Insgesamt geht es um etwa 530 Tiere. Foto: Caroline Holowiecki

Bevor die S-Bahn von Bernhausen über Sielmingen nach Neuhausen verlängert werden kann, müssen Hunderte Reptilien gefangen und umgesiedelt werden. Ein mühseliges Unterfangen für den Umweltschutz.

Lukas Mehring lässt sich nicht beirren. Während Fahrräder auf der Verbindungsstrecke zwischen Sielmingen und Neuhausen an ihm vorbeisausen, hat er seinen Blick pausenlos auf den Boden gerichtet. Langsam geht er den Radweg entlang und sucht den schmalen Grünstreifen ab. Ab und zu verharrt er in der Bewegung, schaut genauer, die Angelrute im Anschlag, dann geht er doch weiter. Was er sucht? Zauneidechsen. Die kleinen grün-braunen Reptilien sind hier, wo ehemals die Filderbahn verlief, zu Hause. Allerdings soll an der Stelle die S-Bahn-Verlängerung zwischen Bernhausen und Neuhausen entstehen. Und dafür müssen die Zauneidechsen möglichst umziehen.

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Die Aufgabe von Lukas Mehring und seinen beiden Kollegen von Baader Konzept, einem Mannheimer Planungs- und Consulting-Unternehmen in der Umwelt-, Landschafts-, Bauleit- und Raumplanung, ist es, die streng geschützten Tierchen aufzuspüren und einzusammeln, damit sie in ein Übergangsquartier im Gebiet Egelsee in Neuhausen umgesiedelt werden können. Dieses wurde schon im vergangenen Jahr mit vielen Steinen und Totholz angelegt. „Früh, wenn es noch kalt ist, schafft man es, sie mit der Hand zu fangen“, erklärt der Umweltingenieur. An diesem schwülen, warmen Nachmittag hat er die Angel dabei, an der vorn eine kleine Nylonschlinge befestigt ist. Mit der, so das Ziel, will er die kleinen Kriecher fangen. „Wir wurden schon für Wünschelrutengänger gehalten“, erzählt er.

Insgesamt geht es um etwa 530 Tiere

Tiere umzusetzen gibt es einige. Luca Güntner aus dem Bereich Technische Infrastruktur und Projektsteuerung bei der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) spricht von 400 Mauereidechsen am späteren Bahnhof in Neuhausen und 130 Zauneidechsen entlang der vier Kilometer langen Strecke. Die SSB treibt das S2-Ausbauprojekt voran, das liegt daran, dass die U6-Maßnahmen zum Fasanenhof und zum Flughafen sowie die S-Bahn-Verlängerung nach Neuhausen Bestandteil eines gemeinsamen Förderprojektes im Bundesprogramm des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes sind, erklärt die SSB-Sprecherin Birgit Kiefer.

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Allerdings: Der Zeitplan ist straff. Die Tierchen darf man nur im März und April fangen, sagt Luca Güntner, der späte Wintereinbruch habe alles nach hinten geworfen. „Es ist etwas Druck drin.“ Es sind nicht die einzigen Dinge, die gemacht werden müssen. Wenn das Baufeld von Eidechsen geräumt wurde, stehen archäologische Untersuchungen an. Eventuell könnten sich hier ein Friedhof aus der frühen Merowingerzeit und römische Siedlungen befinden. „Wir hoffen, dass wir nichts finden“, sagt Luca Güntner lächelnd.

Die S-Bahn-Verlängerung soll 2027 fertig sein

Im vergangenen Jahr haben SSB-Vertreter im Filderstädter Gemeinderat verkündet, dass die Bauarbeiten Anfang 2023 losgehen könnten. Die S-Bahn-Verlängerung könnte demnach 2027 fertig sein. Die Kosten für das Ausbauprojekt, das sich aktuell beim Regierungspräsidium im Planfeststellungsverfahren befindet, liegen bisher bei rund 209 Millionen Euro. Sie werden getragen von den beteiligten Kommunen, dem Landkreis Esslingen, der Region Stuttgart, dem Land und dem Bund. Bis es aber losgeht, gilt es, eine lange Liste abzuarbeiten. Baumrodungen stehen an, die sind wiederum nur zwischen Oktober und Februar zulässig. Einzelne Gebäude müssen abgebrochen werden, bodenbrütende Vögel müssen vergrämt werden, etwa mit Flatterbändern. „Es ist viel zu tun. Sobald etwas nicht klappt, rutschen wir wieder nach hinten“, sagt Luca Güntner.

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Lukas Mehring bringt das nicht aus der Ruhe. Gut Ding will Weile haben. „Ja, es ist schon etwas mühselig“, bekennt er, während er langsam an einem Gebüsch entlangschreitet, das der Sonne zugewandt ist, und alle Sinne auf den Boden fokussiert. Hier könnten sich Zauneidechsen sonnen, vermutet er. Und immerhin: Zehn Exemplare hat das Team an diesem Vormittag schon gefangen. In kleinen Stoffsäckchen warten sie im Kofferraum drauf, in ihr neues Heim auf Zeit umzuziehen, bis sie nach der Fertigstellung der S-Bahn-Strecke wieder nach Hause nach Sielmingen dürfen.