Auf Höhe der Bauarbeiten: Der 66 Meter hohe Turm der Stadtkirche ist weithin sichtbar.Foto: Gottfried Stoppel Foto:  

Die Stadtkirche in Schorndorf wird derzeit aufwendig saniert. Dass die Handwerker anrücken war überfällig – das Chordach über dem Altar war maroder als angenommen.

Eine Portion Gottvertrauen kann nicht schaden. Wer die knapp 100 Stufen am Baugerüst der Stadtkirche hinaufsteigt, um zum Chordach zu gelangen, bei dem erhöht sich nicht nur der Puls. Es wächst mit jedem Schritt auch der Respekt vor den Baumeistern vergangener Jahrhunderte, die mit deutlich einfacheren Mitteln in schwindelerregender Höhe am zentralen Gotteshaus der Daimlerstadt mitgewirkt haben.

Die Decke des Chors war einsturzgefährdet

Nicht minder groß ist der Respekt vor den Handwerkern verschiedener Gewerke, die dort seit Mai tätig sind. Nicht zuletzt die Zimmerleute um Frank Wisotzki, die seit Wochen den Dachstuhl des Hochchors erneuern. „Das sind absolute Fachleute, die spezialisiert sind auf Kirchendächer und denkmalgeschützte Gebäude“, erläutert die Pfarrerin Dorothee Eisrich beim Rundgang über die Baustelle. Dass die Handwerker anrücken, war überfällig, denn ganz so tadellos wie erhofft hatten ihre Vorgänger offenbar nicht gearbeitet: „Die Konstruktion des Dachstuhls wurde nach dem Kirchenbrand 1634 nicht korrekt aufgebaut, darum hat sich das Gebälk gesenkt und aufs Kreuzrippengewölbe über dem Chor gedrückt“, erklärt Eisrich. Im schlimmsten Fall wäre irgendwann die Decke über dem Altar eingestürzt. Mit hohem Aufwand sicherten die Handwerker darum zunächst die Holzkonstruktion. Teile davon mussten gar um 15 Zentimeter angehoben werden.

„Dass die Statik nicht stimmt, wussten wir schon seit der großen Sanierung vor ein paar Jahren, aber was tatsächlich alles kaputt ist, haben wir erst gesehen, als die Dachziegel abgetragen wurden“, sagt Eisrich. „Da sind wir mächtig erschrocken, weil Fäulnis große Schäden an den Balken und Dachlatten angerichtet hat.“ Knapp die Hälfte der Fichtenbalken im Dachstuhl hätten ausgetauscht werden müssen, weil sie aufgrund von Feuchtigkeit oder Insektenbefall über die Jahre morsch geworden waren, ergänzt Architekt Bernd Treide: „Teilweise sind sie sogar von innen vermodert – es war deutlich mehr Holz nötig als zunächst geplant.“

Holzschutzmittel sorgt für Sondermüll

Doch nicht nur das: Auch hatten die Handwerker vergangener Jahre unnötigerweise Holzschutzmittel wie das hoch giftige und krebserregende Lindan verwendet. Das damit behandelte Holz musste unter dem Einsatz von Schutzanzügen entfernt und als Sondermüll entsorgt werden.

Nicht die einzige Überraschung. Unterm Kirchendach hatten sich schützenswerte Fledermäuse eingenistet. „Wir haben eine Folie gespannt, damit sie sich woanders im Kirchendach niederlassen können.“ Für die insektenjagenden Untermieter wurden im Dach vereinzelt besonders geformte Ziegel mit Öffnungen eingesetzt. Schadhafte Ziegel werden komplett ersetzt. Wenn alles wie geplant läuft, sollen die Sanierungsarbeiten im Dezember abgeschlossen sein.

Die Gesamtkosten für die Sanierung liegen bei rund 844 000 Euro, der Eigenanteil bei 340 000 Euro. Zuletzt hat das Land im Zuge der Denkmalförderung 36 000 Euro Fördermittel für die Sanierung bewilligt. Dennoch braucht es weitere Spenden. Trotz des großen Einsatzes des 1995 gegründeten Kirchenbauvereins, der Veranstaltungen organisiert und Fundraising-Aktionen initiiert hat, und trotz der Unterstützung zahlreicher Sponsoren und Spender fehlten noch etwa 25 000 Euro, sagt Pfarrerin Eisrich.

Offene Bürgerkirche für alle

Das Herz vieler Schorndorfer, ob evangelisch oder nicht, hängt an der Stadtkirche, dem Wahrzeichen der Stadt. Das zeigte sich schon an der Spendenbereitschaft für die vorangegangene große Innenrenovierung, bei der unter anderem auch die Orgel saniert wurde. Von den seinerzeit veranschlagten 3,4 Millionen Gesamtkosten für die Renovierung wurden knapp zwei Millionen Euro aus der Bürgerschaft, den Vereinen und Institutionen für die Erhaltung der Stadtkirche gespendet, freut sich die Pfarrerin über den Zuspruch über alle Schichten und Konfessionen hinweg. „Das war sehr bewegend zu spüren, was den Schorndorfern die Stadtkirche bedeutet.“ Damals hatten sich die Verantwortlichen entschieden, das Gotteshaus zu einer offenen Bürgerkirche zu machen, die täglich geöffnet ist und in der auch Konzerte, Ausstellungen und andere Impulse geboten werden. Die Stadtkirche sei für alle da: „Sie ist ein Ort des Trostes und der Stille mitten in der Stadt, wo man zur Ruhe kommt und Kraft schöpft, aber auch Ort der Gemeinschaft und Begegnung – mit sich selbst, mit anderen und mit Gott.“ Es brauche solche Orte, an denen man etwas erleben und fühlen könne.

Die nächste Gelegenheit dazu wird am kommenden Sonntagabend, 20. November, bei der „Stadtkirche am Abend“ um 19 Uhr geboten. Zu Gast sind Uli Gutscher an der Posaune und Uli Lutz am Klavier. Das Thema des Abends lautet: „Dialog mit dem Ende – das Leben wertschätzen.“

Hintergrund

Bauwerk mit Geschichte
 Im Jahr 1477 begannen die Bauarbeiten für die dreischiffige Hallenkirche im spätgotischen Stil. 1534 wurde mit der Einführung der Reformation in Württemberg auch die Schorndorfer Kirchengemeinde evangelisch und die Marienkirche in Stadtkirche umbenannt. Bei einem Stadtbrand 1634 wurde das Gebäude fast vollständig zerstört. 1660 wurde das durch Spenden wiederaufgebaute Gotteshaus eingeweiht. Seit dieser Zeit wurde es mehrfach umgestaltet.

Offene Bürgerkirche
 Die Stadtkirche hat als Ort der Stille und Begegnung die ganze Woche von 10 bis 17 Uhr (Donnerstag und Freitag von 13 bis 17 Uhr) für alle geöffnet, ganz gleich welcher Konfession und Nationalität.