Thomas Hitzlsperger setzt alles auf eine Karte. Foto: imago/Hartenfelser

Der Vorstandschef des VfB Stuttgart will auch noch Präsident werden und zettelt eine Schlammschlacht an. Warum?

Stuttgart - Zu Beginn des neuen Jahres verzichten die privaten Fernsehanstalten auch in diesem Jahr nicht darauf, die verkaterte Zuschauerschaft mit ein paar Filmklassikern zu unterhalten. „Trennung mit Hindernissen“ hat RTL im Angebot, mit „Kuck‘ mal, wer das spricht“ hält Vox dagegen, während RTL II ein weiteres Mal „Und täglich grüßt das Murmeltier“ aus dem Archiv gekramt hat.

Prächtig würden diese Filmtitel auch zum VfB Stuttgart passen – allerdings benötigt der Traditionsklub aus Bad Cannstatt keine Schauspieler und keine Drehbücher, um das Publikum mit großem Drama, bizarrer Schmierenkomödie und Tragödie altgriechischen Ausmaßes in den Bann zu ziehen. Das Problem: strahlende Helden gibt es dabei nicht, auch auf ein Happy End kann niemand hoffen. Kein Film ist es, sondern traurige Realität, auf welch beispiellose Weise sich das Führungsduo des Bundesliga-Aufsteigers gegenseitig bekriegt. In den Hauptrollen: der Vorstandsvorsitzende Thomas Hitzlsperger und der Präsident Claus Vogt.

Der Saubermann mutiert zum Scharfrichter

Dass sportlicher Aufschwung und innerbetriebliche Atmosphäre nicht zusammenpassen, das war schon vor längerer Zeit immer deutlicher geworden. Zur völligen Eskalation kam es, als sich Hitzlsperger am Tag vor Silvester auf seiner Homepage an die „lieben Mitglieder und Fans des VfB“ wandte, um einen Schritt zu begründen, der jedem Drehbuchautor zu abwegig erschienen wäre: seine Kandidatur um das Präsidentenamt, die kurz zuvor der SWR publik gemacht hatte.

Die Rolle des Saubermanns mit Bundesverdienstkreuz tauschte Hitzlsperger mit jener des gnadenlosen Anklägers, Richters und Henkers in Personalunion – und überzog den amtierenden, ehrenamtlichen Präsidenten und Vorsitzenden des Aufsichtsrats in seinem vierseitigen Schreiben mit schwersten Vorwürfen: Profilierungssucht, Unfähigkeit, Intrigantentum. Es war nicht weniger als eine verbale Hinrichtung, die selbst in der traditionell völlig überhitzten Fußballbranche ein Novum darstellen dürfte.

Ebenfalls auf vier Seiten holte am nächsten Tag der Angeklagte zum Gegenschlag aus, um sich gegen die „unfairen und persönlichen Anschuldigungen, Angriffe und Unwahrheiten“ zur Wehr zu setzen. Endgültig perfekt war damit die öffentliche Schlammschlacht, die es in dieser Dimension selbst beim krisenerprobten VfB noch nicht gegeben hat.

Es ist nicht Claus Vogt, sondern Thomas Hitzlsperger gewesen, der mit seinem Schritt nun auch öffentlich das Kriegsbeil ausgegraben – und damit viele Fragen aufgeworfen hat: Wer oder was hat den bei den Fans so beliebten Vorstandsvorsitzenden bewogen, den ebenso beliebten Präsidenten derart mit Dreck zu bewerfen? Warum riskiert er damit seinen bislang weitgehend makellosen Ruf, der ihm immer so wichtig war? Wieso setzt er mit seiner Flucht nach vorne, dem Griff zur Alleinherrschaft und der damit verbundenen Aushebelung der Gewaltenteilung jegliche Glaubwürdigkeit auf Spiel und führt die von ihm gern und oft propagierten Werte wie Transparenz und Corporate Governance ad absurdum?

