Das von der Stuttgarter Architektin Daniela Resch sanierte Wohnhaus in Kornwestheim im Vordergrund hebt sich nicht nur durch seine Energieeffizienz, sondern auch durch seine Gestaltung positiv von den nicht sanierten Häusern drumherum ab. Foto: Jürgen Pollak/Daniela Resch Architektur & Design Jürgen Pollak

Zwei Forscher der Hochschule für Technik Stuttgart erklären, warum viele Wohnungseigentümer einer energetischen Sanierung skeptisch gegenüberstehen und wie sich diese von einer Sanierung des Mehrfamilienhauses überzeugen lassen.

Wohnhäuser mit mehreren Wohnungseigentümern (WEG) sind in Deutschland weit verbreitet. Bundesweit gibt es rund zehn Millionen WEG-Eigentumswohnungen. Fast die Hälfte dieser Wohnungen wurden zwischen 1949 und 1978 gebaut und sind sanierungsbedürftig. Die Eigentümer können jedoch nur gemeinsam Änderungen am Haus vornehmen. In vielen Fällen ist ein Mehrheitsbeschluss notwendig, so auch bei der Sanierung. Wie diese dennoch gelingt, erklären die Akzeptanzforscher Stephanie Huber und Thomas Bäumer von der Hochschule für Technik Stuttgart. Sie haben einen Sanierungsentscheidungsprozess einer WEG in Ludwigsburg wissenschaftlich begleitet.

Frau Huber, Herr Bäumer, angenommen, ich besitze eine Wohnung in einer WEG und würde gerne sanieren. Wie werbe ich am besten bei den anderen Eigentümern für eine energetische Sanierung?

Thomas Bäumer In vielen WEGs gibt es nur eine Eigentümerversammlung im Jahr, bei der die gesamte Nachbarschaft zusammenkommt. Bei dieser werden sehr viele Themen behandelt, sodass wenig Zeit bleibt, um sich kennenzulernen und auszutauschen. Daher ist es am besten, man organisiert informelle Veranstaltungen, um über eine mögliche Sanierung zu reden.

Stephanie Huber Man muss versuchen, die Eigentümer auf Augenhöhe abzuholen und herauszufinden, welches Wissen sie haben, wie ihr Stimmungsbild ist und was sie noch an Informationen brauchen. Sie dürfen nicht das Gefühl haben, in eine Ecke gedrängt zu werden, sondern müssen den Eindruck haben, mein Nachbar ist ehrlich daran interessiert, dass ich mir eine eigene Meinung zu dem Thema Sanierung bilde.

Wie waren Ihre Erfahrungen bei dem Projekt – wie können sich die Eigentümer darüber einigen, was saniert werden soll?

Huber Ein Entscheidungsprozess läuft in mehreren Phasen ab. Man darf nicht nur eine Option aufführen, die man für gut empfindet, sondern man muss den anderen Eigentümern aufzeigen, welche technischen Optionen sowie Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten es gibt, was von den Eigentümern rechtlich verlangt wird und so weiter. Man muss in Häppchen informieren, diskutieren und die Möglichkeit geben, Feedback zu geben. Die Eigentümerschaft muss am Ende eine Bandbreite an Optionen vorliegen haben und das Gefühl haben, diese auch verstanden zu haben.

Bäumer Hier ist es sehr hilfreich, sich über Energieberater und -agenturen, die in vielen Kommunen und Städten angeboten werden, eine professionelle und neutrale Außensicht einzuholen.

Wie werden bei einer Sanierung die Kosten aufgeteilt?

Huber Früher war eine Drei-Viertel-Mehrheit für Sanierungsentscheidungen notwendig. Heutzutage ist nur noch eine einfache Mehrheit erforderlich. Bei baulichen Veränderungen, dazu gehören energetische Sanierungsmaßnahmen, werden die Kosten am Ende nur auf die Eigentümer aufgeteilt, die für diese gestimmt haben. Das führt dazu, dass sich nicht jeder Eigentümer traut, für eine Sanierung zu stimmen, auch wenn er dafür ist.

