind nicht alle Bäume direkt durch die Umpflanzung gestorben. Und es ist auch nicht auszuschließen, dass weitere folgen werden. Dann allerdings eher wegen des Klimawandels und der Trockenheit. Oder wegen Krankheiten. Während etwa ein Ahorn in der Reihe erstklassig aussieht, macht eine Platane daneben einen kümmerlichen Eindruck. „Die hat normale Schadstellen, die mit dem Umzug nichts mehr zu tun haben. Die ist keine Schönheit und wird auch keine mehr werden“, so Jürgen Rein. Die Birken etwas weiter unten litten ebenfalls unter der Klimaänderung. „Die halten normalerweise alles aus, Hitze genauso wie Regen – aber nicht den extremen Wechsel“, sagt der Experte.

Kosten in Millionenhöhe

Inzwischen sind die Stuttgart-21-Bäume im ganz normalen Pflegeprogramm der Stadt. Sie werden regelmäßig kontrolliert. Wurden sie am Anfang noch vermehrt mit Wasser versorgt, ist das inzwischen nicht mehr der Fall. Wenn es an einzelnen Standorten zu trocken wird wie im vergangenen Sommer, bekommen sie bei Bedarf 250 Liter Wasser – wie die anderen Gehölze im jeweiligen Gebiet. Doch so manchen umgepflanzten Baum erkennt man nach wie vor sehr leicht, etwa auf der Feuerbacher Heide. Denn dort werden die größeren Exemplare nach wie vor von einer Verankerung mit Gurten gehalten. Die sollten die Bäume vor Windstößen und Sturm schützen. Gespannt sind sie aber nicht mehr.

Bleibt die Frage nach den Kosten. Für die Stadt haben sich keine nennenswerten ergeben. Die Umpflanzungen waren Sache der Bahn. Die allerdings hat ordentlich bezahlen müssen. Das Finanzministerium listet allein fast 1,2 Millionen Euro an Entschädigungszahlungen auf. Die musste die Bahn ans Land leisten für die gefällten und später noch eingegangenen Bäume aus dem Schlossgarten. Festgesetzt wurden die Tarife anhand eines Baumwertgutachtens. Dazu kommen die Verpflanzungen selbst. Die Arbeiten kosteten nach Bahn-Angaben etwa zwei Millionen Euro. Darin nicht enthalten sind die großen Polizeieinsätze, die zur Absicherung der Umpflanzungen notwendig waren. Deren Kosten – nach früheren Rechnungen wohl mehrere Millionen Euro – trug das Land.

Manche versuchen, die Seile zu lösen

Wie besonders das Verhältnis der Stuttgarter zu ihren Bäumen – und speziell denen aus dem Schlossgarten – nach wie vor ist, zeigt sich auf der Feuerbacher Heide dann auch noch. Spaziergänger, die ihren Hund ausführen, sprechen den Experten vom Gartenamt an, sobald sie ihn erblicken. „Sind Sie von der Stadt?“, wollen sie wissen. Als Jürgen Rein die Frage bejaht, muss er erklären, warum immer noch eine Verankerung an den Bäumen ist. „Bekannte von uns haben schon mal ihren Schraubenschlüssel mitgenommen und versucht, die endlich abzumachen“, sagt der Spaziergänger – und zeigt sich mit Reins Erklärung dann doch zufrieden. Der sagt nur: „Hier sollte nicht jeder an den Bäumen herummachen, wie er will.“

Unterm Strich bleibt festzuhalten: 51 von ursprünglich 173 heiß umkämpften Bäumen im Schlossgarten sind noch am Leben, 122 sind tot. Ist das nun gut oder schlecht? Es kommt wahrscheinlich auf den Blickwinkel an – und die Frage, was damals, als die ganze Stadt gespalten war, überhaupt möglich gewesen ist.