Der Datenskandal hat alles ins Rutschen gebracht

Mit anderen Worten: Warum zahlt Hitzlsperger einen derart hohen Preis, nur um einen ehrenamtlichen Vereinspräsidenten loszuwerden, der Schwächen in der Amtsführung und internen Kommunikation hat und dem es noch nicht gelungen ist, ein Frauenfußballteam auf die Beine zu stellen? Man muss kein Vogt-Fan sein, um seiner Erklärung folgen zu können: „Ich sage Ihnen offen und ehrlich, was dahintersteckt“, schreibt der Präsident in seinem Brief: „Die Aufklärung des Datenskandals.“

Bereits seit mehr als drei Monaten beschäftigt den VfB die Affäre um die Weitergabe Zehntausender von Mitgliederdaten an Dritte zwischen 2016 und 2018. Claus Vogt hat die lückenlose Aufarbeitung versprochen und damit die externe Beratungskanzlei Esecon beauftragt – ein Ergebnis aber liegt noch immer nicht vor. Bei rund 400 000 Euro liegen mittlerweile die Beraterhonorare, weshalb Hitzlsperger nun über „unkontrolliert ausufernde Kosten“ klagt und die Pleite des Vereins fürchtet.

Zum Vergleich: 700 000 Euro sollen es angeblich gewesen sein, die der PR-Berater Andreas Schlittenhardt vom VfB kassiert hat. Er war der Mann, dem die Mitgliederdaten auf dem kleinen Dienstweg zur Verfügung gestellt wurden – als „Guerilla-Marketing“ wurde intern der Auftrag umschrieben, die Mitglieder möglichst subtil zur Zustimmung der Ausgliederung zu bewegen.

Warum die Mitglieder noch immer nicht wissen, was genau passiert ist und wer alles involviert war? „Mehrfach wurde in den zurückliegenden Wochen versucht, die Arbeit der Kanzlei Esecon zu torpedieren, ihren Auftrag einzugrenzen und schließlich sogar ohne Endergebnis zu beenden“, schreibt Claus Vogt – eine Einschätzung, die auch von einigen Mitarbeitern der VfB-AG geteilt wird. Von einer Mauer des Schweigens sprechen sie und davon, dass es in der Führung nicht das geringste Interesse gebe, mögliche Verfehlungen der Vergangenheit aufzuklären. Weder bei Finanzvorstand Stefan Heim, noch bei Marketingvorstand Jochen Röttgermann, und auch nicht bei Kommunikationschef Oliver Schraft, der seine Arbeit seit Bekanntwerden der Affäre offiziell ruhen lässt.

Weiterhin im Amt ist dafür Rainer Mutschler. Als Projektleiter der Ausgliederung war er zur ominösen Zeit an vorderster Front und ist inzwischen nicht nur im Nachwuchsleistungszentrum tätig, sondern auch Mitglied des dreiköpfigen VfB-Präsidiums, dem neben ihm und Claus Vogt auch Bernd Gaiser angehört, ein enger Vertrauter des früheren Clubchefs Wolfgang Dietrich. Das Ansinnen Vogts, das Mandat von Esecon zu verlängern, um die Datenaffäre endlich aufzuklären, sollen Mutschler und Gaiser abgelehnt haben, auch der Vereinsbeirat folgte. Ein weiterer Beleg für die völlige Isolierung Vogts, der zumindest vorläufig trotz allem nicht ans Aufgeben denkt.

Dem so genannten Lenkungsausschuss Datenaffäre gehört auch Thomas Hitzlsperger an – als Präsident und Vorstandsvorsitzender in Personalunion würde er die leidigen Ermittlungen gerne zu einem Ende bringen. „Ich kann mich mit meiner Geschichte, meiner Leidenschaft, meiner Verantwortung und in meiner Position jetzt nicht wegducken“, schreibt er, „wir sind auf dem Weg, kaputtzumachen, was wir in den letzten zwölf Monaten erreicht haben. Meine Kandidatur soll ein Ausweg aus dieser Lage sein.“