Bäumer Wenn mehr als zwei Drittel der Eigentümer dafür stimmen und diese mehr als die Hälfte der Miteigentumsanteile vereinen, dann werden die Kosten (die nicht unverhältnismäßig hoch sein dürfen) auf alle Eigentümer aufgeteilt, auch auf die, die gegen eine Sanierung gestimmt haben. Die Kosten werden dabei nach den Miteigentumsanteilen verteilt.

Ist es aus Akzeptanzgesichtspunkten nicht problematisch, wenn auch diejenigen Eigentümer von der Sanierung profitieren, die nicht für diese zahlen, wie im Falle einer Sanierungsentscheidung mit einfacher Mehrheit?

Huber Ja, ist es. Es klingt erst einmal nach einer Vereinfachung, wenn nicht mehr wie früher eine Drei-Viertel-Mehrheit für eine Maßnahme benötigt wird. Doch zu wissen, dass man womöglich auf mehr als den anteiligen Kosten sitzen bleibt, ist ein großes Hemmnis. Insofern ist die Vereinfachung bezüglich der Abstimmung über eine bauliche Veränderung nicht so groß, wie sie auf den ersten Blick scheint.

Was sind abseits der Kosten Gründe, weshalb Eigentümer gegen eine Sanierung sind?

Bäumer Ein Grund ist, dass Veränderung etwas Anstrengendes ist. Menschen mögen grundsätzlich gerne den Status quo erhalten, wenn es nicht gerade um etwas geht, was sie brennend interessiert.

Huber Hinzu kommt, ob es überhaupt einen Anlass gibt, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Für Sanierungen gibt es sowohl altruistische als auch egoistische Motive, wie etwa Klimaschutz oder weil man andere Menschen beeindrucken möchte. Wenn keines dieser Motive getriggert wird, dann wird es schwierig, Eigentümer von einer Sanierung zu überzeugen.

Das heißt, es braucht entweder einen inneren Antrieb oder einen äußeren Anreiz?

Bäumer Genau. Die Forschung hat gezeigt, dass besonders extrinsische, also äußere Anstöße sehr wichtig sind. Weil die altruistische Motivation meistens nicht so stark ist wie die egoistische. Es ist daher hilfreich, wenn das Ordnungsrecht einen Anlass gibt, sich mit dem Thema Sanierung auseinanderzusetzen.

Müssen die Bewohner für den Zeitraum der Sanierung ausziehen und hat dies Einfluss darauf, ob Eigentümer für oder gegen eine Sanierung stimmen?

Huber Das hängt natürlich ganz stark von der Maßnahme ab. Aber in der Regel können die Menschen in ihren Wohnungen bleiben.

Bäumer Wir wissen allerdings aus Gesprächen mit Eigentümern, dass Baulärm sowie Schmutz in den Gängen abschreckend wirken.

Wie kann man Sanierungsgegner dennoch umstimmen?

Bäumer Es ist sehr wichtig, dass man den Eigentümern den Sinn und Mehrwert einer Technologie aufzeigt. Die Vor- und Nachteile der einzelnen technischen Optionen – beispielsweise, was die Optionen jeweils in Sachen Energieverbrauch und Kosten bringen – müssen klar benannt werden.

Braucht eine WEG einen Projektleiter, der den Entscheidungsprozess koordiniert?

Bäumer Ja, so jemanden braucht es. Der Verwalter ist meistens nicht dafür ausgebildet und wird auch nicht dafür vergütet. Auch die Eigentümervertreter haben in der Regel weder die Zeit noch die dafür nötige Kompetenz. Neben einem Energieberater braucht es also idealerweise noch eine Person, der den Entscheidungsprozess moderiert. In Anbetracht der Neutralität wäre ein außenstehender Moderator am besten.

Und wer bezahlt für den Projektleiter von außen?

