Sahra Wagenknecht (Linke) hat ein gewisses Verständnis für Russland. Foto: i/POP-EYE/Bugge via www.imago-images.de

Alle gegen eine. Bei Anne Will geht es um den Russlandkonflikt und die Linke Sahra Wagenknecht ist wieder mal isoliert. Ursula von der Leyen indes droht Moskau massiv.

Stuttgart - Eine Talkrunde zum drohenden Einmarsch Russlands in der Ukraine geht ohne die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht natürlich gar nicht, und auch bei Anne Will in der ARD am Sonntagabend war sie wieder mal dabei und sorgte mit ihren Argumenten gegen den westlichen Mainstream für Ärger. Die Gegenrede der anderen vier Studiogäste gegen die Putin in gewisser Weise verstehende Wagenknecht aber fiel so massiv aus, dass SPD-Parteichef Lars Klingbeil seine Fassungslosigkeit über die Analyse der Linken betonte und die Publizistin Cornelia Stelzenmüller vom „Brookings Institut“ – spezialisiert auf transatlantische Beziehungen – bemerkte, nachdem sich Wagenknecht über die baltischen Staaten ausgelassen hatte: „Das ist doch Quatsch, was Sie sagen. Ich möchte ja nicht unhöflich sein“, aber die baltischen Länder als Marionetten der USA darzustellen, so Stelzenmüller, das stimme einfach nicht.

Der Westen hat Moskau provoziert, sagt Wagenknecht

Nach Sarah Wagenknechts Ansicht hat Russland gar kein Interesse an einer Aggression gegen die Ukraine: „Der russische Einmarsch wird von den USA herbei geredet. Vielleicht ist da der Wunsch der Vater des Gedanken.“ Auf der anderen Seite sei für die Russen eine „bedrohliche Situation“ entstanden, durch ständige Provokationen in den letzten Jahrzehnten: Die Nato-Osterweiterung, die Stationierung von Raketen in Polen und Rumänien, die Kündigung von Abrüstungsverträgen durch die USA. Man müsse sich mal vorstellen, was die USA sagen würden, wenn in 150 Kilometer Entfernung von Washington russische Raketen stationiert werden würden, fragte Wagenknecht.

Putin als kühl kalkulierender Machtpolitiker

Das alles werde von Russland als Demütigung aufgefasst und führe zu einer militärisch „höllisch gefährlichen Situation“. Im allseitigen Interesse wären aber Verhandlungen und ein neutraler Status für die Ukraine. „Putin ist kein durchgeknallter, russischer Nationalist. Er ist ein kühl kalkulierender Machtpolitiker.“ Die USA aber hätten ihren Einflussbereich in Osteuropa in den letzten 30 Jahren massiv ausgeweitet.

Eine Liste von Putins Aggressionen

Genau das Gegenteil behauptete der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen. Es sei doch Russland, dass in Europa versuche, seine Macht auszudehnen und andere osteuropäische Staaten zu Vasallenstaaten zu machen. Putin habe das Ende des Kalten Krieges – mit seiner Folge des Zerfalls der Sowjetunion – immer noch nicht akzeptiert. Und eigentlich gehe es gar nicht um die Ukraine, Putin ziele auf die europäische Sicherheitsordnung. Am stärksten aber war die Argumentation der Transatlantikerin Stelzenmüller: Sie hielt Wagenknecht einen Rechenfehler bei der Darstellung der westlichen Militärausgaben vor und listete Putins Aggressionen auf: den Tschetschenien-Krieg, den Georgien-Krieg, die Krim-Annexion, den Stellvertreterkrieg in der Ostukraine mit bereits 13.000 Toten, gegen den auch schon russische Soldatenmütter protestiert hätten. „Russland bedroht mit seiner Politik schon jetzt die demokratische Transformation in der Ukraine“, glaubt Stelzenmüller. Im übrigen könne man einem freien Land wie der Ukraine nicht einfach einen Neutralitätsstatus „aufoktroyieren“, wie Wagenknecht das vorschlagen hatte.

Mächtige Hebel an der schwächsten Stelle

Die Frage, wann Russland nun bei seinem östlichen Nachbarn einmarschieren werde, konnte selbstverständlich kein Mitdiskutant beantworten. Aber die zugeschaltete EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen entwarf ein düsteres Szenario, auf was für Sanktionen sich Moskau gefasst machen müsse: Es werde „massive Konsequenzen“ haben, wenn Russland die Ukraine in den „Würgegriff“ nehme: „Unsere Antwort wird klar sein. Wir werden mächtige Hebel an der schwächsten Stelle Russlands ansetzen – mit Wirtschafts- und Finanzsanktionen.“ Man werde das Land von den internationalen Finanzmärkten abschneiden, das werde es treffen, da es vom Export der fossilen Energieträger Öl, Kohle und Gas abhängig sei, seine Wirtschaft dringend modernisiert werden müsse und sie derzeit mit einer Inflation von 8,7 Prozent ohnehin schlecht da stehe. Was den von Russland gefürchteten Nato- oder EU-Beitritt der Ukraine anbelange, so gebe es für die Bündnis-Beitritte klare Regeln, auf der Tagesordnung seien sie aber nicht. Im übrigen habe Putins Politik schon etwas bewirkt, so von der Leyen: Es sei auch mit den russischen Desinformationskampagnen und Cyberangriffen nicht gelungen, „den Spaltpilz nach Europa zu tragen“. Nicht zuletzt auf der Münchner Sicherheitskonferenz hätten sich die Demokratien der EU, die USA und Großbritannien wieder sehr geeint gezeigt.

Auch Lars Klingbeil meidet das Wort „Nordstream 2“

Wegen der starken Abhängigkeit von den russischen Öl- und Gaslieferungen hält von der Leyen Europa durch Russland für „erpressbar“. Diese Abhängigkeit müsse durch Flüssiggaslieferungen oder die Entwicklung von grünem Wasserstoff dringend verringert werden. Natürlich fiel bei diesem Aspekt auch das Wort „Nordstream 2“, die neue Gaspipeline in der Ostsee. So sehr sich Moderatorin Anne Will auch bemühte, dem SPD-Chef Klingbeil den Begriffe „Nordstream 2“ aus dem Mund zu locken – sie scheiterte. Auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) ist ja berühmt damit geworden, den Namen der von SPD-Altkanzler Gerhard Schröder propagierten Pipeline nicht auszusprechen. Klingbeil sagte nur, dass der Westen im Falle eines russischen Angriffs „hart reagieren“ werde: „Die Sanktionen werden weh tun. Alles kommt auf den Tisch.“

Was wirklich passiert bei einer russischen Invasion, machte Norbert Röttgen aber genauso deutlich: „Wir müssen auch klar sagen, was wir nicht machen.“ Man werde wegen der Ukraine keinen Krieg mit Russland führen.