Stiko-Chef Thomas Mertens gehörte am Dienstag zu den Gästen von Markus Lanz. (Archivbild) Foto: imago images/teutopress/teutopress GmbH via www.imago-images.de

In der Sendung von Markus Lanz räumt der Stiko-Chef Thomas Mertens Fehler ein. Aber auch der FDP-Mann Alexander Graf Lambsdorff hat einen schweren Stand.

Berlin - Warum hinkt Deutschland bei der Zahl der Coronaimpfungen fast allen Ländern in Europa hinterher? Dass dies auch mit der Ständige Impfkommission (Stiko) zu tun haben könnte, dafür hat die Diskussionsrunde bei Markus Lanz am Dienstagabend im ZDF unfreiwillig Belege gesammelt. Denn beim Auftritt des Stiko-Chefs Thomas Mertens wurde der Schlingerkurs des Gremiums, das „es so nur in Deutschland gibt“ (Markus Lanz), wieder einmal deutlich.

Schon im Juli sei ihm klar gewesen, dass Deutschland im Herbst und Winter auf dramatische Infektionszahlen zusteuern werde, die auch für eine Überlastung des Gesundheitssystems führen würden, sagte Mertens. „Warum haben Sie das nicht deutlich kommuniziert? Warum haben Sie damals bei mir nicht angerufen und gesagt, ich muss in Ihre Sendung?“, fragte Lanz.

War der Stiko-Chef zu leise?

Auf diese Idee sei er nicht gekommen, räumte Mertens ein, was ihm der Moderator verzieh. Doch musste der Stiko-Chef einräumen, wohl auch gegenüber der Politik nicht deutlich genug geworden zu sein. „Wir haben versucht, die Information zu geben. Aus heutiger Sicht hätten wir lauter sein müssen“, sagte Mertens.

Die Folgen: der Bundesgesundheitsminister kündigte öffentlichkeitswirksam das offizielle Ende der pandemischen Lage an. Viele hätten das als Ende der Pandemie insgesamt missverstanden, kritisierte die Wissenschaftsredakteurin der „Süddeutschen Zeitung“, Christine Berndt. Das gelte auch für Akteure in der Politik. „Die FDP hat ja bis vor vier Wochen noch nicht verstanden, dass die Lage eskaliert“, sagte Berndt. Da habe man immer noch erklärt, dass es keine Überlastung der Kliniken geben werde.

Endlich kommt Bewegung in die Sache

In der Person von Alexander Graf Lambsdorff saß auch ein Vertreter dieser Partei in der Diskussionsrunde. Der wies erst einmal darauf hin, dass die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP ja noch nicht im Amt sei. Die gegenwärtige Situation habe also die geschäftsführende Bundesregierung von Angela Merkel (CDU) zu verantworten. So leicht wollte Lanz ihn aber nicht davon kommen lassen. „Jetzt muss es zu Ende sein mit den Coronabeschränkungen – das war doch ihr Wahlkampf“, sagte Lanz. Und auch Berndt schüttelte den Kopf. „Ich verstehe nicht, dass man so blind in diese vierte Welle läuft.“

Immerhin kommt Bewegung in die Situation – wenn auch vier Wochen zu spät, wie Berndt kritisierte. So deutete Graf Lambsdorff an, dass er persönlich sich eine Impfpflicht für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Pflegeeinrichtungen vorstellen könnte. Bisher war das von seiner Partei kategorisch abgelehnt worden.

Und was ist mit den Kindern?

Stiko-Chef Mertens kündigte unterdessen an, dass die Empfehlung seines Gremiums für Boosterimpfungen auf alle Erwachsenen erweitert werde. Bisher sollten sich lediglich Menschen ab 70 Jahren boostern lassen. So lange nur elf Prozent dieser Gruppe eine dritte Impfung erhalten hätten, sei dies auch richtig gewesen, sagte Mertens. Berndt sah in dieser Empfehlung hingegen einmal mehr einen Hemmschuh für die ganze Kampagne. „Es ist nicht richtig, wenn man das so stark fokussiert.“

Was die Impfung von Kindern betrifft, ist Mertens aber weiter zurückhaltend. Erst mit Verspätung hatte die Stiko die Coronaimpfung für Zwölf- bis 17-Jährige empfohlen, eine Empfehlung für jüngere Kinder steht noch aus. „Die Kinder sind nicht das Problem“, sagte Mertens. Trotz der gegenwärtig sehr hohen Infektionszahlen in dieser Altersgruppe spielten sie „erfreulicherweise für die Überlastung des Gesundheitssystems keine Rolle“. Es hätten während der gesamten Pandemie überhaupt bisher nur 35 Kinder auf einer Intensivstation gelegen. Doch hier korrigierte ihn der Moderator: „Ich hatte eine andere Zahl im Gedächtnis, nämlich dass 32 Kinder gestorben sind.“

Ins polnisch-weißrussische Grenzgebiet

Noch ein anderes aktuelles Thema dieser Tage hatte Lanz auf seine Tagesordnung gesetzt. Die Spiegel-Journalistin Muriel Kalisch berichtete von ihren Recherchen an der polnisch-weißrussischen Grenze, wo 15 000 bis 20 000 Flüchtlinge seit Tagen unter erbärmlichen Bedingungen zwischen den Linien hin- und hergeschoben werden. „Ich habe eine Mutter gesehen, die ihrem Baby Wasser auf einer Pfütze zu trinken gegeben hat“, sagte sie.

Kalisch hat Belege dafür gefunden, dass staatliche Unternehmen aus Weißrussland für das Schleppermodell verantwortlich seien. Dies deckt sich auch mit den Informationen, die Graf Lambsdorff bei einem Besuch in Warschau vor wenigen Tagen gewonnen hat. Man dürfe jetzt nicht mit den Fingern auf die Polenzeigen. Schließlich hätten deutsche Innenminister jahrelang eine europäische Asylpolitik verhindert, sagte Graf Lambsdorff.

Was die FDP kann und was sie nicht kann

„Wir können die Leute nicht da lassen“, sagte Kalisch. Auch Graf Lambsdorff kann sich offenbar eine Aufnahme vorstellen, nachdem Sanktionsdrohungen dazu geführt hätten, dass sich die Fluggesellschaften nicht mehr bereit seien, Flüchtlinge aus der Türkei und dem arabischen Raum nach Weißrussland zu bringen. „Es geht um 15 000 Menschen. Das ist kein Vergleich zu 2015, als es bis zu eine Million Flüchtlinge waren“, sagte Graf Lambsdorff, den Lanz als Favorit für den Posten des Außenministers in einer Ampelkoalition bezeichnete. Und dies war auch das Ergebnis der Sendung: die Außenpolitik überlässt man der FDP wohl mit besserem Gewissen als den Gesundheitsbereich.