Huber Wir haben uns darüber sehr viele Gedanken gemacht und darüber auch auf dem 1. Energie- und Klimaforum der Hochschule für Technik Stuttgart mit Beteiligten diskutiert. Eine Idee war, den Entscheidungsbildungsprozess nicht mehr pro WEG zu organisieren, sondern auf Quartiersebene, unterstützt von der Stadt oder der Kommune.

Sollte der Projektleiter die Eigentümer in alle Sanierungsentscheidungen miteinbeziehen oder nur in die wichtigsten?

Huber Der Projektleiter sollte die Eigentümer in all jene Entscheidungen miteinbeziehen, bei denen ein Mehrheitsbeschluss gefasst werden muss. Das sind in der Regel Entscheidungen, die finanziell und aufwandsmäßig größere Maßnahmen betreffen.

Kümmert sich der Projektleiter auch um die Beantragung von Fördergeld?

Bäumer Nein, dies fällt in den Zuständigkeitsbereich der Energieagenturen und Energieberater oder der Verwalter. Der Projektleiter ist jemand, der im Bereich Kommunikation seine Stärken hat und sich auf die Moderation des Entscheidungsprozesses konzentriert.

Wie wichtig ist der Erhalt von Fördergeld für die Sanierungsbereitschaft der Eigentümer?

Huber Der Erhalt von Fördergeld hat sich in dem Prozess, den wir begleitet haben, nicht als wesentlicher Treiber herausgestellt.

Wofür wurde sich bei der Ludwigsburger WEG, deren Entscheidungsprozess Sie begleitet haben, am Ende entschieden?

Bäumer Es standen vier Optionen zur Wahl. Erstens Dachdämmung (Flachdach), energetischer Sanierungsfahrplan und Heizungsaustausch, zweitens Dachdämmung, Photovoltaikanlage und Heizungsaustausch, drittens Dachdämmung, Solarthermieanlage und Heizungsaustausch sowie viertens Dachdämmung, Dämmung der Kellerdecke, Blockheizkraftwerk und Spitzenlastkessel. Am Ende wurde die Variante eins gewählt.

Über welche Option haben die Eigentümer der Ludwigsburger WEG am meisten diskutiert?

Bäumer Die Option mit der Solarthermieanlage wurde am negativsten bewertet, weil hier niemand Erfahrungen hatte beziehungsweise sich die Energieerzeugung vorstellen konnte. Die Unsicherheit bezieht sich dabei vor allem auf die Mehr-Kosten und den Mehr-Aufwand, der sich daraus ergeben würde, verbunden mit dem Nutzen.

Welche Auswirkungen hat eine erfolgreiche Sanierung auf den Zusammenhalt in einer WEG?

Bäumer Wir hatten nach der Umsetzung der Sanierung keinen Kontakt zu der WEG mehr, deren Entscheidungsprozess wir begleitet haben. Daher wissen wir nicht sicher, wie sich eine erfolgreiche Sanierung auf den Zusammenhalt in einer WEG auswirkt. Ich würde aber erwarten, dass es einen positiven Effekt hat und dazu führt, dass die Eigentümer einen Mehrwert darin sehen, sich in der Gemeinschaft ab und an zu treffen und nicht nur einmal im Jahr auf der offiziellen Wohnungseigentümerversammlung.

Zu den Personen

Forschungsbereich
Stephanie Huber und Thomas Bäumer sind Akzeptanzforscher an der Hochschule für Technik Stuttgart. Im Zentrum der Akzeptanzforschung steht, ein Verständnis für die bewussten und unbewussten Gründe zu entwickeln, aus denen potenzielle Nutzer eine neue Technologie akzeptieren oder ablehnen.

Forschungsprojekt
Stephanie Huber und Thomas Bäumer entwickelten ein Modell für einen idealen Ablauf der Meinungs- und Entschlussbildung in einer WEG und setzten dieses gemeinsam mit einer Ludwigsburger WEG in die Praxis um. Mit Hilfe des Modells gelang es den Eigentümern, sich auf eine Sanierungsoption zu einigen.